Maniac-Kunstpreis: Im Niemandsland zwischen Kunst und Manie
Der „Maniac“-Kunstpreis ist keine Auszeichnung einer Kunstakademie oder irgendeiner gewöhnlichen Kunstgalerie: Es ist der Kunstpreis, den die von „pro mente“ betriebene Galerie „reflektor“ Mitte Juni ausschrieb. Seit Jahren kämpfen Galerien, wie der „reflektor“, die offiziell von psychosozialen Vereinen und Gesellschaften betrieben werden und in ihren Werkstätten Künstler_innen mit Psychiatrieerfahrung versammeln, um Anerkennung am zeitgenössischen Kunstmarkt. Dagmar Weidinger, Jury-Mitglied des Maniac-Kunstpreises, über eine Ausstellung, die die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Manie aufwirft.
Foto: Maria Kracikova
Dass hinter den Galerieräumlichkeiten des „reflektors“ Menschen mit Psychosen, Manien oder anderen psychischen Problemen an Leinwänden zu Werke gehen, wird zwar nicht verschwiegen, aber auch nicht groß betont. „Die Nähe zu Psycho-Themen ist am Kunstmarkt ein riesiger Nachteil“, weiß Galerieleiter und selbst Künstler Jörg Auzinger zu berichten. Der „Maniac“-Preis stellte deshalb auch den Versuch einer Neupositionierung dar. „Mit unserer Ausschreibung wollten wir alle Kunstschaffenden ansprechen, die Werke produzieren, die in ihrer Serialität, in ihrer Monumentalisierung oder einfach durch ihre komplexen handwerklichen Techniken eine ‚Besessenheit‘ ausdrücken“, sagt Auzinger und verweist auf den „zunehmenden Hang zum Manischen in aktuellen Kunstströmungen“.
Unter rund 300 eingesendeten Werken kuratierte der „reflektor“-Leiter 29 künstlerische Positionen des Ausufernden. 29 Mal zu viel des Guten. 29 Mal der schmerzhafte Eindruck, dass das Gleichgewicht irgendwo auf dem Weg verloren ging. Aber auch 29 Beispiele für grandiosen Schaffensdrang. Da präsentiert Sonja Bendel ihre Bilder „Bic in Vienna“ – Bilder, die über und über mit kleinen Kulistrichen versehen sind, alle gezeichnet mit einem stinknormalen schwarzen Bic-Kugelschreiber – hier in Wien. Oder Gerhard Gross‘ „Studie zur Ordnungsverweigerung“, eine Abfolge von zig Fotografien der immer selben Bestecklade, die BetrachterInnen die Möglichkeit zu unendlicher Geschichtenfindung bieten. Die Wiederholung steckt in fast allen ausgestellten Werken. Gleiche oder ähnliche Dinge in unterschiedlichen Variationen dargestellt, übereinander, untereinander, nebeneinander, verzahnt miteinander – wie die mit Klettverschluss überzogenen Rahmen in Josipa Stefanecs „Velcroland“ (engl. „velcro“ = „Klettverschluss“) – oder die vierfache Überschreibung von Paul Celans „Todesfuge“ von Walter Kratner. Wie sehr all das mit unserer Konsumkultur zu tun, zeigt nicht zuletzt Jonathan Holls „50.000“, ein Buch mit einfachem weißen Einband, das Fotos sämtlicher 50.000 Produkte eines Spar-Marktes aufzeigt – vom Wasa-Vollkorn-Knäckebrot bis zum Kinderüberraschungs-Ei. Er ist nicht der einzige, der Konsumprodukte in Szene setzt, auch Milan Mladenovic produziert großflächige Installationen von Räumen, in denen sämtlichen Gegenstände mit Verpackungen eingebunden sind. Persilgrün, wohin das Auge reicht!
Der Gewinner: Markus Walenzyk
Gewonnen hat dann dennoch eine sehr persönliche Arbeit – eine die die BetrachterInnen wieder zurückwirft, auf die Frage des psychischen Zustandes. Markus Walenzyk knallt in seinem Video „Faceprint“ mit seinem Kopf auf Papierblätter und produziert dabei schwarze Abdrücke. Die so entstehenden Tintenspuren erinnern stark an Faltbilder oder auch Tafeln aus einem Rorschach-Test. Immer und immer wieder rast der Kopf nach vorne, die Haare fliegen unkontrolliert in alle Richtungen. Der deutsche Medienkünstler Walenzyk benutzt hier nicht zum ersten Mal den eigenen Kopf als Werkzeug, bereits zuvor wurde dieser in einen schwarzen Müllsack eingepackt, mit Isolierband zugeklebt oder in Wachs getaucht. Walenzyks Umgang mit dem eigenen Körper ist auf eine Art und Weise suizidal, die in der Kunstwelt nichts Neues ist, konsequent zu Ende gedacht etwa von Chris Burden. Immer wieder malträtieren sich KünstlerInnen selbst. Solche Werke werfen Fragen auf – persönliche, gesellschaftliche, zuweilen politische. Für den Künstler Walenzyk steht hinter seiner Arbeit vor allem ein Thema – die „sich ständig wiederholende Suche nach dem Selbst“, einem Selbst, „das derart von äußeren Bildern überlagert wird, dass eine Annäherung nur im unaufhörlichen Prozess des Hinterfragens, Beurteilens, Verwerfens und neu Probierens entstehen kann“.
Wie bei kaum ein anderes Werk im Raum stößt Walenzyks künstlerische „Suche nach Authentizität“ die BetrachterInnen hier in den Grenzbereich zwischen Kunst und Psyche. Die „Faceprints“ werden dem Anspruch der Ausschreibung beide Bereiche in Konfrontation und Dialog zu bringen so eindeutig gerecht. Bei der anschließenden Podiumsdiskussion steht vor allem eine Frage im Zentrum: „Wie viel Manie braucht es, um überhaupt KünstlerIn zu werden?“ – eine Frage, auf die sich keine allgemeine Antwort findet; vom Sieger jedoch folgendermaßen kommentiert wird: „Ich trage ziemlich lange eine Idee, einen Gedanken oder ein Bild mit mir herum und erst langsam werden gewisse Ideen konkreter und bekommen eine ‚Eigendynamik‘. Es ist dann wie eine Art Rausch, ein freigesetzte Energie, ein starker Wille, der einen dabei antreibt und vieles erst möglich macht. So hat dieses ‚manisch-getriebene‘ auch sehr viel mit mir als Person zu tun und der Art wie ich Arbeiten angehe oder warum ich überhaupt (diese) Kunst mache.“
Die Ausstellung in der Pressgasse 28, Wien 4, ist noch bis 29.10. zu sehen:
Mo, Di, Do, 14-19h