Der Lohn macht die MusikArtistin

Wien, Stadt der Klassik. Die Förderlage für klassische Musik bleibt gut – aber wie viel davon kommt bei den Musiker_innen an? Vina Yun hat sich in der musikalischen Heimatstadt von Mozart, Haydn und Beethoven umgehört. Foto: Lisa Bolyos

Im Sommer blühen allerorts wieder die Klassikkonzerte. Vor allem Wien wirbt mit seinem Image als Kapitale der europäischen klassischen Musik – «für mein Metier der beste Ort der Welt», wird Mozart gerne zitiert. Der Komponist gehört mit Haydn und Beethoven zur Trias der Wiener Klassik, jener stilbildenden musikalischen Epoche im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, deren Tradition bis heute in der Bundeshauptstadt hochgehalten wird.
Tatsächlich ist das hiesige Angebot für Klassikfans beachtlich. Ermöglicht wird die Vielzahl an Veranstaltungen etwa durch eine historisch gewachsene Infrastruktur, die trotz Förderrückgang noch immer gut subventioniert ist (über neunzig Prozent der öffentlichen Gelder für Musik gehen in den Klassikbereich), sowie eine große Anzahl hochqualifizierter Musiker_innen. Die finden sich jedoch zunehmend in prekären Arbeitsverhältnissen wieder.

Feierabend? Urlaub?

Wie in vielen Tätigkeitsfeldern der Kunst und Kultur stößt man auch im klassischen Musikbereich wiederholt auf unterbezahlte und unsichere Beschäftigungsformen. Sofern man nicht zu jenen Wenigen gehört, die eine dauerhafte, existenzsichernde Anstellung in einem Orchester haben, gehören Projektarbeit, befristete Verträge, unregelmäßiges Einkommen und damit finanzielle Unstetigkeit, schwankende Karriereverläufe und mangelnde soziale Absicherung (Horrorszenarien: Berufsunfähigkeit, Altersarmut) zum Alltag vieler Musiker_innen, die immer öfter freiberuflich unterwegs sind.
Die Mühen der Selbstständigkeit kennt die Flötistin Isabella K.* nur allzu gut. «Freiberuflich sein heißt, sich um alles selber zu kümmern, alles selbst zu organisieren. Es fordert sehr viel Eigeninitiative und Engagement», erzählt sie. «Generell muss man als Musikerin eine hohe Bereitschaft mitbringen, zu Zeiten zu arbeiten, wo andere Feierabend haben oder in den Ferien sind. Manchmal kommen tagsüber noch Proben dazu. Und man muss mobil sein, je nachdem, wo ein Konzert oder Festival stattfindet.» Selbst wenn kein Konzertauftritt auf dem Plan steht, sei ständiges Üben Pflicht, schließlich «ist das wie bei einem Sportler, man muss fit bleiben und in der Lage sein, auf hohem Level abzuliefern. Es kann jederzeit ein Anruf kommen: Hey, kannst du heute einspringen und spielen?»

Orchester, Baby, Hausarbeit.

Als Hochbegabte fing Isabella K. mit nur zehn Jahren ein Flötenstudium an. Schon früh entschied sie sich aber gegen die Arbeit im hierarchischen Orchesterbetrieb: «Für mich war es einfach nicht das Richtige. Mir taugt es total, immer wieder mal für ein Projekt eingeladen zu werden, und zu erleben, dass beim Spielen dutzend andere die gleiche emotionale Intensität empfinden. Ich bin aber froh, wenn ich danach wieder gehen kann.» Es ist ein untypischer Schritt für eine klassische Konzertmusikerin, wird doch schon in der Ausbildung das Berufsbild der Orchestermusiker_in als höchstes Karriereziel vermittelt. Und das, obwohl heutzutage die Aufnahme in ein Orchester schwieriger ist denn je, wie Rosa Reitsamer weiß. Die Musiksoziologin an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien forscht seit Jahren zu den Berufswegen klassischer Musiker_innen und die sich ändernden Arbeitsbedingungen. «In den 1950er- und 1960er-Jahren studierten viel weniger Leute westliche Kunstmusik, und die Wahrscheinlichkeit, in einem Orchester unterzukommen, war relativ groß», erläutert Reitsamer. «Mit Beginn des 21. Jahrhunderts dagegen drängen – nicht zuletzt aufgrund der Globalisierung – viel mehr Menschen auf diesen spezifischen Musikarbeitsmarkt, während die Orchesterstellen insgesamt weniger werden. Der Wettbewerb ist enorm.» Auch deshalb gehe bei den Beschäftigungsverhältnissen der Trend deutlich in Richtung Freiberuflichkeit bzw. temporäre Anstellungen.
Um ihren Lebensunterhalt zu sichern, hat sich Isabella K. mehrere Standbeine aufgebaut: Sie unterrichtet an einer Musikschule, gibt privat Flötenstunden und hält auf Einladung anderswo ebenfalls Kurse. In einer guten Woche spielt sie außerdem zwei bis drei Orchesterkonzerte, zeitweise mit extra Proben. Ohne ihren Partner, ebenfalls klassischer Musiker, mit dem sich Isabella Hausarbeit und Betreuung des gemeinsamen Kindes teilt, wäre all das kaum zu stemmen. Professionelle Musikerinnen mit Kindern sehen sich ohnedies mit besonderen Hürden konfrontiert: «Acht Wochen nach der Geburt habe ich mit dem Baby im Tragetuch einen Kurs in Italien abgehalten», erinnert sie sich. «Das würde ich heute so nicht mehr machen. Aber ich habe den Druck gespürt, dass ich schnell wieder präsent sein muss, damit ich den Wiedereinstieg schaffe. Viele denken: Die hat ein Kind, jetzt ist sie weg vom Fenster. Oder wenn ich ein Projekt zusage, fragen sie: Und wie machst du das mit dem Kind? Ein Mann kriegt so was nie zu hören.»

