Ein Serientäter sticht in der Nacht auf schlafende, obdachlose Personen ein. Zwei Männer sterben, eine Frau überlebt. Der Mörder suchte anonyme Opfer und das sind sie nach ihrem Tod geblieben. Nun bekommt eines ein Gesicht.
TEXT: NINA STRASSER
FOTOS: HEINZ S. TESAREK
Diese Reportage ist eine Kooperation vom Augustin mit dem Magazin ZWISCHENZEIT ONLINE.
Auf www.zwischenzeit.com lesen Sie Nina Strassers Reportage und sehen Sie weitere Bilder der Serie.
«Ein Verlangen wird man nicht einfach los»
Der ehemalige Gerichtsmediziner und Universitätsprofessor in Ruhe, Johann Missliwetz, versucht anhand seiner Erfahrungswerte, Rückschlüsse auf Taten und Täter:in zu ziehen.
INTERVIEW: NINA STRASSER
Was kann ein:e Gerichtsmediziner:in zur Klärung eines Kriminalfalles beitragen?
Johann Missliwetz: Ein Gerichtsmediziner ist kein Detektiv. Das wird nur in Filmen oder Romanen so dargestellt. Er gibt wichtige Informationen, die er gesammelt hat, an die Polizei weiter, die dann den Täter hoffentlich findet. Ich selbst war zumeist mit der Tatortgruppe vor Ort. Es ist sehr aufschlussreich, die Umgebung, in der eine Leiche aufgefunden wird, in die Analyse miteinzubeziehen; zum Beispiel ob es Blutspuren gibt, wie es offenbar in dem ersten Mordfall des Serientäters der Fall war.
Was können Sie aus den Spuren schließen?
Das Opfer hat sich nach dem Angriff noch 350 Meter bewegt. Das heißt, die Verletzungen waren nicht so schwerwiegend, um es handlungsunfähig zu machen. Das war auch in den anderen beiden Fällen so. Ich vermute also, es geht mehr um das Stechen und Schneiden selbst. Vielleicht wollte er zunächst nur wissen, wie es ist und ist auf den Geschmack gekommen. Ich gehe also von einem bedingten Vorsatz aus. Dem Täter scheint es demnach egal zu sein, ob ein Opfer überlebt oder nicht. Es kümmert ihn auch nicht, ob es sich dabei um eine Frau oder einen Mann handelt.
Wie wählte der Täter oder die Täterin die Opfer aus?
Einen speziellen Hass auf obdachlose Menschen kann ich mir nicht vorstellen. Ich denke, es war die einfache Gelegenheit. Bei Schlafenden ist wenig Gegenwehr zu erwarten. Die Opfer haben isoliert im Freien genächtigt. Anders gesagt: Er musste nicht erst irgendwo einbrechen, um jemanden im Schlaf zu überfallen. Dass er die Opfer vorher ausgespäht hat, ist denkmöglich.
Rein statistisch gesehen und anhand der Vorgehensweise kann man beim Täter von einem erwachsenen Mann ausgehen. Außerdem würde ich mehrere Täter zumindest nicht ausschließen. Wenn das allerdings so wäre, würde eine größere Chance bestehen, den Fall zu lösen, weil jemand etwas ausplaudert.
Wie ist es möglich, dass der Täter drei Mal unbeobachtet bleibt und auch danach nicht etwa durch blutverschmierte Kleidung auffällt?
Messerstiche, außer man trifft eine Schlagader, bluten eher nach innen als nach außen. Sollte Kleidung dazwischen sein, hält sie Blut zusätzlich ab. Wenn der Täter schwarz angezogen ist, fallen die paar Blutspritzer wahrscheinlich nicht auf. Mit einem scharfen Messer kann man mehrere Stiche innerhalb von wenigen Sekunden durchführen. Dazu ist auch keine Kraft erforderlich. Die Waffe ist noch dazu geräuschlos. Der Täter nähert sich also einem Schlafenden, sticht und schneidet, und entfernt sich. Das Opfer erwacht desorientiert und begreift zunächst nicht, was passiert ist. Inzwischen ist der Täter verschwunden. All das machte es möglich, die Taten an belebteren Orten auszuführen. Die Wahl der Tatorte lässt außerdem vermuten, dass der Täter von Mal zu Mal sicherer geworden ist. Eventuell hat er sich sogar an seinen Wohnort angenähert, weil er nicht mehr so weit fahren wollte.
Wie ist es möglich, bei einer skelettierten Leiche, wie jener, die am Wienerberg gefunden wurde, einen gewaltsamen Tod auszuschließen?
Wenn nur noch Knochen übrig sind, kann ich nur auf Verletzungen schließen, die Knochenverletzungen verursachen wie etwa Erschlagen. Trifft ein Messerstich auf einen Knochen, verursacht auch das eine Spur. Aber nur weil es keine konkreten Anhaltspunkte für ein Tötungsdelikt gibt, heißt das nicht, dass es ausgeschlossen werden kann.
Wieso ist die Klärung dieser Taten an obdachlosen Menschen so schwierig?
Die Aufklärungsquote bei Morden liegt in Österreich bei bis zu 95 Prozent. Das liegt daran, dass es zwischen Täter und Opfer zumeist eine Beziehung gibt. Es hat also einen Konflikt gegeben. In den fünf Prozent ungeklärten Morden fehlt diese Beziehung meistens. So auch bei dieser Serie.
Denken Sie, die Angriffe sind aufgrund der höheren Aufmerksamkeit der Polizei nun vorbei?
Wenn ich davon ausgehe, dass kein Trittbrettfahrer im Spiel ist und es sich nicht um eine Tätergruppe handelt, dann reden wir hier von einem Serientäter. Solche Menschen haben oft schon jahrelang Fantasien, bevor sie sie in die Tat umsetzen. Warum hört so jemand auf? Sehr häufig liegt es daran, dass er wegen eines anderen Deliktes in Haft gekommen ist. Darum gehören solche Personen als erstes kontrolliert. Was man aus bekannten Fällen außerdem weiß, ist, dass sich Serientäter durchaus zwei, drei Jahre zusammenreißen können. Aber ein Verlangen wird man nicht einfach los.
Hinweise zur Ergreifung des Täters oder der Täter:innen an das Landeskriminalamt: 01-31310-33800