Adolf Holl: 13. Mai 1930 – 23. Jänner 2020
Abschied von Adolf Holl. Auf seine Weise war Adolf Holl unfehlbarer als alle im Status der Unfehlbarkeit agierenden Päpste zusammengenommen. Er drehte jedes katholische Dogma durch den Fleischwolf der Ironie. Ein Nachruf von Robert Sommer
Man sollte die theologischen Momente in Hermes Phettbergs regelmäßigen AUGUSTIN-Beiträgen nicht unterschätzen – doch der Bedarf unserer Leser_innen an akademisch fundierter Theologie ist vor allem von einem Mann abgedeckt worden: Adolf Holl. Niemand von uns kann sich erinnern, ob es in der Redaktion zu einem Zerwürfnis kam, als die Ausgabe Nr. 308 vorbereitet wurde: Welche Abteilung ist für die von Holl angebotene «Predigt über das Böse», bisher ein unbekanntes Genre für eine Boulevardzeitung, zuständig? Kunst? Innenpolitik? Prosa?
Ewiges Leben.
Holls Text erschien letzten Endes im dichter innenteil, gemeinsam mit den Texten der Bedrängten und Beladenen, und Holl wird wohl dazu gemeint haben: nicht die schlechteste Wahl. Sein Text hat inzwischen an Aktualität gewonnen, denn die Furcht vor dem «Bösen» hat unzählige Facetten angenommen. Die Menschen der verpatzten Aufklärung haben Angst vor Mohammed, vor afghanischen Flüchtlingen, vor Parallelgesellschaften, vor der Bettelmafia, vor der «Ostküste» und vor Greta, die den hart arbeitenden großen Menschen die SUVs wegnehmen will. Adolf Holl stellt die letzte der Vater-unser-Bitten («Erlöse uns von dem Bösen») dem apostolischen Glaubensbekenntnis gegenüber, das jedes katholische Kind lernen muss. Es endet im Gegensatz zum Paternoster so: (Ich glaube …) an Nachlass der Sünden, Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben, Amen. Holl verschmitzt: «Also, das letzte Wort gilt dem ewigen Leben!» Wirklich böse in der christlichen Welt seien nur der Klerus und die Infrastruktur seiner Macht. Gott muss das geahnt haben, schmunzelte Holl, denn als 1716 Lissabon sein verheerendes Erdbeben erlebte, wurde «das Hurenviertel verschont und die Kathedrale zerstört». Dass Holl seine Predigt, bevor er sie der Redaktion schenkte, in einem Bordell im 5. Bezirk hielt, muss seinen Amtskollegen ebenso provokant erschienen sein wie die inhaltliche Aussage des Textes.
Whistleblower Holl.
Solchen Reflexionen gegenüber war die Aufmerksamkeit der Linken in der Regel nicht sehr groß. Es war nicht ihr Problem, wie es dem Klerus mit einem Kritiker wie Holl ging. Dass von Holl kein Impuls zu einer organisierten Form von Widerstand gegen die Kirchenführung ausging, trug zum Desinteresse der roten «Organisationsweltmeister» bei. Ich weiß nicht, wie viele seiner rund 30 Bücher das Zeug hätten, zur Bibel einer Bewegung zu werden. Sicher ist, dass der Bestseller aus dem Jahr 1971, Jesus in schlechter Gesellschaft, in diese Kategorie einzureihen wäre. Von allen deutschsprachigen Büchern dieser Epoche, die im Duktus und in dem antiautoritären Furor der 68er-Bewegung verfasst wurden, war dieses Werk Holls das massenwirksamste. Die Leute hier lasen nicht Dutschke, nicht Fanon und nicht Horkheimer; der Holl-Aufreger, der zum Konflikt mit der Kirchenoligarchie führte (bis zu seiner Suspendierung vom Priesteramt 1976), stand dagegen in vielen Wohnzimmerregalen, und zwar klassenüberschreitend.
Worüber auch immer im 50. Jubiläumsjahr der 68er-Bewegung berichtet wurde – der Beitrag von Jesus in schlechter Gesellschaft zu dem Tauwetter, das viel Eis der postfaschistischen Denkverbote und Anstandsregeln zum Schmelzen brachte, wurde weitgehend ausgeblendet. Adolf Holl bestätigt diesen Befund: «Das Buch ist Herrschaftskritik, die sich vordergründig den Herrschaftsverhältnissen des vatikanischen Systems widmet, im Grunde aber die Herrschaftsverhältnisse im Allgemeinen hinterfragt. Insofern ist es tatsächlich ein 68er-Buch. Seine Wirkung bezog es aus dem Umstand, dass ich damals noch tief in der Institution steckte.» Holl handelte aus der Position des Whistleblowers. In Amerika traf das Buch indessen auf eine Bewegung, die es aufsaugte. «Erst Jahrzehnte nach dem Ersterscheinen des Buches», sagte Holl in einem der vielen Gespräche mit dem AUGUSTIN, «ist die Information zu mir gedrungen, wie viele tausende Raubdrucke von Übersetzungen in spanischer und portugiesischer Sprache in allen Ländern Lateinamerikas zirkulierten.»
Lachender Befreiungstheologe.
So schwer sich der abtrünnige Priester mit der Eigendefinition seiner Rolle tat, umso schneller war das aufständische Lateinamerika zu einer Kategorisierung bereit. Holl als Protagonist der Theologie der Befreiung. Der österreichische Staatspreis dürfte ihm nicht ganz so viel wert sein wie diese Würdigung über den Ozean hinweg.
Adolf Holl war es, der es für mich wieder spannend machte, Bilder von Freiheit in unseren Köpfen tanzen zu lassen. Bilder und Zukunftsszenarien einer sozial gerechten Welt entstehen in den Denklaboratorien der Linken zuhauf, auch wenn Marx und Engels den Begriff «Utopischer Sozialismus» mit negativen Vorzeichen versahen. Mir fiel immer nur ein, Freiheit sei ein Zustand, in dem «andere» keine Angst mehr zu haben brauchen wegen ihres Andersseins. Mit Holl ließen sich viele Metaphern finden, die auf das Dilemma des Freiheitswertes Bezug nahmen. In seinem späteren Werk Der lachende Christus stößt der/die Suchende auf eine geniale Wittgenstein-Passage. Nach dem Ziel der Philosophie befragt, hat Wittgenstein geantwortet: der Fliege den Ausweg aus dem Fliegenglas zu zeigen. «Es gibt keinen Ausweg aus der Fliegenfalle», lautet Holls trockener Kommentar. Die Fliege habe das Zuckerwasser im Fliegenglas gerochen, deshalb krabble sie durch den Schlitz. Zurück in die Freiheit könne sie nicht mehr finden, denn außerhalb des Glases locke kein Zuckerwasser. «Die Freiheit hat keinen Geruch», mutmaßt Adolf Holl. Vielleicht ist das das Problem der Freunde und Freundinnen der Rebellion: dass sie unfähig sind, der Freiheit oder dem Kampf um die Freiheit einen Geruch zu geben …