Künstlerhaus: «Haselsteinkohle» entzweit Künstler_innengenossenschaft
Hans Peter Haselsteiner baut überall auf der Welt Großbrücken, Großtunnels, Groß-Staumauern, Erdölförderanlagen, Atomkraftwerke und Autobahnen. Die «unschuldigste» seiner Baustellen ist das Künstlerhaus am Karlsplatz. Aber auch diese fordert Opfer. Die einst modellhafte Künstler_innengemeinschaft befindet sich im Stadium des Zerbröselns. Von Robert Sommer.
(Foto: Dimitris Manikas)
Das Künstlerhaus am Karlsplatz war das erste von Künstler_innen selbst errichtete Ausstellungs- und Vereinshaus des gesamtem deutschsprachigen Raums. Der Kaiser schenkte den Baugrund her. Das hätte er nicht gemacht, wenn die Kunst in Wien damals kein relevanter gesellschaftlicher Faktor gewesen wäre. Die Orientierung auf Ausstellungen – potenzielle Publikumsmagneten – war damals nur eines der acht großen Ziele der Genossenschaft: In erster Linie war es ein Haus der Vernetzung der partizipierenden Kunstschaffenden. Die Künstlerhaus-Genossenschaft blieb bis 2015 als mehr oder weniger selbstverwaltetes Projekt ein Unikum: ein liebenswürdig-vormodernes, aus der Tradition in die Gegenwart gerettetes Modell einer weder vom Staat noch vom Immobilienkapital dirigierten Institution.
Suboptimal, auch aus der Sicht der gesellschaftskritischen Mitglieder der Genossenschaft, blieb die Bereitschaft, politisch-gesellschaftliche Brisanz zu erzeugen. «Aufreger» gab es selten. Die größten liegen schon längere Zeit zurück. 1950 entzündete sich, aus Anlass einer Ausstellung von Bildern des Art Clubs, ein konservativer Proteststurm gegen «entartete» Kunst, und 1959 wurde eine DDR-Flagge anlässlich einer Ausstellung über die Buchverlage der DDR vor dem Haus gehisst. Die Beflaggung geriet zu einem Moment des Kalten Krieges. Die DDR war noch nicht anerkannt. Und in der jüngsten Zeit? Die Ausstellung «Der Kampf um die Stadt» (2009/2010) erregte die Gemüter; freilich war das keine Eigenproduktion, sondern eine aus dem Wien Museum in die Nachbarschaft exportierte Ausstellung, mit der sich der damalige Wien-Museum-Chef Wolfgang Kos sein Lebenswerk krönte.
Rettung?
Die neoliberale Wende, sichtbar durch die Inflation von Strabag-Werbetafeln an der heutigen Künstlerhaus-Baustelle (die nahezu kleinste von den «tausenden Strabag-Baustellen in aller Welt», wie Firmengründer Hans Peter Haselsteiner sein globales Imperium bemisst) kam 2015; ihre Träger kamen von innen und von außen. Als hausintern handelnde Subjekte der «Erneuerung» gelten der Filmemacher Michael Pilz, der seit 2012 Präsident der Gesellschaft bildender Künstlerinnen und Künstler (GBKKÖ) ist, der Kultur-Verwalter Peter Zawrel, den Pilz als Geschäftsführer im Jahr 2013 mit an Bord nahm, und die graue Eminenz des Hauses, Rechtsanwalt Thomas Höhne, Spezialist im Vereins- und Urheberrechtsangelegenheiten. Externe Drahtzieher des Unternehmens «Künstlerhaus neu» sind Albertina-Chef Klaus Albrecht Schröder, der am Künstlerhaus als zusätzlichem Standort interessiert ist, und der von ihm angesprochene ökonomische Wunderwuzzi Hans Peter Haselsteiner, der nun nicht nur als Retter moldawischer Straßenkinder, sondern auch als Retter des maroden Künstlerhauses durch die Mainstreammedien rauscht.
Der Deus-ex-machina-Auftritt Haselsteiners erfolgte 2015 – in einer Situation, in der die Sanierungskosten nicht mehr von der Eigentümerinnengemeinschaft GBKKÖ getragen werden konnten. Das plötzliche Auftauchen des Herrn der tausenden Baustellen führte bei vielen GBKKÖ-Mitgliedern zu einem Aufatmen, umso mehr, als sie von der auffälligen Untätigkeit des Kulturstadtrats und des Bürgermeisters bezüglich Künstlerhaus-Sanierung betropitzt waren.
Viele interpretierten die Intervention Haselsteiners zunächst als Mäzenatentum. Des «Philanthropen» Koketterie gipfelte in der Aussage, das Projekt Künstlerhaus sei «überhaupt kein Geschäft» für ihn, sondern seinem reinen Interesse für österreichische Kunst geschuldet. Hätte ein Sponsorvertrag diesem Interesse nicht Genüge getan? Stattdessen wurden die Genossenschafter_innen mit einem Vertrag konfrontiert, der sie von 100-prozentigen Eigentümer_innen zu 26-prozentigen degradiert. Aufgrund seines 74-prozentigen Anteils bestimmt nun der Bauunternehmer, wie sich das Künstlerhaus entwickelt. Auf 30 bis 40 Millionen Euro bezifferte er seine Selbstverpflichtung zur Übernahme der Sanierungskosten. Das hausinterne Führungstrio Zawrel-Pilz-Höhne sicherte ihm dafür die Verfügungsgewalt über das gesamte Erdgeschoß, die prominenteste Ausstellungsfläche, zu.
