Wie gefährlich ist der Wienerwald bei Nacht? Die Künstlerin Monika Kribusz gibt sich in einem Jahres-Experiment des Schlafens im Freien ihren unausweichlichen Phobien hin.Kindheitserinnerungen: Sonnenblumenfelder, kolchoseflächig. Alles eben südlich von Györ. Dennoch ist im Winter Schifahren möglich: in die Schottergrube hinab. In blauen Plastikfässern drohen die Pestizide der Kolchose, die sind tabu, aber rings herum ist die Schottergrube Monikas Paradies. Der erste Schritt der Entfremdung von dieser sekundären Natur, die aus Kindersicht natürlich nicht sekundär ist, stellen die Bücher dar, die Monikas Mutter aus der Stadt mitbringt. Mit zehn liest Monika Kribusz das, was normal Erwachsene lesen. Mutter hat sie mit dem Wissensdurst infiziert, der sie nestflüchtig macht. Als 18-Jährige besucht sie in Budapest eine Schauspielschule, später lernt sie Zeichnen. 1992 Rückfall in die Provinz, aber auf der anderen Seite der Grenze: Monika Kribusz lebt als Goldschmiedin in Parndorf und Bruck an der Leitha.1999 Wien hat eine Ungarin mehr. Die Erfahrung, dass hier nicht nur WienerInnen leben, sondern Menschen aus allen Richtungen, löst in Kribusz eine Art urbanes Zufriedenheitsgefühl aus.
Die Natur, die ist nun natürlich ganz weg. Dabei bietet Österreich so viel davon, sogar fast echte Wildnis, nicht nur Schottergruben, aber das Geld fehlt, um sich diese Natur zu nehmen. Monika Kribusz verliert ihre Identität und verlacht diesen Verlust. Ungarin? Österreicherin? Nein: eine, die sich in die Genderstudien vertieft. In die postfeministische Theorie. Eine, die an der Schnittstelle von Kunst und Sexualität experimentiert. Eine, die malt. Eine, die sich in Kalifornien, Indien und Österreich gleichermaßen zuhause fühlt. Die schließlich zur tantrischen Einsicht kommt, dass man durch seine Ängste, die man angehäuft hat, durchgehen muss, um zu einer erfüllten Sexualität zu gelangen. Doch gibt es Methoden, wie man durch seine Ängste geht? Ist es lernbar, sich ihnen hinzugeben? Monika Kribusz leitet Tantra-Workshops, sie will anderen diese Methode vermitteln.
Die Angst des Menschen vor der Natur
Ein Freund aus Burkina Faso, der als Musiker in Wien lebt, erregt mit seiner Geschichte über den Initiationsritus der jungen Männer seines Dorfes Monika Kribusz ganze Aufmerksamkeit. Sie müssen die Kleider ablegen, werden im Dschungel ausgesetzt, müssen im Dschungel ihre Angst besiegen und überleben mit dem, was der Dschungel bietet. Die Sprache, mit der sie im Dorf aufgewachsen sind, soll im Dschungel nicht gesprochen werden. Ein Meister lehrt sie eine neue Sprache.
Ich erinnere mich, dass subkulturelle Gurus der 60er Jahre, der Amerikaner Gary Snyder zum Beispiel, dieses Ausgesetztsein den Menschen der modernen Gegenwart empfahl, und zwar als eine Art Krisenintervention. Als Programm, sich der Wildnis auszusetzen, um dadurch die cartesianische Spaltung von Natur und Geist in uns zu überwinden, so dass wir auch der äußeren Natur weniger feindselig begegnen müssen. Snyder damals: «Wenn man die menschliche Natur suspekt macht, dann macht man auch die größere Natur, die Wildnis zur gefährlichen Widersacherin. Das ist der Grund für die heutige ökologische Krise.»
Aus der Zeitverzögerungs-Diskussion ist mir der Zusammenhang von Wald und Zeitsystem bekannt. Der moderne Mensch, der gelernt hat, seine Hochgeschwindigkeits-Lebensführung für Lebendigkeit zu halten, muss die Entschleunigung bedrohlich halten: Sie konfrontiert ihn mit seiner Angst vor Stillstand, den er assoziativ mit Hinfälligkeit und Endlichkeit gleichsetzt. Die Kribuszsche Situation, die im Folgenden beschrieben wird, ist eher eine Situation des Stillseins.
Mit Jahresbeginn geht Monika Kribusz in den Wald. Im Jahr 2010 wird sie viele Nächte hier verbringen. Auf jeden Fall die Vollmondnächte, aber auch die Nächte davor und danach. Die Stelle, die sie sich dafür gesucht hat, liegt im Wienerwald. Mit dem Postautobus ab Bahnhof Hütteldorf kommt sie ziemlich nahe ran. Das ist wichtig, denn tagsüber arbeitet Monika Kribusz ja in ihrem Atelier im achten Bezirk. Anfang Februar, als sie mich zu den beiden Bäumen führt, an die sie vor Beginn der Dunkelheit ihre Hängematte befestigt, findet sie eine frappierende Situation vor. Einer der Hängemattenbäume ist gefällt worden. Der sie gefällt hat, ein Arbeiter der Bundesforste, schaut uns von weitem zu. Weil in diesem Waldstück aber auch viele andere Bäume frisch gefällt umherliegen, bin ich mir sicher, dass es sich um einen Zufall handelt. Monika Kribusz teilt meine Gelassenheit nicht ganz. «Im Jänner hat ein Beamter der Bundesforste die Hängematte durchschnitten», sagt sie. Dass der Wald niemanden und allen gehört, ist eine Utopie, das hat die Künstlerin nun begriffen.
