Kärnten ist international. Es gibt nicht nur eine «kleine Türkei» in der Nähe von Villach, sondern auch einen Kreml. Chris Haderer (Text & Fotos) war dort.
1928,80 Kilometer Luftlinie liegen zwischen dem Kreml in Moskau, dem Московский Кремль, und dem «kleinen Kreml» in Villach. Von einem kommunistischen Prunkpalast, in dem Moskauer Großfürsten, russische Zaren, die Sowjet-Regierung und heute der Präsident der Russischen Föderation logieren, ist in der Ludwig-Walter-Straße 29 im Villacher Stadtteil Perau aber auch mit gutem Willen nichts zu erkennen. Das Haus gehört der KPÖ und ist das Epizentrum verschiedener Kulturinitiativen, vom Kremlhoftheater bis zum Verein Kärnöl. Ein unscheinbarer, in den Nachkriegsjahren errichteter Bau, der über die Jahre vom Hauptquartier der ortsansässigen Kommunist_innen zu einer Art Kulturzentrum geworden ist. Die nähere Umgebung hat … keinen Charme, und der Kreml selbst versteckt sich hinter einem Garten und ein paar Bäumen und unterscheidet sich nicht wirklich von den Wohnsiedlungen der Nachbarschaft. Parkplätze gibt es kaum, weshalb sportive Genoss_innen wie in den 1950ern mit dem Fahrrad anreisen. Aber nicht nur sie: Über Jahrzehnte hinweg haben die unterschiedlichsten Kulturprojekte einen Platz unter dem Kreml-Dach gefunden. Gottfried Berger, lokales KPÖ-Urgestein, erinnert sich an die Anfänge: «Ich bin sozusagen von der KPÖ sozialisiert worden und habe mich nicht mehr lösen können», sagt er. Der kleine Kreml ist genau genommen das «Arbeiterheim Villach, ein Haus der Kommunistischen Partei, die es aber nicht mehr so intensiv nutzt wie früher. Das Haus ist jetzt so etwas wie ein Freiraum für diverse Kulturinitiativen.» Berger kennt das Haus schon sehr lang: «Daher liegt es mir sehr am Herzen, dass es weiterhin seinen Zweck erfüllt. Es wurde 1956 gebaut. Wenn man sich umschaut, dann bemerkt man den Zahn der Zeit. Die Schönheit des Verfalls ist nicht zu übersehen.» Tatsächlich wirken einige Stellen am Haus etwas desolat und hilfsbedürftig. Das liegt nicht zuletzt daran, dass das Haus mehr oder weniger sich selbst und seinen Betreiber_innen überlassen ist, deren finanzielle Mittel überschaubar sind. Anders als beispielsweise das Volkshaus in Klagenfurt, in dem ebenfalls die KPÖ residiert, steht der kleine Kreml nicht unter Denkmalschutz.
Hausbau mit Fehlern.
Das Baujahr 1956 fiel mit dem Höhepunkt der Ungarnkrise zusammen. Was in Budapest mit einem Volksaufstand gegen die sowjetische Unterdrückung begann, endete nicht einmal zwei Wochen später nach dem Einmarsch der Roten Armee in einem Blutbad. «Deshalb gab es zu Baubeginn immer wieder Schwierigkeiten mit der Nachbarschaft», erzählt Gottfried Berger. «Es gab immer wieder verächtliche Bemerkungen und Kommentare: ‹Was wollt ihr denn jetzt noch machen?›» Trotz Spott und Häme wurde das Haus dennoch gebaut. Mitte der 1950er-Jahre gehörte es zum parteipolitischen Usus, Versammlungsorte anzubieten, die «Sozialdemokraten haben ihre Volkshäuser gebaut und die KPÖ ihre Vereinslokale». Der profane Grund: «Man hat sich auf die bürgerlichen Einrichtungen nicht verlassen können und lieber einen Freiraum geschaffen, um unabhängig wirken zu können.» Außerdem: «Die Parteien haben damals noch einen politischen und kulturpolitischen Bildungsauftrag für sich beansprucht – und der brauchte ein Zentrum.» Gebaut wurde hauptsächlich von ehrenamtlichen Helfer_innen aus der Gegend: «Wenn man die Arbeitsausführungen und das Haus vom Keller bis zum Dachboden anschaut, dann übersieht man das auch nicht.»
Von der Küche zur KPÖ.
