Der GlasschneiderDichter Innenteil

Nächtliche Stimmung am Tatort viele Jahre später (Foto: Dario Bogenreiter)

Lebhaft sind mir von den ersten Klassen in der Volksschule noch immer die Räubergeschichten meines Klassenkameraden Bert in Erinnerung. Es gab auch bei uns ein **Element of Crime**, lange bevor eine deutsche Band mit diesem Namen anspruchsvolle Lieder in Umlauf brachte.

Bert hatte eine besonders blühende Fantasie, die er später als besonders beliebte lokale Schauspiel- und Kabarettgröße ausleben konnte. In den Pausen berichtete er uns immer wieder von schaurigen nächtlichen Einbrüchen in seinem Elternhaus, einem einsamen Wirtshaus oben am Pass zum Nachbarort. Sobald die Finsternis hereinbrach, gab es dort kaum Verkehr und der dunkle Wald reichte fast bis an die Straße; zum Schaudern! Ich war damals so naiv, nahm alles für bare Münze, sah die ganze Familie von Bert schon von Räubern dahingemetzelt, übersah dabei geflissentlich, dass er trotzdem jeden Tag wieder frohgemut zur Schule kam. Gleichzeitig bekam ich eine panische Angst vor Einbrechern, die mir ab jetzt so oft den Schlaf raubte. Immer wieder überprüfte ich abends, ob alles abgesperrt war, machte mir Sorgen über einige Schwachstellen, z. B. den einfachen Riegel bei der Holztür, die vom Stall über einen winzig kleinen Waschraum in den Wohnbereich führte. Außerdem war keine Waffe im Haus, ich hätte mir ein Gewehr oder zumindest eine Pistole gewünscht. Und mit solchen Überlegungen war ich nicht allein: Eine Redakteurin aus meinem Bekanntenkreis erzählte mir, dass sie als Kind auch von solchen Ängsten geplagt wurde. Wenn die Familie außer Haus war, nahm sie bei der Heimkehr das größte und schwerste Buch, einen Atlas, zur Hand und schaute in alle dunklen Ecken und möglichen Verstecke, um einem Einbrecher gleich mit dem Buch eins über den Kopf «pfeffern» zu können. Eigentlich eine sehr humane Variante mit Einbrechern umzugehen, sie offenbart (in diesem Fall) zudem die unterschiedliche Herangehensweise von Buben und Mädchen.

Die Holztür mit dem Riegel, der mit einem Nagel, durchgesteckt durch den Spalt zwischen den Brettern, zur Seite geschoben werden konnte, wenn man spät nach Hause kam, hätte aber wohl keinen Schutz geboten. Vor allem nicht vor Einbrechern, die eventuell auf dieselbe Weise sich Zutritt verschaffen könnten. Prompt befürchtete ich genau das, lag häufig ganz still im Bett, um kein verdächtiges Geräusch zu überhören.

Ich schlief damals mit meinem Bruder in einem Zimmer auf der Höh‘, das heißt auf der oberen Etage des hangseitig gelegenen Hauses, und eine Doppeltür führte ins Freie. Die äußere Tür aus Holz war für mich einigermaßen sicher, die zweite Tür hatte aber große Glasrahmen und da ich leider in Erfahrung brachte, dass selbst dicke Gläser für einen Einbrecher mit einem Glasschneider leicht zu überwinden waren, versuchte ich familienintern die Ausmerzung dieser Schwachstelle zu erreichen, musste mich aber damit abfinden, keinerlei Gehör zu finden. So blieb mir nichts anderes übrig, als mit besonderer Sorgfalt darauf zu achten, dass die äußere Tür am Abend stets versperrt wurde.

Auch die knapp am Haus vorbeiführende Straße bot wenig Schutz bzw. empfand ich sie für motorisierte Einbrecher vorteilhaft sich buchstäblich schnell aus dem Staub zu machen. Machen zu können. Staub war bis in meine Volksschulzeit bei uns oft ein ungebetener Gast. Die Straße war damals noch nicht asphaltiert und schnelle Autos und Motorräder zogen bei Schönwetter im Sommer eine Staubwolke hinter sich her, die sich über die offenen Fenster in den straßenseitigen Zimmern als feiner Film überall niederließ. Die Putzarbeit blieb dann an meiner Mutter und später auch an meiner Schwester hängen.