Wie einzelgängerisch ist ihre Aktion? Sehr, wenn man im Bekanntenkreis nach ähnlichen Erfahrungen fragt. Überhaupt nicht, wenn einem klar wird, dass die Künstlerin was tut, was «alle» gern tun würden. Trotz der Ängste spüren immer mehr Zeitgenossen die Sehnsucht, sich der Natur auszusetzen, um ihre Erlebnisfähigkeit zu steigern.
«Ich habe wahnsinnige Angst, im Wald zu übernachten», gesteht Monika Kribusz. «Aber weil die Angst überall ist, nützt es auch wenig, mit anderen Menschen darüber zu reden, weil jedes Gespräch den Resonanzkörper erweitert, der die Ängste zum Tosen bringt. Bekannte und Freunde, die ich über mein Projekt informierte, steigerten eher meinen Horror, als dass sie ihn milderten. Eine Freundin berichtete mir, sehr sensibel, sie habe gehört, dass Wildschweine im Lainzer Tiergarten einen Hund zerfleischten. Danke für solche Ermutigungen. Nur wenige Freunde machten wirklich Mut.»
Obwohl man die Phobie nicht austricksen kann, erfindet man Trick für Trick: «Meine Taktik war, mir die positiven Seiten meiner Übernachtungen einzureden: Du atmest frische Luft wie nie. Du siehst Tiere. Du erlebst den Winter pur. Du hast Grund, stolz zu sein. Dir wird Aufmerksamkeit entgegengebracht werden. Und dann liegst du in der Hängematte und hörst ein Geräusch, das du nicht zuordnen kannst. Du erstarrst sofort, traust dich nicht zu atmen. Ein Ast kracht. Da ist jemand draufgetreten. Ein Mann mit einem Messer. Die Starre löst sich, du kannst Blicke in die Umgebung riskieren, die nach oben offene Hängematte erlaubt das. Die ersten Nächte schlief ich im Zelt. Im Zelt fühlst du dich noch stärker ausgeliefert. Du kannst den Blick nicht schweifen lassen. Und wenn der Wind mit der Zeltplane spielt, liegst du atemlos und handlungsunfähig im Schlafsack. Der Mann mit dem Messer macht sich am Zelt zu schaffen.»
Die Blaue und die Unwirtliche
Die Nächte im Wienerwald: das aufregendste Selbsterfahrungsprojekt im bisherigen Leben der Künstlerin. Vor allem aber ein Kunstprojekt. Monika Kribusz ist Malerin, Fotografin, Filmerin, Performerin. Am Ende ihres Wienerwaldprojekts wird sie ihre Erfahrungen vielfältig dokumentiert haben, vor allem in Text und Bild. Niemand wird die blaue Stunde so wahrgenommen haben wie sie. Die blaue Stunde ist für FotografInnen wie Weihnachten, Mayday, runder Geburtstag, Sonnenfinsternis, Silvester und Lottogewinn gleichzeitig, zusammengeballt auf 30 bis 50 Minuten nach dem Sonnenuntergang und vor dem Sonnenaufgang. Das Wunder der Dämmerung, die nie zur Gewohnheit wird. Die blaue Stunde einzufangen ist eine Herausforderung für jede Fotokünstlerin.
Und niemand wird die Nacht in der Nacht so wahrgenommen haben wie Monika Kribusz. «Das ist die Zeit zwischen zwei und vier Uhr früh. Da ist die Angst am größten, der Wald am stillsten, die plötzlichen Geräusche am unheimlichsten, der Himmel am dunkelsten, das Ausgesetztheitsgefühl am stärksten. Alles scheint tot zu sein, kein Tier ist zu hören, lebendig sind nur die eingebildeten Risken. Es gibt nichts Unwirtlicheres als diese Zeit zwischen zwei und vier. Wenn du in dieser Phase aufwachst, spürst du sofort ihre spezielle Stimmung.»
Auf dem Weg zu ihrer Waldstelle fragt mich Monika Kribusz, ob ich den Witz über die zwei Planeten kenne. Die unterhalten sich über ihre Krankheiten. Ich habe Homo sapiens, sagt der eine. Das geht vorüber, beruhigt der andere. Wär gar nicht schlecht, lache ich: All diese blöden Phobien sterben nur aus, wenn auch die Menschen aussterben. Aber unter meinem Lachen liegt die Frage, ob Monika Kribusz mit ihrer Kunst einen Beitrag leisten könnte, die Verhältnisse so zu ändern, dass die Menschen das Leben der künftigen Generationen nicht vermasseln. Früher hätte ich diese Frage sofort verneint. Für Selbsterfahrungssüchtige hatte ich eine Schublade parat. Und die Kribuszsche angstfreie Sexualität war nicht das erste, was mir zum Thema emanzipatorische Politik einfiel. Heute denke ich z. B., dass ohne Achtsamkeit gegenüber der Natur kein humaneres Morgen möglich ist, und dass es Kunst braucht, die für diese Achtsamkeit steht. Und außerdem: Es braucht Menschen, die auf (Wald-)Besitzverhältnisse spucken. Die tantristische Angsttaucherin und Blaue-Stunde-Fängerin ist anarchistischer, als sie weiß.