Hammarskjöld war Finanzminister - aber er wollte keine EU der Finanzhaie
Es kann sein, dass die Wählerinnen und Wähler am 25. Mai (EU-Wahl) die SPÖ zu einer Kleinpartei machen. Dafür hat SP-Spitzenkandidat Eugen Freund das in seiner Macht Stehende beigetragen, als er auf einer Pressekonferenz den Durchschnittsverdienst österreichischer Arbeiter_innen mit 3000 Euro bezifferte. Der Kommentar Faymanns, auch Kreisky habe Millionen und Milliarden verwechselt und sei dennoch der beste Bundeskanzler ever gewesen, wird die Sozialdemokratie genauso wenig retten können wie Eugen Freunds Autobiografiekorrektur: Als Kind sei er mit Eltern und Geschwistern zu fünft in einem Zimmer aufgewachsen. Bei der sozialen Inkompetenz von Parteipolitiker_innen dieses Typs kann es nicht verwundern, dass in der EU Ziele wie soziale Gleichheit und Gerechtigkeit nur auf dem Papier stehen, dass die Schere zwischen Arm und Reich in der EU immer größer wird und dass Rechtspopulisten punkten, wenn sie den Austritt aus der EU verlangen. Um sich die Alternative zum Austritt vorstellen zu können, nämlich eine Verwandlung der EU von einem Netzwerk der Konzerne in ein Bündnis der Menschen, hilft die Erinnerung an Pioniere des europäischen Gedankens wie an den schwedischen Friedensnobelpreisträger Dag Hammarskjöld. Hans Göttel (Leiter des Europahauses Eisenstadt) hat uns folgende Hommage zur Verfügung gestellt.
Dag Hammarskjöld (1905-1961) wird in der Regel weder mit der Bankenkrise noch mit der Europafrage in Verbindung gebracht. Wenn er noch erinnert wird, dann als ehemaliger und tragisch verunglückter Generalsekretär der UNO, die er von 1953 bis 1961 leitete. Nach seinem Tod durch einen Flugzeugabsturz im Zuge einer Friedensmission im Kongo, hinter dem sofort ein Flugzeugabschuss vermutet wurde, erhielt er posthum den Friedensnobelpreis. Bevor er der UNO diente, war er Präsident der Schwedischen Reichsbank und danach Staatsekretär im schwedischen Außenministerium. Am 15. Oktober 1951 dachte er in einer Rede in Göteborg über Europa nach. Das ist über 60 Jahre her, die EG war noch gar nicht gegründet, doch scheint das heutige Europa seiner damaligen Gedanken so bedürftig wie die aktuelle Weltlage einer fähigen UNO.
Hammarskjöld war ausgebildeter Jurist und Nationalökonom, ein anerkannter Diplomat, aber auch Schriftsteller, Übersetzer und – Mystiker. Mit Hinblick auf seine adelige Herkunft, die ihn nicht davon abhielt, einer sozialdemokratischen Regierung bei der Konstruktion des Wohlfahrtsstaates zu dienen, und seine philosophische Neigung wurde er gerne als Geistesaristokrat tituliert. Auf die Frage, ob er, der nie bei einer politischen Partei war, ein politischer Mensch sei, meinte er: Ich will dort tätig sein, wo es drauf ankommt!
Scheinbar kam es ihm auf Europa an, allerdings weniger auf das Europa der politischen Arbeits- und Organisationsformen, auch nicht auf ein ökonomisches Kraftfeld, schon gar nicht auf die militärische Schlagkraft eines Staatskollektivs.
Rom, Athen, Jerusalem
Hammarskjöld versuchte eine Bestimmung Europas über das den Ländern und Völkern Europas bei aller gegebenen Vielfalt Gemeinsame. Die oft beschworene Vielfalt Europas sei demnach nicht das Charakteristische, doch kann sie schön und gut sein, wenn sie das Gemeinsame vielfältig ausbildet. Auch nicht die Einzigartigkeit Europas im globalen Vergleich ist das Wichtige, sondern die den Europäern gemeinsame und daher – europäische – Idealbildung. Die geistige Ausrichtung auf dieses Gemeinsame aber setzt eine konzentrierte Übung voraus, denn: So wenig der Heilige an seinen Sünden oder der gute Politiker an seinen Verfehlungen erkannt wird und so wenig der Frühling nach den Tagen empfunden wird, an denen sich der Winter noch einmal meldet, so wollen wir an Europa nicht primär das wahrnehmen, was zum Auseinanderfallen tendiert.