Entworfen wurde der kleine Kreml in Villach von der österreichischen Architektin Margarete Schütte-Lihotzky, die damals sozusagen als Haus-Architektin der KPÖ tätig war. «Höchstwahrscheinlich», schränkt Gottfried Berger ein bisschen ein. Die Pläne stammen zwar eindeutig aus dem Büro von Schütte-Lihotzky, «man kann aber davon ausgehen, dass mangels Materials und Fertigkeiten nicht alle ihre Anweisungen auf Punkt und Beistrich umgesetzt wurden. Ich glaube, die Prämisse war, alles zu verwenden, was gerade da und billig war.» Wenn, dann gehört der Villacher Kreml zu den eher unbekannteren Bauwerken von Schütte-Lihotzky, die das Globus-Verlagsgebäude, das zwischen 1954 und 1956 für die KPÖ am Höchstädtplatz in Wien Brigittenau errichtet wurde, maßgeblich mitplante. Bis zum Jahr 1990 wurde dort die KPÖ-Tageszeitung Volksstimme produziert. Nach einer bewegten Geschichte erscheint die Volksstimme seit 2009 als politisches Monatsmagazin. Dass im kleinen Kreml auch ein kleines Sortiment der letzten Ausgaben aufliegt, versteht sich von selbst.
Volksfest und Volkswille.
Viele Kulturinitiativen seien seit der Eröffnung des Hauses unter dem Kreml-Dach verwirklicht worden, erinnert sich Gottfried Berger. Zum Beispiel «ist es untrennbar mit dem Villacher Arbeiterchor verknüpft. Neben Konzerten haben hier Presse-Feste stattgefunden – und auch die ersten Volkswille-Feste. Volkswille war der Name der Kärntner Ausgabe der Volksstimme.» Und es waren Volksfeste, die damals am KPÖ-Gelände stattfanden, vom Kindergeburtstag bis hin zu Weihnachtsfesten. «In den 80er-Jahren war auch eine Punk-Band im Keller beheimatet, die Dobratsch Absturz Band, die ist vielleicht auch in Wien ein Begriff.» Leider, ist sie nicht. Die allwissende Müllhalde Internet verrät zwar, dass die Formation zwischen 1983 und 1991 aktiv war, Hörproben gibt es allerdings keine. In der Hauptstadt aktiv ist allerdings Günther Moser, ehemaliger Gitarrist der Abgestürzten: Erst im September hat er mit der Volkskundlerin Ulli Fuchs das «Danke, man lebt»-Festival kritischer Liedermacher aus Wien organisiert.
Theater im Garten.
Ein «Zubau» im Garten des kleinen Kremls hat es sogar bis ins Buch der Rekorde geschafft. Was auf den ersten Blick wie eine kleine Pawlatsche im Garten vor dem Haus wirkt, in der man Gummistiefel, Rechen und Rasenmäher vermutet, ist das Kremlhof-Theater, das kleinste regelmäßig bespielte Theater der Welt. Bespielt wird es von der Gruppe Vada. «In diesem Theater haben genau acht Leute Platz, exklusive der Schauspieler», sagt Gottfried Berger. Weil nur acht Leute in den Pavillon passen, kann man nur kurze Stücke spielen, diese dafür aber öfter. Hauptsächlich sind es russische Literaten, die inszeniert werden, mit teilweise dadaistischem Einschlag.
Neben der Kultur gibt’s im Arbeiterheim Kreml auch Kulinarisches vom Bio-Bauern. Im Rahmen einer CSA-Initiative werden Sympathisant_innen mit frischer Ware vom Bauernhof versorgt. CSA steht für Community Supported Agriculture und meint eine solidarische Landwirtschaft: «Man muss sich das so vorstellen, dass ein Bauer vorbeikommt, der eine bestimmte Anzahl von Leuten mit Lebensmitteln versorgen kann. Dafür müssen die Abnehmer auch ein Risiko eingehen, nämlich dass Missernten möglich sind und es weniger von allem gibt. Dafür sind die Produkte umweltverträglich und sozialverträglich hergestellt.» Entstanden ist das erfolgreiche Projekt aus der Idee der «Krisensuppe», die in der Volksküche im Schatten der Wirtschaftskrise 2008 jeden Dienstag ausgegeben wurde.
Wer erhält den Villacher Kreml?
«Die Initiativen, die das Haus für Veranstaltungen nutzen, steuern etwas zu den Betriebskosten bei. Es gibt auch noch ein paar Mietverhältnisse, die KPÖ hat sich aber weitgehend von der Nutzung zurückziehen müssen», erklärt Gottfried Berger. «Damit gehen sich die Betriebskosten, Kommunalabgaben und die Beheizung des Hauses gerade so aus. Für große Investitionen oder Sanierungsarbeiten ist derzeit kein Geld vorhanden.» Vorausplanen will Berger ohnehin nicht: «Die Zeit der langfristigen Planungen ist vorbei. Solange es Leute gibt, die so einen Freiraum schätzen und etwas damit anfangen können, solange wird das Haus auch in irgendeiner Form Bestand haben.»
Arbeiterheim Villach/Kleiner Kreml
Ludwig-Walter-Straße 29, 9500 Villach
kaernoel.at
kremlhof.blogspot.com