Musikarbeiter unterwegs … halblebenslang, musikbesoffen, lebensumarmend
Mit der Gürtel Connection unterstützen Kultur-Lokale den AUGUSTIN. Ein subjektiver musikalischer Lokalaugenschein und zwei Alben-Empfehlungen. Von Rainer Krispel (Text) und Mario Lang (Foto)
«Wir fahren über’n Gürtel vorbei an den Huren», reimte 1995 Skero mit der Hip-Hop-Crew Texta (3 Uhr 10). Im selben Jahr feierte das Chelsea als Erstes der «neuen» Gürtellokale seine Wieder-Eröffnung. 1998 folgten B72 und rhiz, in der Folge bis heute viele weitere Lokale, in denen (meist) Musik, live oder von Djs/Djanes erhöhten Stellenwert genießt. Mein Wiener Leben ist mit dieser Story eng verwoben, in weniger als einer Stunde wurden mir ’95 im Chelsea Gastgarten Wohnung und Job angeboten. Mit 27 schaffte ich so endlich den Sprung nach Wien, verließ das enge Linz. Arbeit, Alkohol, Musik und Gesellschaft waren für mich jahrelang am Gürtel daheim (ich lebte im Grunde dort), mit wechselnden Prioritäten. Es mag (auch) so gewesen sein, dass dabei «die Verzweiflung an meiner Leber aß», wie Didi Bruckmayr mit den Dead Souls sang. Aber wenigstens ebenso oft war es liquide Lebenslust, die Euphorien der allerbesten Musik und Partys (samt schönsten Menschen!), oder die Hassliebe zum organisierten Fußball und dessen Live-Übertragungen, die mich dort einnahmen. Was in unterschiedlicher Intensität viele, viele Menschen am Gürtel auslebten und weiter ausleben können.
Pippa.
Neben dem Gürtel Nightwalk, der heuer am 31. August zum 22. Mal (!) stattfindet, gibt es seit 2016 jeweils im Frühling und im Herbst die Gelegenheit, diesen (Sub-)Kultur-Gürtel im vollen Saft zu erleben: Bei der Gürtel Connection! Neben den schon genannten Lokalen bieten dabei Café Carina, Café Concerto, Coco Bar, FaniaLive, Gürtelbräu, Kramladen, Loop, Spezialimbiss, The Loft, Weberknecht und Wienstation (volles) Programm und Köstlichkeiten auf. Die einmalige freiwillige Spende, die dabei in allen Lokalen zum Eintritt berechtigt, wird gesammelt und kam in eindrucksvoller Höhe schon dem Verein Ute Bock, dem Verein Wiener Frauenhäuser oder dem Integrationshaus zugute. 2019 bedenken das werte Publikum, der betreibende Verein und die beteiligten Lokale den AUGUSTIN, was uns dankbar freut. Das pralle Programm raubt dem Musikarbeiter einmal mehr die Illusion, auch nur mehr annähernd einen tatsächlichen Überblick über das zeitgemäße Musikgeschehen zu haben, zwei herzliche Empfehlungen gehen sich aber aus. Der buchende Bruder bietet im Chelsea neben den formidablen Petra und der Wolf, mit Pippa eine Künstlerin auf, die mit Superland im Jänner ein zu recht vielbeachtetes Debütalbum veröffentlicht hat. Erschienen auf dem Lotterlabel und mit Herwig Zamernik (Fuzzman) und Hans Wagner (Neuschnee) umgesetzt, hat die 1985 geborene Schauspielerin und Hörspiel-Sprecherin Pippa Galli als Songwriterin und Sängerin damit eine sehr deutliche, nach- und eindrückliche Pop-Stimme gefunden. «Ich habe immer schon den Wunsch gehabt, Musik zu machen, war als Kind auch in einer Musikschule. Mein Zugang ist sehr aus dem Bauch heraus, ich versuche die Dinge zusammenzubringen.» Lieder wie Riesenrad, Loser oder Wir lieben das Leben sind ein- und tiefgängig, was sowohl auf die Liveperformance im Trio als auch auf das schon in der Musikerin arbeitende zweite Album Neugierde weckt. Dem und Pippa sich dann ausführlicher zu widmen sein wird. «Ganz perfekte Dinge mag ich nicht, ein bisschen Dreck gehört überall dazu.»
Tonfabrik.
Down the road, im B72 tritt neben Titus Probst das Linzer Trio Tonfabrik auf. Christoph Leitner-Kastenhuber, Michael Jakobi und Friedolin Baumann gehen mit ihrem schon vor einiger Zeit beim höflichen Label Konkord erschienenen, immer noch empfehlenswerten Album wohlerzogen schon so deutlich zur Sache, dass mensch getrost von einem «Power-Trio» sprechen kann. Seit 2013 gibt’s die Band, die 2016 ein erstes Album mit dem Titel SMOG veröffentlicht hat. wolhlerzogen nimmt den Ex-Linzer, also mich, schon durch die arbeitenden guten Kräfte bei Aufnahme (Phil Sicko) und Mastering (Alex Jöchtl) ein. Die expliziten Texte von Liedern wie Schluss – passenderweise der Opener – Quit your job, Knochenjob, Ampelmann oder Wer kämpft, kann verlieren tun ein Übriges. Die Thirty-Somethings sind von der Generation Es muss was geben (Dokumentarfilm über die alternative Musikszene im Linz der 1970er bis ’90er) durchaus beeinflusst. Ihnen gelingt so eine Musik, die sich gekonnt und gewitzt am Status quo reibt, nicht mitmacht, was «kapitalistische Logik in die Köpfe einhämmert». Dabei strampeln sie sich von mächtigen Vergleichen – im Gespräch fallen Tocotronic und Element Of Crime – mit ihren charakteristischen Liedern und Texten locker frei, die feschen Mascherln vom Albumcover lockern sie live garantiert. «Wir tan einfach dahin.»
29. 5., Gürtel Connection #7, diverse Lokale
www.guertelconnection.at
Pippa: Superland
(Lotterlabel)
www.pippamusik.at
Tonfabrik: wohlerzogen
(Konkord)
www.tonfab.at