Hammarskjöld nannte die Ideale Europas in Verbindung mit drei Städtenamen, die sie symbolisieren: Gleiche Würde für alle Menschen (Jerusalem); uneingeschränkte Freiheit des Denkens (Athen) und das Recht als Grundlage der Gesellschaft (Rom). Diese Ideale, so Hammarskjöld, seien durch schwere Wetter gesegelt, doch niemals gesunken. «Wir fühlen ihre Nähe» – ein Europa, in dem eines dieser Ideale aufhören würde zu wirken, sollte keine Welt für Europäer sein.
Doch ging es Hammarskjöld nicht um die Beschwörung von verbindenden und verbindlichen Ursprüngen, sondern um die Untersuchung des Alltags – um zu sehen, ob diese Ideale tatsächlich lebendig sind.
Was die demokratiepolitische Organisation der europäischen Republiken angeht, war Hammarskjöld zufrieden. Mit Hinblick auf die ökonomische Sphäre gab er allerdings einen deutlichen Fingerzeig: Wenn durch Gesetzgebung, Besteuerung, Unternehmensbeteiligung und Verhandlungen die willkürliche Macht Einzelner über Produktionsmittel qualifiziert, begrenzt sowie harmonisch eingefügt wird in die Entwicklung der Gesellschaft, zum Wohle aller, mit Garantien für Arbeiter und Angestellte, dann ja! Denn wenn als entwicklungsbestimmende Zielsetzungen soziale Sicherheit und ein vernünftiger Einkommens- und Vermögensausgleich angestrebt wird, dann könne man von Demokratie sprechen, selbst wenn das System technisch gesehen kapitalistisch ist.
Eine rein ethisch-moralische Verurteilung des Kapitalismus, wie sie über marxistische Überzeugungen hinaus betrieben wird, allein weil dieser von privaten Gewinnlüsten angetrieben wird, sieht Hammarskjöld nicht als unvereinbar mit den Idealen, wenn die genannten am gemeinsamen Wohl orientierten politischen Vorstellungen realisiert werden.
Ein falsches Ziel: Wettbewerbsfähigkeit
Europa als wirtschaftlich gedachter Einheitsraum wurde von Hammarskjöld ausdrücklich verworfen! Weder kann Europa autark sein, noch ist es als Produktions- oder Absatzregion ausreichend differenziert. Die Verbindungen mit außereuropäischen Regionen sind sehr stark. Daher: Europas wirtschaftliches Handeln ist ein Welthandel(n). Der sattsam bekannten Rhetorik, wonach über das Zusammenwachsen zu einem gemeinsamen Markt gleichsam allmählich die innere Organisation entstünde, die den europäischen Idealen das tragfähige Fundament besorgt, begegnete Hammarskjöld mit Skepsis: «Es ist eine Sache, an die zu erwartenden Gewinne zu denken und eine andere, ob und wie die erhöhten Gewinne einkassiert und verwendet werden.»
Europa steht laut Hammarskjöld für eine Ideologie. Eine Ideologie, die wir brauchen, um unsere gesellschaftliche Einbildungskraft freisetzen zu können. Sodann für eine wirtschaftliche und politische Lebensform, in der eben diese Ideale dieser Ideologie zum Ausdruck kommen. Und sie steht für ein Streben nach Zusammenarbeit von Ländern, die Träger eben dieser Ideologie sind und sich daher in der gemeinsamen wirtschaftlichen und politischen Lebensform vereinen.
Daraus folgt laut Hammarskjöld, dass für die nationalen Politiken der europäischen Länder eine Ausrichtung an dieser Ideologie notwendig ist. Europäische Bildung in jedem Land! Sie muss vom Gemeinsamen ausgehen und das Gemeinsame ausbilden, wie vielfältig auch immer.
Offenbar war schon zu seiner Zeit klar, dass ein Bekenntnis zu bestimmenden Idealen in der Zusammenarbeit zwischen Ländern nichts bringt, wenn nicht die innere nationale Entwicklung gleichermaßen in Richtung dieser Ideale geht. Was der Banker Hammarskjöld 1951 artikulierte, war nicht weniger, als dass die nationalstaatlichen Eliten Europas eine europäische Ideologie brauchen – und eine weltoffene Gesellschaft im je eigenen Land, um europäische/internationale Politk darauf stützen zu können.
Liest man vor diesem Hintergrund die großspurige Ankündigung im Lissabonner Vertrag der EU, aus Europa die wettbewerbsstärkste und dynamischste Region der Welt machen zu wollen, und betrachtet man das daraus abgeleitete Qualifizierungs-Fitnessprogramm für die offenbar allzu untüchtigen Unionsbürger, so kann das traurig stimmen. Für das nicht wahrgenommene und ungebildete Gemeinsame Europas bietet sich hier die absehbare Niederlage im globalen Wettbewerb schon als Ersatz an. Immerhin auch etwas Gemeinsames.