Der eigentlich Böse und die relativ DepressiveArtistin

Ein Film über Arm und Reich kann auch unterhaltend sein

Anna Posch und Johannes Nussbaum spielen die Hauptpersonen in Peter Kerns Film «Diamantenfieber oder Kauf dir lieber einen bunten Luftballon». Im Interview sprechen die beiden über ihre Rollen, Erfahrungen beim Drehen und gesellschaftliche Ungleichheit.

Die beiden Figuren, die ihr im Film spielt, sind ja sehr gegensätzlich. Wie nah sind sie euch oder wie weit könnt ihr ihre Handlungsweisen verstehen?

Johannes: Als mir Peter Kern von dem Film erzählte, hat mich die Rolle sehr interessiert. Man muss sich das einmal vorstellen, ich spiele einen 15-jährigen Jungen, der seine Eltern verloren hat und der sich um seine drei Geschwister und um eine Großmutter kümmern muss. Das ist ja eigentlich nicht vorstellbar. Das ist das Schöne, dieser Gegensatz, dass er eigentlich der Böse ist, weil er gefälschte Diamanten verkauft und Leute bestiehlt. Auf der anderen Seite macht er das ja nur, um seine Familie zu ernähren.

Anna: Für mich ist es so, dass die Melanie in ihrer Entwicklung von einem unselbständigen Mädchen zu einer entscheidungsfähigen Frau wird. Sie ist zuerst relativ depressiv in dieser Familie, die sehr auf Geld und materielle Sachen schaut und sie in ihrem Wesen sehr vernachlässigt. Dann trifft sie den Hans, der hat etwas Freies und Wildes und gleichzeitig hat er das Herz am rechten Fleck.


Wie haben sich die Dreharbeiten insgesamt gestaltet? Peter Kern gilt ja als mitunter schwieriger Regisseur.

Johannes: Ich höre das ja bei jedem Interview: Der Peter Kern ist ja so schwierig… Natürlich hat er zwischendurch seine Ausbrüche, wo er herumschreien muss. Aber sonst ist er ein herzensguter Mensch und ein so genialer Regisseur. Er ist halt sehr direkt. Ich schätze an Peter Kern, dass er dir eine Richtung gibt und dir dann aber freien Lauf lässt. D. h., du kannst deine Figur gestalten, wie du es dir vorstellt. Das Drehbuch hatte nicht so eine genaue Textvorgabe, wir haben viel improvisiert und das hat den Film so locker und lebendig gemacht. Das finde ich an Peter Kern so bemerkenswert und das Drehen war überhaupt nicht schwierig.

Anna: Für mich war die kreative Freiheit das Allerspannendste. Ich war noch nie bei einem Film dabei und alles, was ich übers Filmen gehört hatte, war, dass es ganz streng ist und jede Szene zu ihrer Zeit und so. Es war auch gut getimet. Es hat aber z. B. einmal einen Tag gegeben da haben wir gedreht und er (Peter Kern) hat auf einmal abgebrochen und die Szene völlig verändert und die ganze Szene mit den Schauspielern neu erarbeitet. Es war eine von den Erfahrungen, wo ich einmal Kunst im Moment erlebt habe.


Sind die Themen des Films wie Armut, Wohlstandsverwahrlosung, soziale Gegensätze usw., Themen, die euch auch sonst beschäftigen?

Johannes: Natürlich, man kriegt das ja auch durch die Nachrichten mit und dadurch ist es eben interessant in so eine Rolle hineinzuschlüpfen, wo man damit konfrontiert wird.

Anna: Ich habe in den wilden Jahren meiner Jugend verschiedenen Schichten kennenlernen dürfen und habe es unter diesem Aspekt sehr interessant gefunden, weil ich selbst aus einem sozusagen gut situierten Haus bin. Ich finde es wichtig, das auch zu zeigen und darüber zu sprechen und das macht der Film; in gewissen Dingen kommt er der Realität sehr nahe.


Ich hatte den Eindruck, der Film ist eher auf ein junges Publikum zugeschnitten.

