Lokalmatador
Erwin Greiner ist als Schuldirektor in Pension, jedoch als Pädagoge weiterhin unermüdlich.
TEXT: UWE MAUCH
FOTO: MARIO LANG
Am ersten Donnerstag im Monat treffen sich in Nicht-Lockdownzeiten die «Jung-Schweizer» im Chamäleon in der Blutgasse. Zu den Eigentümlichkeiten Wiens passt, dass der, der hier am Stammtisch viel zusammenhält, mit einem Lächeln von sich sagt: «Ich bin weder jung noch Schweizer.»
Dennoch ist Erwin Greiner in diesem von einem Eidgenossen geführten Restaurant gut integriert. Der 71-jährige Wiener hat gute Gründe, warum er Integration nicht als Worthülse ansieht: Zum einen denkt er mehr in die Zukunft als andere seiner Generation, zum anderen ist er mit einer Schweizerin verheiratet. Nicht zuletzt ist er überzeugter Demokrat: «Ich bin für das Miteinander, nicht für das gegenseitige Ausschließen.»
Reinholen statt ausschließen, das war ihm als Pädagoge immer ein Anliegen. Seit seiner Pensionierung vor elf Jahren engagiert er sich unter anderem für die Bildungsinitiative Teach for Austria, kurz TFA.
Vorbilder.
Am Stammtisch erzählt Erwin Greiner heute, wie TFA in der Praxis funktioniert: «Wir bilden hochqualifizierte Akademiker_innen spezifisch für die Lehre aus und vermitteln sie dann an Mittelschulen und Polytechnische Schulen, die Bedarf an frischen Kräften anmelden.»
Seine Aufgabe ist genau diese Vermittlung: «Ich rede mit den Schulen und mit unseren Fellows, um zu sehen, wer wo gut passen könnte.» Beim Matching, so nennt man das Neudeutsch, hilft ihm nicht zuletzt seine Erfahrung und sein Netzwerk im Wiener Schulwesen.
Das leidenschaftliche Engagement hat auch mit seiner eigenen Biografie als Schüler und Lehrer zu tun: Erwin Greiner ist als Nachkriegskind einer meist arbeitslosen Alleinerzieherin in einer 20-m2-Substandardwohnung im vierten Bezirk aufgewachsen. Seine Mutter rannte um ihr Leiberl – und für ihre beiden Söhne. «Bildung», erinnert sich der Jüngere der beiden, «hatte für sie nicht die höchste Priorität.»
Seine erste Fördererin war daher die Volksschullehrerin Katharina Sladek: «Sie konnte meine Mutter überreden, mich für die Aufnahmsprüfung am Realgymnasium in der Waltergasse anzumelden, die ich auch bestanden habe.»
Im Gymnasium traf der Schüler Greiner auf den Schriftsteller Ernst Jandl. «Jandl war in meiner Erinnerung nicht unbedingt gerne Lehrer, und er hat sich auch nicht sehr für meine großen Leidenschaften, Fußball und Basketball, interessiert.» Doch das habe den bekannten Autor nicht davon abgehalten, den Buben der Alleinerzieherin zu fördern: «In der vierten Klasse hat er meine Mutter in die Schule vorgeladen.» Um ihr unmissverständlich mit auf den Weg zu geben: «Sie nehmen den Buben nicht aus der Schule raus. Der kann was.»
Vorläufer.
Der Bub hat es der Frau Lehrerin Sladek, dem Poeten Jandl und vor allem seiner Mutter auf seine Art gedankt: «Zunächst einmal nicht. Denn ich war ein ewiger Student, der lieber in der Basketball-Bundesliga spielte, als Prüfungen auf der Uni abzulegen.»
Im Gymnasium der Schulbrüder in Strebersdorf unterrichtete er nur drei Stunden. Danach rief er desillussioniert im Stadtschulrat an und teilte mit, dass man ihn als Lehrer definitiv vergessen kann.
Als man den blonden Freigeist schon abschreiben wollte, startete er doch noch durch: Gut erinnern kann sich Erwin Greiner an das Vorstellungsgespräch beim Direktor eines Gymnasiums in der Brigittenau. Der Herr Hofrat blickte nur kurz auf, um dann dem schlacksigen, langhaarigen Bürscherl zu sagen: «Schauen Sie, ich habe im Grunde genommen nur zwei Möglichkeiten: Ich lass die 1C in Englisch unbesetzt oder ich nehme Sie. Ich glaube, Sie sind das geringere Übel.»
War auch so: «Das Unterrichten hat mir vom ersten Tag an Spaß gemacht. Ich war dort 21 Jahre Jahre lang Englischlehrer.» Zu den Maturatreffen wird der heute nicht mehr ganz so Blonde immer noch gerne eingeladen.
Vorreiter.
Es folgten vier lehrreiche Jahre als Administrator im damals neu eröffneten Schulschiff auf der Donau («Das war eine super Zeit, auch mit einer echten pädagogischen Aufbruchstimmung») und zwölf schöne Jahre als Direktor in einem neu gebauten Gymnasium gleich neben dem Rennbahnweg («Dort habe ich mich auch für benachteiligte Schüler_innen eingesetzt»).
Gerne erzählt Erwin Greiner auch, dass er durch seine liebe Frau Judith zum Stammtisch der Schweizer_innen gekommen ist. Und von seiner Vision für die Wiener Schulen: «Ich wünsche mir eine Vienna Challenge so wie in London. Die besten Lehrer_innen der Stadt sollen in den herausforderndsten Schulen unterrichten. Das könnte viele Probleme lösen.»
Mehr über die TFA (auch in Kindergärten): teachforaustria.at