Sachbuch: Unsere Lebensweise geht auf Kosten des Südens
Stephan Lessenichs verständlich geschriebenes Buch ist ein wichtiger Betrag zur kritischen Soziologie der Gegenwart. Seine These: Der Kapitalismus lebt auf Kosten eines vermeintlichen «Außen», nämlich der Länder und Menschen des «Globalen Südens».Von dort erhält er seine unter unwürdigen Bedingungen gewonnenen Rohstoffe, dorthin verkauft er seine Fertigprodukte und zerstört so lokale Märkte, und last, but not least lagert er nach dort auch seinen Müll aus. Lessenich zeigt anhand typischer Beispiele, von der Sojabohne über die Aluminiumproduktion und -verarbeitung bis hin zu den ostasiatischen Shrimp-Farmen, wie unsere imperiale Lebensweise nur aufgrund der massiven Ausbeutung anderer Länder aufrechtzuerhalten ist. Wir leben in einer Externalisierungsgesellschaft, so seine Diagnose, und zwar auf Kosten des «Globalen Südens». Daran werden auch gut gemeinte Projekte von Alternativtourismus bis zu ethischem Konsum strukturell nichts ändern.
Unsere stoffliche Umwelt aber – und damit auch deren Zerstörung – macht vor politischen Grenzen nicht halt. Der Autor zeigt, wie die Folgen der jahrzehntelang praktizierten Externalisierungs- und Verdrängungsstrategie nun auch in die kapitalistischen Zentren überschwappen: Die vor den Verwüstungen des Kapitalismus Flüchtenden, aber auch die Folgen des Klimawandels werden langsam auch hier im Norden sichtbar. Noch in einem verschwindend geringen Ausmaß, verglichen mit den Klimawandel-bedingten Verheerungen oder den Flüchtlingsbewegungen innerhalb der armen Länder selbst – aber doch. Unsere reichen Gesellschaften reagieren mit Abschottung und Verleugnung, garniert mit einer Prise «grünem Kapitalismus».
Lessenich zeichnet plastisch nach, wie der Kapitalismus nach wie vor auf imperialistischen Prinzipien beruht, und schreckt auch vor den Konsequenzen seiner Analyse nicht zurück: Der Kapitalismus muss weg! Wie, verrät er uns zwar nicht, das Warum jedoch zeigt er eindringlich und nachvollziehbar.
Stephan Lessenich: Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis
Hanser Verlag 2017
224 Seiten, 20,60 Euro