Johannes: Der Film ist auch aus der Perspektive eines Jugendlichen. Darum sind manche Szenen etwas skurril. Etwa wo das Jugendamt in die Wohnung hineinkommt und die Familie mitnehmen will und ich komm‘ mit dem Messer. Das ist aus der Sicht eines jungen Burschen. So stellt er sich das vor: Der kommt jetzt und ich verteidige meine Familie. Ich denke aber, es ist ein Breite-Masse-Film, nicht nur für Jugendliche.


Hans bettelt im Film Melanies Mutter und deren Freundin an und fordert sehr vehement Geld – im wirklichen Leben gibt es immer mehr Arme und mehr Menschen fühlen sich von Bettler_innen gestört, es gibt Bettelverbote. Wie steht ihr zu dieser Thematik?

Anna: Das ist jetzt sicher ein schwieriges Thema, wobei ich sagen muss, mich stört’s nicht. Ich bin auch gegen ein Bettelverbot, weil Notsituationen können schnell da sein. Wie jemand damit umgeht, der davon betroffen ist, das ist jedermanns eigene Sache. Ich persönlich lese schon hin und wieder den Augustin und ich gebe auch gern auf der Straße was. Manchmal fühle ich mich komisch, wenn ich was gebe, weil manche Leute einen so anschauen: Man darf niemand was geben, weil die sind ja alle von diesen Organisationen, die Leute verstümmeln. Ich denke mir, man kann als einzelner nicht alle retten, aber soziale Wärme ist sicher etwas, was man noch mehr leben könnte.

Johannes: Da stimme ich Anna voll zu.


Interview: Jenny Legenstein, Foto: polyfilm



Info

Johannes Nussbaum, derzeit Maturant, tritt seit seinem neunten Lebensjahr in Kino- und TV-Filmen auf. In «Diamantenfieber» spielt er seine zweite Hauptrolle, nach Wolfram Paulus‘ «Blutsbrüder teilen alles». Er möchte sein bisheriges Hobby, das Schaupielen, zu seinem Beruf machen und «Einfach schauen, was auf mich zukommt, nicht zu viel planen.»

Anna Posch besucht die Schauspielakademie von Elfriede Ott. «Diamantenfieber» ist ihr Filmdebüt. Anna ist in vielen Kunstgattungen kreativ tätig und möchte neben dem Schauspiel auch mit der Freude an der Kunst und handwerklichen Sachen Menschen helfen und mit Menschen zusammenarbeiten. «Mir ist Lebensfreude und Freiheit das Allerwichtigste.»

Filminfo – Fast allein gegen Behörden und Armut

Der 15-jährige Hans (Johannes Nussbaum) hat andere Sorgen als Burschen sonst in seinem Alter: Seit dem Tod der Eltern kümmert er sich um seine drei jüngeren Geschwister und seine Großmutter. Dabei muss Hans nicht nur irgendwie Geld auftreiben, sondern die Familie auch zusammenhalten, denn die Behörden wollen die Kinder in verschiedene Pflegefamilien und die Oma ins Pflegeheim stecken. Finanziell über Wasser hält Hans sich mit Betteln, Stehlen und Botenfahrten für den Onkel (Josef Hader), der reichen Leuten gefälschte Diamanten unterjubelt. Melanie (Anna Posch) ist die emotional vernachlässigte Tochter eines sehr wohlhabenden Paares (Paul Matic, Melanie Kretschmann), das zu den Kunden von Hans‘ Onkel zählt. Die Begegnung mit Hans ermöglicht Melanie aus ihrem goldenen Käfig auszubrechen und der junge Bursche findet in der höheren Tochter eine Verbündete. Peter Kern übt in seinem neuen Film Kritik an sozialen Missständen, inhumanen Behörden und der strukturellen Ungleichheit zwischen Reich und Arm. Dabei bedient sich der Regisseur und Schauspieler allerdings nicht des hierzulande üblichen (oft tristen) Genres des sozialen Realismus, sondern er erzählt eine durchwegs spannende und unterhaltsame Geschichte, mit Krimi- und Abenteuer-Elementen und einem Happy End.

«Diamantenfieber oder Kauf dir lieber einen bunten Luftballon»

ab 24. Mai 2013 im Kino

www.polyfilm.at

 

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