Eines Nachts wurde ich wegen eines eigenartigen Lärms wach und sah zu meinem Entsetzen, dass die äußere Tür bereits offen stand und sich ein Schatten an der Glastür zu schaffen machte. Da wurde der Albtraum Wirklichkeit: Der Einbrecher hatte doch glatt einen Glasschneider dabei und das Geräusch, welches er damit am gerippten Glas verursachte, ging mir durch Mark und Bein. Blitzartig sprang ich Hals über Kopf aus dem Bett, verschwendete keinen Gedanken an den neben mir noch schlafenden, sechs Jahre älteren Bruder, stürmte aus dem Zimmer, sprang die Holzstiege in einem Satz hinunter in das kleine Vorzimmer, sah bereits vorausschauend Licht in der Küche, daher disponierte ich im Sprung um, visierte nicht die Schlafzimmertür meiner Eltern an, sondern riss die Küchentür auf und rannte meine Mutter, die gerade die frisch gemolkene Milch aus dem Melkeimer in die Milchkanne der Molkerei schütten wollte, beinahe über den Haufen. Schlagartig wurde mir bewusst, wie sehr meine Panik aus der Luft gegriffen war, außerdem nahm ich erst jetzt wahr, dass es für einen Einbruch schon viel zu hell war. Die neu gewonnenen Erkenntnisse taugten aber nun für rein gar nichts. Tagelang bzw. gefühlte Wochen und Monate musste ich mir das Gespött anhören. Detailliert wurde das meiner so überstürzten Bettflucht vorangegangene Geschehen eruiert: Fritz* vom Nachbarhof (wo sie an diesem Tag mit dem Melken früher fertig waren) bemerkte, mit den Milchkannen bei unserem Haus vorbeigehend, die offene Holztür und wissend, welcher Angsthase im dahinterliegenden Zimmer schlief, nahm er einen kleinen spitzen Stein zur Hand und fuhr damit am gerippten Glas der inneren Tür genüsslich entlang. Der Schrecken dauerte glücklicherweise nur kurz, ein Tagtraum quälte mich in dieser Kammer jedoch länger: Ich schwebte allein durch das unendliche Weltall und ich empfand dabei eine absolut trostlose Einsamkeit, die mich erschaudern ließ; schlimmer als das so gefürchtete Höllenfeuer, das den schweren Sünder nach seinem Tod erwarten soll. So wurde mir es früh eingetrichtert.

Übrigens hatten die etwas älteren Nachbarbuben eines schönen Frühlingstages auch den Osterhasen gesehen, ich könnte das Waldstück noch immer ziemlich genau lokalisieren, wo der Fritz rief: «Do is‘ er umi g’rennt.» Er hatte kaum zu Ende gesprochen, war ich schon um die Ecke gerast; trotzdem nicht zur rechten Zeit. Meine damalige, sehr große Enttäuschung möchte ich hier nicht weiter ausbreiten. Nur so viel: Beide sahen auch die Schwammerl immer vor mir, jedoch wiegte das Osterhasen-Zuspätkommen ungleich schwerer.

Zu meiner Ehrenrettung möchte ich erwähnen, dass in der damaligen Zeit ein Einbruch in dieser Region wahrscheinlicher war als heute, die Angst vor Dieben scheint aber nun paradoxerweise gewachsen zu sein. Einmal wurde auch bei uns eingebrochen, ein Pferdegeschirr und zur Reifung im duftigen Grummet-Heu in Holzkisten eingelegte Mauerbirnen waren über Nacht verschwunden. Letztere waren unsere köstlichsten Highlights für den Winter. Meine Mutter hatte umgehend einen Verdächtigen im Visier: Ein Pferdehändler, im selben, wenig einbringlichen Geschäftszweig wie mein Vater tätig, war kurz davor bei uns auf Besuch und erspähte dabei wahrscheinlich im Holzschuppen mit dem im Obergeschoß integrierten «Troadkost’n» (Getreidespeicher) das Obst und das Geschirr. Die Mutter schimpfte mit dem Vater wie ein Rohrspatz, aber der rührte kein Ohrwaschl, soll heißen, er weigerte sich den potentiellen Dieb zu befragen. Ich schätze, er wollte den Freund und Saufkumpan nicht in die Bredouille bringen – wobei die Unschuldsvermutung hier für alle Ewigkeit aufrecht bleibt. Aber meine Mutter setzte jedenfalls durch: «Der kommt mir nicht mehr ins Haus.»

Streng genommen gab es bei uns einen weiteren Einbruchsversuch: Im selben Zimmer, das wir in den Schulferien für «unsere Weaner», Sommergäste aus der Hauptstadt, räumen mussten, herrschte eines Nachts helle Aufregung. Frau L. schrie: «René mach was, da wirft jemand Steine in unser Zimmer!» Ihr Mann wiederum, der sehr weltoffene und herzensgute Jurist, dem ich einiges an Grundbildung verdanke und der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte, reagierte umgehend und ebenfalls sehr lautstark: «Julia, schnell, gib mir meine Pistole!» Sie indigniert: «Aber René, du hast doch gar keine Pistole.» Schließlich musste der arme Mann trotzdem und ohne Waffe raus in die finstere Nacht, er scheiterte jedoch beim Versuch die zwei Burschen, die unreife Zwetschken ins Zimmer warfen, dingfest zu machen. Sie wollten bei meiner Schwester «fensterln» und gerieten dabei an das falsche Fenster. Wobei ich gestehe (da es nun ja ohnehin verjährt ist), dass ich damals als Bub vor dem Stimmbruch zweimal die Stimme so verstellt hatte, dass sich Freier an der richtigen Stelle wähnten, und einem dann mit dem Lineal kräftig auf die Finger klopfte, als er sich, auf einer Leiter stehend, am Fensterkreuz anhielt. Ein anderes Mal fiel mir bei einer ähnlichen Situation nichts Besseres ein, als Blumenerde, die in diesem Fall zur Hand war, beim Fenster rausrieseln zu lassen. Meine Schwester hat sich jedenfalls nicht beschwert, dabei den Falschen vertrieben zu haben.

*Dieser Name und auch die folgenden wurden aus hoffentlich nachvollziehbaren Gründen geändert.

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