Der letzte Insulanertun & lassen

Peter Bauer starb an den Folgen seines Obdachlosenlebens

Nachruf auf einen Augustiner. In den ersten Jahren wurde der Augustin gern als «Sandlerzeitung» etikettiert. Und irgendwie stimmte diese Zuschreibung auch. Strenge Winter unter den blassen Stadt­sternen zerstörten die Körper der Open-Air-Schläfer_innen, jedes Jahr starb ein halbes Dutzend von ihnen. Aktuellster Fall: Peter Bauer, genannt «das Monster». Er konnte nicht einmal 50 werden. Robert Sommer (Text) und Lisa Bolyos (Foto).

«I bin ned gern daham. Weil daham sterbn die Leut.» Wer Peter Bauer nicht kannte, für den musste dieser Spruch dunkel und rätselhaft bleiben. Wir aber, die Augustinmacher_innen, das Vertriebsteam und die Verkäufer-Kolleg_innen, wussten Bescheid: Peter fand in der Gemeindewohnung seinen inneren Frieden nicht. Erstens wusste er, dass die Gnade der eigenen vier Wände nach vielen Jahren der Obdachlosigkeit eigentlich schon zu spät kam; die vielen Winter auf der Donauinsel hatten seine Organe irreparabel geschädigt. Zweitens waren die vielen Blumen, mit denen er sich in seiner Wohnung umgab, kein Ersatz für die Natur, die er so liebte. Und drittens fehlten ihm die einzigen Freunde, die er hatte. Sie waren alle vor ihm gestorben: der Falke, Walter und Roman. «Wir vier waren eine Sandlerclique, die zufälligerweise eines gemeinsam hatte: Wir waren alle durch gescheiterte Beziehungen in die Obdachlosigkeit geraten», erzählte er uns.

Die Republik Augustin.

Wir wissen nicht, wer wen so quälte, dass die Liaisonen den Krisen nicht standhielten. Die Frauen? Die Männer? Engel jedenfalls waren unsere Verkäufer nicht, dafür legen wir die Hand ins Feuer. In den gemeinsamen Abenden, als die gebrochenen Mannsbilder ins Sinnieren gerieten, ist ihr vermeintliches gemeinsames Opfer-Dasein und der vermeintliche Triumph der Frauen immer und immer wiedergekäut worden. Solange, bis sich in einer Mischung von Ressentiments und Halberinnertem die kollektive Erzählung «Die Weiber haben an allem Schuld» herauskristallisierte. «Das Monster» und seine Hawerer hätten Gender-Kurse gestangelt, wenn es solche Angebote gegeben hätte. Ihre Insel-Domizile hielten sie, wie sie es nannten, «weiberfrei», nur Kollegin Christina von Augustin TV kriegte ausnahmsweise die Besuchsgenehmigung.

Zunächst hausten Peter & Co. in Hütten, die sie aus Ästen flochten. Peters «Villa» stach durch eine eigensinnige Eingangsgestaltung hervor, und er hatte Glück, dass es auf der Insel keine Instanz gab, die sich amtlicherweise um die Bewahrung des architektonischen Gesamteindrucks der Sandler-Agglomeration kümmerte. Wer Peter besuchen wollte, musste in die Bleibe durch eine ausrangierte Kühlschranktür kriechen. Dann besorgten sie sich Zelte. Das war bereits in einer Zeit, in der Peter schon beim Augustin war. Die Clique nannte ihren informellen und klug versteckten Mikro-Campingplatz, der von den magistratischen Förstern und von der Polizei toleriert wurde, die «Republik Augustin». Das heißt noch lange nicht, dass sie in dem kleinen Donauinselwäldchen einen gefahrlos idyllischen Freiraum gestalten konnten. Einmal, als sie nach Hause kamen, hatte jemand eine Zeltwand mit dem Messer aufgeschlitzt, ein anderes Mal wurde ihnen ein Schlauchboot gestohlen. «Vielleicht wollen unsere Leser_innen wissen, wie sie euch helfen können. Was braucht ihr also am dringendsten?» Unsere gutgemeinte Frage damals kam nicht gut rüber. «Am dringendsten würden wir eine direkte Bier-Pipeline von der Brauerei Schwechat in die Republik Augustin brauchen», ätzten die Insulaner, sodass klar war, dass sie mit Mitleid von außen nichts anfangen konnten. Die Augustineinnahmen bildeten die Grundlage des Staatsbudgets. Peter trug zur Versorgung der Republik mit allen Notwendigkeiten durch die Straßenzeitungskolportage am Stubentor bei.

Freiheit statt Fernwärme?

«Wir wollen nicht mit Wohnungsinhabern tauschen.» War das eine Selbstheroisierung verzweifelter Männer, die nicht zugeben wollten, dass zivilisatorische Bedingungen ja auch angenehme Seiten hätten, zum Beispiel Fernwärme? Nein, ihr Ausstieg sei ein bewusst gewählter, antworteten sie, aber als sie sahen und spürten, dass ihre Körper zu Versuchsfeldern sämtlicher Schmerztypen (leicht gekürzt) und sämtlicher medizinischer Diagnosen (leicht gekürzt) geworden waren, nahmen sie, einer nach dem anderen, die eintrudelnden Wohnungsangebote an; vielleicht, weil sie fühlten, ihr Recht auf einen möglichst langen Lebensabend nicht verwirken zu dürfen.

Natürlich hatte Peter, «das Monster», stets einen Augustinausweis bei sich, aber niemand informierte uns von seinem Tod. Menschen vom Rand scheinen auch als Sterbende kein Recht auf Achtsamkeit zu haben. So wurde Peter Bauer, einer vom Augustin-Urgestein, begraben, ohne Anwesenheit derer, die guten Grund zur Trauer gehabt hätten. Aber sein einsamer Abgang im Alter von 49 Jahren hatte auch etwas Plausibles: Peter wirkte schüchtern und zurückgezogen, seit er der Letzte aus dem Quartett der «Insulaner» war. Auffallend war, so berichteten die Sozialarbeiter_innen, dass er kaum Augustin-Feste besuchte. Aber als der Falke, sein großes Vorbild, schwer krank wurde, konnte er sich auf die aufopferungsvolle Hilfe Peters verlassen.

Peter Bauer – der letzte Insulaner? Der Titel braucht eine Fußnote. Die Geschichte der Obdachlosen auf der Donauinsel ist mit dem Tod des «Monsters» nicht zu Ende gegangen, aber es ist jetzt eine Geschichte ohne Augustiner_innen. Irgendwann wird irgendwo wieder eine Republik Augustin ausgerufen werden. Die Winter sollen ja wärmer werden …