70 Euro minus Kleid und Fahrtkosten.

Durchschnittlich 70 Euro brutto verdient die Flötistin, wenn sie etwa bei den beliebten Salonkonzerten für Wien-Tourist_innen auftritt: Um 20 Uhr da sein, um 20.30 Uhr spielen, kurz nach 22 Uhr ist Arbeitsschluss. Vom verdienten Geld muss sie als Freiberuflerin noch Steuer und Sozialversicherung abziehen. Nicht miteingerechnet sind Ausgaben wie die Wartung der Instrumente, Aufwendungen für die Konzertgarderobe und etwaige Anreisekosten, hingegen sind mit dem Honorar die Rechte an Ton- und Bildaufnahmen bereits abgegolten.
Glamourös mutet das nicht an, Existenzprobleme hat Isabella K. aber glücklicherweise keine. «Ich bin in der angenehmen Position, dass ich mir aussuchen kann, wo ich spiele. Aber es gibt Kollegen, die es nicht so einfach haben.» Vor allem im Osten Österreichs sei der Lohndruck groß: «Ich kenne Musiker, die von Budapest nach Wien pendeln, um bei einem Konzert 80 Euro zu verdienen. Trotz der Hin-und-her-Fahrerei zahlt es sich für sie aus. Die spielen für weniger Geld, das sind trotzdem super Musiker. Und die Veranstalter wissen das.»
Während Berufsverbände in Deutschland und der Schweiz Mindesthonorare für selbstständig tätige Orchestermusiker_innen empfehlen bzw. bereits etabliert haben, ist man davon hierzulande noch weit entfernt. Wie schwierig die Organisierung von «Kreativarbeiter_innen» ist, die sich außerhalb der sogenannten Normalarbeitsverhältnisse bewegen, zeigt sich am Beispiel der von der renommierten Mezzosopranistin Elisabeth Kulman ausgerufenen, bislang jedoch ausbleibenden «Revolution der Künstler». Nachdem der deutsche Musicalproduzent Johannes Schatz 2013 die Facebook-Seite «Die traurigsten & unverschämtesten Künstler-Gagen und Auditionserlebnisse» ins Leben gerufen hatte, teilten zig Tausende ihre Erfahrungen mit Dumpinglöhnen und Diskriminierung in der darstellenden Kunst und der Musik mit der Öffentlichkeit. Kulman, die selbst die ausbeuterischen Zustände bei den Salzburger Festspielen zum Thema machte, wurde zur Botschafterin der aus dieser Debatte hervorgegangenen Initiative art but fair, die sich für gerechte Arbeitsverhältnisse in der Branche einsetzt und unter anderem die Entwicklung eines selbstverpflichtenden Gütesiegels anstrebt.

Über Löhne reden!

Wie aber lässt sich ein kollektiver Aufstand zustandebringen, wenn – wie auf Schatz’ Facebook-Page – Kritik nur unter dem Deckmantel der Anonymität geäußert wird? Gerade der klassische Musikbereich ist geprägt von institutionell ineinandergreifenden und sich personell überschneidenden Netzwerken, Jobs werden vor allem auf persönliche Empfehlungen hin vergeben. Der beinharte Konkurrenzkampf und die starke Individualisierung, die die elitäre Ausbildung an den Musikhochschulen begleitet, tun hier ihr Übriges. Insbesondere Nachwuchsmusiker_innen, die am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn stehen und ein Repertoire aufbauen wollen, nehmen schlechte Arbeitsbedingungen in Kauf. «Die Leute schweigen, weil sie Angst vor Sanktionen haben», konstatiert Rosa Reitsamer. «Und wenn jemand was sagt, kriegt diese Person nicht genügend Unterstützung und erlebt häufig einen Karriereeinbruch – das beobachten auch die anderen und ist nicht gerade förderlich für Solidarität. Unsichere Arbeitsverhältnisse befördern auch jede Art von Benachteiligung aufgrund von Geschlecht, Hautfarbe, Sexualität oder Religion: Sie schaffen ein Vakuum, sodass die Betroffenen nicht sprechen können, weil sie ständig Konsequenzen fürchten. Hier fehlt der Blick für soziale Ungleichheit.»
Um Veränderungen herbeizuführen, müsste an mehreren Schrauben gleichzeitig gedreht werden – etwa an der Ausbildung, die mit der Realität des Musikarbeitsmarkts clasht und ein Musiker_innenprekariat heranzüchtet, bei Arbeitgeber_innen, die die (Selbst-)Ausbeutung aufrechterhalten, und bei der Kulturpolitik, die sich hinsichtlich der sozialen Lage von Kunst- und Kulturschaffenden gerne zurückhält; aber auch an einer Kultur, in der nicht offen über Löhne und den Wert künstlerischer Arbeit gesprochen wird, und die somit keine Transparenz zulässt. Bis dahin wird die Revolution noch auf sich warten lassen.

* Name von der Redaktion geändert