Kein Gewinn?
Zwei Umstände relativieren die behauptete Abwesenheit jeglichen Gewinninteresses. Erstens ist ein Haus mit diesen aristokratischen Adressen – Akademiestraße 13, Karlsplatz 5, Bösendorferstraße 10, Musikvereinsplatz 2 – strukturell ein Spekulationsobjekt. Privateigentum in dieser Lage ist nie «unschuldig». Würde Herr Haselsteiner mit den genannten Sanierungskosten ein Künstlerhaus «retten», wenn es an der Kreuzung Simmeringer Hauptstraße / Klederinger Straße läge? Zweitens wird im «Künstlerhaus neu» Haselsteiners Privatsammlung ausgestellt, die zum größten Teil aus Beständen der ehemaligen Sammlung Essl besteht (für deren Verwaltung Albertina-Chef Schröder eine Subvention von jährlich 1,1 Millionen Euro erhält – eine Chuzpe österreichischer Umverteilungskultur).
Der moralische Gehalt einer Art Schenkung eines bisher auf Non-Profit-Basis führenden Gebäudes an einen Privatunternehmer ist offensichtlich fragwürdig. Dieser Sorge wird im Vertrag Rechnung getragen. Nicht die Familien-Privatstiftung Haselsteiner scheint als Empfänger des Liegenschaftsgeschenks auf, sondern die von der Privatstiftung und der GBBKÖ gemeinsam gegründete neue Firma «Künstlerhaus Besitz- und Betriebs GmbH.»
Wie eine immobilienwirtschaftliche Orientierung auf Premier-Lagen ist auch das Kunstsammeln an sich nie ganz «unschuldig», davon sind die notorischen Kritiker_innen des heimischen «Philanthropen Nr. 1» überzeugt: Kunstsammler_innen sind mit Kunstliebhaber_innen nicht in einen Topf zu werfen. Was Erstere von Letzteren trennt, ist ihr Besitzwillen. Man blättere durch Piroschka Dossis Buch über «Kunst und Geld»: «Im Kunstmarkt ist es kommerziell, den Kommerz zu leugnen. Sammeln von Kunst ist die sozial akzeptierteste Form von Gier. Kunst ist die geschmackvollste Form, ökonomische Macht zu demonstrieren.»
Protest.
Nach 150-jährigem Bestehen scheint die Genossenschaft zu zerbröseln. Die Hauptversammlung, wichtigstes Organ der Selbstverwaltung, ist vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Der Programmausschuss, bemüht um die Entwicklung einer künstlerischen Identität der Institution, darf nicht mehr Programm machen, sondern soll das fürs Philosophieren zuständige Ressort des Hauses werden. Kaum war das Haus in Haselsteiners Besitz, sind viele «gegangen worden» oder aus Protest von selbst gegangen: Ulrike Truger, ONA B., Jana Wisniewski, Magret Dieberger, Heide Breuer, Walter Kölbl, Manfred Nehrer, Joachim Gartner, Dmitris Manikas, Ute Bauer-Wassmann, Martin Kohlbauer, Ernst Mayr, Victoria Coeln, Gerhard Gutruf, Loire Heuermann, Helen Knopp-Ruppertsberger, Ilse Chlan, Birgit Zinner, Otto Häuslmayer, Tone Fink … Die Liste erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Beim Gros der Kritiker_innen, so gutachtete Präsident Pilz, handle es sich um bedauernswerte Menschen «mit Defiziten bis zu ihrem Privatleben». Das berichtete die APA.
Zawrels umstrittenster Beitrag zur «Modernisierung» des Betriebs war die Einführung des E-Mail-Disclaimers, die Disziplinerung der Verbreiter_innen von nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Informationen. Solche Anstrengungen sorgten für ein entsprechendes Klima bei der außerordentlichen Hauptversammlung im Herbst 2015. Damals votierten 145 für den Haselsteiner-Deal, 49 dagegen. Die 185 nicht erschienenen Mitglieder rechnete die Künstlerhaus-Troika zu den Befürworter_innen – ein kleiner Hinweis darauf, dass sich die Geschichte einer Künstler_innengemeinschaft in Zynismus auflöst. Das hat das traditionsreiche Künstlerhaus eigentlich nicht verdient.
Was sind die Hauptanklagen der Kritiker_innen? Zawrels Doppelfunktion als Interessenvertreter der Minderheit (GBBKÖ) und der Mehrheit (Haselsteiner) müsse zu Interessenskollisionen führen. Im Übrigen sei er ohne öffentliche Ausschreibung ins Haus geschneit. Auch die Moralität des doppelten Gehalts wird in Frage gestellt. Die Zerstörung ehemals denkmalgeschützter Teile des Haues, etwa des Glaskuppelsaals, in dem Makart seine Riesengemälde ausgestellt hatte, trifft auf besonders empörten
Widerspruch.
Die Politik war übrigens nicht immer so abwesend. Ein paar Monate nach dem Sturz des Faschismus konnte ein Kulturstadtrat in Wien, es handelte sich um den KPÖ-Politiker Viktor Matejka, noch dermaßen in das Ressort seines Verkehrsstadtratkollegen einwirken, dass während der Antifaschistischen Kunstausstellung 1946 die Straßenbahnlinie 2 direkt neben dem Künstlerhaus stehen zu bleiben hatte. Die Schaffner mussten den Namen der Ausstellung ausrufen.