Der Konsultun & lassen

Strang, Peitsche, Zensur und Raikafiliale

In Singapur, im noblen Raffles-Tower gelegen, werken die Manager der Singapur Branch von Raiffeisen. Der Konzern selbst sagt auf seiner Homepage: «In Asien bildet die Filiale in Singapur die Schaltstelle der Raiffeiensenaktivitäten.» Dies mag die Nähe des Generaldirektors zum Regime im Stadtstaat erklären, und man kennt sich nicht erst seit gestern: Rothensteiner ist seit 1996 Honorarkonsul.

Der oberste Raiffeisenrepräsentant vertritt in Österreich als Honorarkonsul ein singapurianisches Machtsystem, das im Stadtstaat mit den Elementen Mittelalter, Terror und Demokratiefeindlichkeit regiert, während die Filiale vor Ort lukrative Geschäfte macht. Hintergrund für die guten Geschäfte mag auch der Umstand sein, dass europäische und nordamerikanische Kund_innen vom Bankplatz Schweiz, was Diskretion betrifft, in letzter Zeit nicht mehr so ganz überzeugt sind und Ausschau nach anderen, verschwiegenen und steuerschonenden Häfen halten. Element Mittelalter Weiß der Generalkonsul, dass in der Republik Singapur für 41 Straftaten neben Haft zwingend die Prügelstrafe im Strafrecht vorgesehen ist? 1826 befand die britische Kolonialmacht das Auspeitschen von Übertreten von Gesetzen. Bis heute hat sich nichts geändert: Der/Die Delinquent_in wird von eigens geschultem Wachpersonal gefesselt über einen Holzbock gelegt und mit einem Bambusrohr in die Welt der Schmerzen befördert. Ein Arzt ist zur Stelle, um bei Ohnmachtsanfällen einzugreifen und den Sträfling wieder in die Lage zu versetzen, den Schmerz auch gehörig spüren zu können. Die verwendeten Bambusruten sind befeuchtet, damit sie schwerer sind und Narben für immer hinterlassen. Wer zu einer nicht verkraftbaren Anzahl an Schlägen verurteilt ist, kann die Bestrafung auf Raten absolvieren; wird also gefoltert und verletzt; eine Heilung wird abgewartet, und dann beginnt der Terror von Neuem. Amesty International bezeichnet diese Art von Bestrafung in jedem Fall als Folter. Die Prügelstrafe wird nicht nur für Gewaltdelikte verhängt. Auch «illegale» Immigranten (vornehmlich aus dem benachbarten Malaysien), werden für die Tatsache, dass sie «illegale» Arbeit aufnehmen oder auch nur wollen, mit dem Bambusstock gezüchtigt. Nicht verwunderlich, aber der Vollständigkeit halber: Wirtschaftsdelinquenten bleiben von der Prügelstrafe verschont. Wenn Prügeln nichts nützt, wird die Todesstrafe durch Erhängen ausgesprochen. Das singapurianische Ministry of Home Affairs gibt Auskunft: Zwischen 1990 und 2004 wurden vom Staat 420 Menschen getötet. Da hilft auch beten nichts, Herr Honorarkonsul.

Element Demokratiefeindlichkeit Demokratie wird im Raiffeisenkonzern anscheinend sehr beachtet, und der Generalanwalt ist mit Sicherheit den Werten der Demokratie verpflichtet. Aber, weiß der Honorarkonsul, dass sich das in Singapur so abspielt: Jede_r Wähler_in hat auf dem Stimmzettel die Identifikationsnummer des Ausweises einzutragen. Damit ist jede_r Wähler_in identifizierbar. Eine Vorgangsweise, die der Generalanwalt bei geheimen Abstimmungen beispielsweise im Raiffeisenverband erwartungsgemäß ablehnen würde. Der AUGUSTIN hätte es schwer in Singapur: Vor jedem Erscheinen wären Verhandlungen mit der Zensurbehörde angesagt, nein, die staatliche Zensurbehörde schritte ein und kriminalisierte jede Berichterstattung, die nicht im Sinne des Regimes wäre. Hier verbindet sich Mittelalter mit Demokratiefeindlichkeit. Private Satellitenschüsseln sind verboten, auch das Internet unterliegt Einschränkungen. Zudem verursacht der permanente Druck unter anderem schlicht und einfach Selbstzensur.

Für den einzelnen Raiffeisengenossenschafter, der günstig Saatgut einkaufen und einen gerechten Preis für seine Milch will, hat die Funktion Honorarkonsul des Generalanwalts noch einen anderen, höchst banalen Effekt: Das Honorarkonsulat der Republik Singapur in Österreich residiert im Gebäude der RZB am Stadtpark. Die Genossenschafter in der Steiermark, in Tirol oder im Burgenland dürfen sich herzlich dafür bedanken, dass sie dem Regime in Singapur ein Heim in Österreich zur Verfügung stellen dürfen.

Seit 1. Juni 2012 ist RZB-Generaldirektor Walter Rothensteiner Generalanwalt und Obmann des Raiffeisenverbandes. Christian Konrads Nachfolger hält die Tradition der vielzähligen Aufsichtsratsmandate aufrecht und verfügt über eine besondere Funktion, die auf den ersten Blick nichts mit der ehemaligen Bauern-Selbsthilfe zu tun hat: Honorarkonsul der Republik Singapur in Österreich. Oder doch?