Am Küchentisch (38. Teil)
[INTRO:] Erschöpft aber beflügelt von den letzten drei Treffen der vielseitig kämpferischen Frauen aus den vergangenen 250 Jahren, so sitzt die Jost an ihrem Küchentisch und überlegt, wen sie diesmal einladen würde in ihren fantastischen Salon. Nichts, aber auch gar nichts fällt ihr dazu ein. Vielleicht sollte die Jost ein fantastisches Hotel in Erwägung ziehen, damit Zeit und Muße gegeben wären zu ausgiebiger Unterhaltung und Plaisir, wie Olympe de Gouges sagen würde. Ein plaisir d’amour mit den fantastischen Frauen!Nina (Hagen) hatte letztes Mal den Mund sehr voll genommen, was der Jost ja durchaus recht war, Punk ist anarchisch, aber die musikalische Einlage war dann doch ziemlich laut geraten. Nebeneffekt: Der Hausbesitzer hat die Jost wieder einmal zurechtstutzen wollen – ist ihm aber nicht gelungen, alle haben noch ihre Federn in voller Länge, ha! Die Hagen, die Lerner, die de Beauvoir, die de Gouges. Prachtvolles Gefieder der bunten Vögel! Farbenreiches Flattern der Emotionen! Historisches Meeting der emanzipierten Geister! Süße Melange mit spitzen Zungen! Die zitierten emanzipierten Geister kamen, als sie gerufen!
Kurze Zusammenfassung der Geschehnisse: Olympe de Gouges, eine der ersten Feministinnen und Zeitgenossin der Französischen Revolution, starb auf der Guillotine und mit ihr ihre einzigartigen politischen Schriften und Bühnenstücke. Die Jost erinnert sich – lustvoll wie Honig – an sie und lud sie deshalb in ihren fantastischen Salon, weil ihr Werk einer breiten Öffentlichkeit völlig unbekannt ist, nach wie vor, selbst in Frankreich. Mit breiten Schwingen flog Olympe aus dem Himmel herab in den vierten Bezirk Wiens, im Schlepptau die Beauvoir, zu der ich hoffentlich nichts sagen muss. Auch Gerda Lerner, die Doyenne unter den Damen, mit ihrer wunden österreichischen Geschichte als Jüdin, glänzte als Historikerin. Punkikone Nina rollte ja eigenmächtig an, ohne Federn, ganz real und schillernd lebend, wie sie eben ist.
Nun fragt sich die Jost, welche weitere Feministin in diese Gruppe einen Weg finden würde, wen also diesmal einladen? Die Jost erinnert sich an die im Fernsehen übertragenen Tennisturniere in den achtziger Jahren mit der damals tschechoslowakischen Ausnahmesportlerin Martina Navrátilová. Ihre Androgynität, ihre Selbstbehauptung, ihr Wechsel auf die anderen Seiten, sowohl in politischer Hinsicht als auch privat in mehrfacher Hinsicht waren bewundernswert. Sie emigrierte mit 18 in die USA – sie hielt sich nicht an die dortigen gesellschaftlichen Regeln, sie kämpfte offensiv, machte systematisch Krafttraining, um mit mehr Muskelkraft spielen zu können, sie hatte als Erste Shorts an und widersetzte sich dem herkömmlichen Bild der laut Universalkodex femininen Frau im sexy Tennisrockerl mit niedlichem Popscherl – nein, nicht genug, obwohl eher wortkarg, was ihr Privatleben betraf, hatte sie ihren Ruhm dazu genutzt, die Bedeutung der Lesbenbewegung zu fördern.
[ZWI-TI:] An Navrátilová rieb sich die Öffentlichkeit, da sie sich als erste Sportlerin geoutet hatte
Die Jost deckt den Tisch schon für sechs Personen. Lesbisch – dieses Wort wurde abfällig von den Jost’schen Eltern ausgesprochen, Stigma, Makel. An Navrátilová rieb sich die Öffentlichkeit, da sie sich als erste Sportlerin geoutet hatte und man zunächst nicht akzeptieren mochte, dass da eine über das herkömmliche Bild der erfolgreichen Frau einfach hinwegschritt. Ist Navrátilová Feministin? «Wie kann eine Frau das nicht sein? Wenn eine Frau sagt, sie sei keine Feministin, dann erwidere ihr: Du willst also nur 70 Prozent des Gehalts bekommen, das ein Typ für den gleichen Job bekommt? Dann wird sie Nein sagen, und du ihr entgegnen: Dann bist du Feministin.» Eine beeindruckende Persönlichkeit, die vor Autoritäten keinen Buckel macht, das lernte sie wohl im tschechoslowakischen Regime, wie sie selber sagt, in einer Zeit, wo niemand nach homosexuellen Sportler_innen gefragt hat.
Ihr diente es dazu, die vollen Rechte für Lesben einzufordern. Als Weltklasse-Tennisspielerin UND Lesbe steht sie den Medien relativ ausgeliefert gegenüber. Da muss Martina Navrátilová einen starken politischen Willen haben. Die Jost verneigt sich im Geiste vor ihr. Navrátilová nimmt kein Blatt vor den Mund in einem Video, sie erzählt, wie rückläufig vieles in den USA derzeit ist, Patriotismus, der Druck der Anpassung, die Todesstrafe, durch die psychisch Kranke hingerichtet werden. Ihre Flucht war notwendig, um sportlich-politisch aktiv zu werden, aus einem repressiven Regime in ein Land unbegrenzter Möglichkeiten, die aber nur Schein waren. Und über das Alter sagt sie so klug und klar:«Alter ist eine Frage der Einstellung und niemand ist gezwungen aufgeben.»
Die Jost schlürft sinnierend ihren Kaffee aus der alten, goldumrandeten Tasse ihrer ach so bürgerlichen Großmama. Vielleicht – so huscht ein Gedanke unbemerkt vorbei – kommt sie nächstes Mal zu Besuch, wer weiß? Alle Frauen sind beachtenswert.
Grafik: Jella Jost