Der Müll, der Markt und das AMStun & lassen

Hannovermarkt. Zwischen Kühllaster und Müllpresse räumen Menschen den Abfall weg und sortieren ihn richtig. Sie sind Teil eines AMS-finanzierten Projektes zur «Wiedereingliederung» ins Berufsleben.

Text & Fotos: Hannah Luschnig

Unter dem aufgerollten Schlauch hat sich ein Rest Blut mit Wasser vermischt, daneben liegt oranger Matsch, vielleicht eine Kaki, die ein schwerer Stiefel zerdrückt hat. Es weht den Geruch von Biomüll herüber. Vor der Tür zum kleinen Aufenthaltsraum steht Roland Achatz, schwarze Jacke, aufrechte Haltung, an der rechten Seite baumelt ein Schlüsselbund von der Gürtelschlaufe. Zu Mittag hat er einen Termin beim Zahnarzt, da muss er kurz weg. «Manche haben ein neues Auto in der Gosch’n», kommentiert einer seiner Mitarbeiter und lacht. Eine neue Krone kostet nämlich ein kleines Vermögen.

An der Müllpresse.

Der Arbeitstag von Roland Achatz beginnt um 5.30 Uhr, da ist es im Winter noch stockdunkel. Von da an ist er ständig auf Achse, fährt zu den verschiedenen Standorten, die er betreut. Montags bringt er die Neuen zum Hannovermarkt, dort werden sie eingeschult. Einige kommen nach den ersten Tagen nicht mehr. «Die haben sich das anders vorgestellt», sagt Roland Achatz. Er ist Fachbereichsleiter der Sozialökonomischen Betriebe (SÖB) der Volkshilfe Wien. Dort sind insgesamt 150 Leute beschäftigt, die das Arbeitsmarktservice vermittelt hat. Voraussetzung ist, dass sie über 50 Jahre alt oder seit mindestens einem Jahr arbeitslos sind. Ziel sei es, die Menschen «langsam wieder an die Erwerbstätigkeit heranzuführen», erklärt Sebastian Paulick, Pressesprecher vom AMS Wien. Die Menschen könnten in einer geschützten Umgebung arbeiten und bekämen wieder Kontakte. Denn: «Wer kein Geld hat, kann auch nicht auf einen Kaffee zur Aida gehen. Viele arbeitslose Menschen sind sehr isoliert. Sie gehen nur zum Einkaufen raus», sagt Roland Achatz. Eines der SÖB-Projekte ist die Überwachung der Mülltrennung am Hannovermarkt in der Brigittenau. Dort arbeiten Rene W., Toni K. (Name v. d. Red. geändert), Yilmaz A. und Markus S. an der Müllpresse.
Toni K. drückt seine Zigarette aus. Heute ist nichts los, da gehen sich viele Rauchpausen aus. Montagmorgen heißt es: erst einmal die Sauerei vom Vortag wegräumen. Manchmal lagern Firmen übers Wochenende ihren Schutt hier ab, oder ganze Paletten mit Kisten voll faulendem Obst stehen noch herum. Ein Marktstandler kommt, nur ein paar kleine Holzkisten in der Hand, zwischen den Zähnen eine Zigarette. Er kennt sich aus: rechts Altpapier, links Restmüll. Er wirft die Kisten in den offenen Schlund der orangen Ungetüme. Die Presse beginnt zu surren. Er geht ohne Gruß vorbei, mit gesenktem Blick. Mit dem gibt’s öfter Zwist. Untereinander ist’s eine Gaude, da rennt ständig der Schmäh. Aber mit den Marktstandlern, da können schon mal die Fetzen fliegen. Die wollen das mit der Mülltrennung nämlich oft nicht so durchziehen und fangen an zu verhandeln. Letztens hat einer Toni K. ein Red Bull angeboten, wenn er ihm die Arbeit erspart. Aber Toni K. ist hart geblieben: Die grünen Netze müssen von den schimmligen Orangen geschält werden.
Gurr, macht eine Taube und springt vor der Presse hin und her. «Na schau, da ist sie wieder, die weiße. Servus, Prinzessin!» Die Tauben sind ein bisschen wie Haus­tiere auf diesen paar abgegrenzten Quadratmetern. Links steht ein großer weißer Kühl-LKW, rechts stehen die Müllpressen, davor eine Absperrung mit Eisen­kette. Darüber blauer Himmel und weiße Wolken. Die fliegen überall rein, die Tauben, in die Presse auch, da zum Beispiel ist eine, die hat schon einen lädierten Fuß. Vor drei Tagen gab’s eine Tragödie, da hat eine Taube unterm Baum gelegen, ganz zerquetscht, und hat sich nicht mehr gerührt.

Zweckoptimismus.

Seit zehn Jahren organisiert die Volkshilfe die Mülltrennung am Hannovermarkt. Zur Zufriedenheit des SPÖ-Bezirksvorstehers Hannes Derfler: «Seitdem läuft das genial. Davor war eine private Firma zuständig, dort hat eine Person die gesamte Dienstzeit von Montag bis Samstag alleine gemacht.» Bei der Volkshilfe gibt es Schichtbetrieb. Die Leute verdienen 1.280 Euro netto für eine Vollzeitstelle, also ein bisschen mehr, als eine Zahnkrone kostet. Sie können sechs bis neun Monate bleiben, danach geht es zurück zum AMS. Oder idealerweise in einen Job am sogenannten ersten Arbeitsmarkt: Für diese «Wiedereingliederung» zahlt das AMS solche Projekte auch.
«Unser Interesse ist, dass jemand Erfahrungen in einem Bereich sammelt, wo es dann eine Anschlussperspektive gibt. Letztes Jahr, also 2021, haben wir fast 30 Prozent Vermittlung geschafft», erzählt Michaela Seltenreich-Kohl, Geschäftsfeldleiterin der SÖB für den Bereich Reinigung und Schneiderei der Volkshilfe.
Um Punkt zwölf gibt es Energy-Drinks, Yilmaz A. gibt aus. Die Dosen liegen kalt in der Hand. «Scheiß Winter», sagt jemand. Yilmaz A. nickt und lacht. Wenn er nickt, dann wackelt seine Baseballmütze mit, blau, mit dem Uniqa-Logo vorne drauf. Yilmaz A. ist gelernter Anstreicher und Maler und hat mal dies, mal das gearbeitet im Leben. Zum Beispiel im Billa-Lager oder als Abwäscher auf der Johann Strauß am Donaukanal. Er ist seit September am Hannovermarkt mit dabei. «Die Atmosphäre ist gut», sagt er. Was er danach vorhat? «Keine Ahnung», antwortet er und lacht schallend. Er ist Optimist, aber er will sich nicht zu große Hoffnungen machen. «Während Corona werden Leute gekündigt und nicht eingestellt.»
Ein junger Bursche schlendert ins Revier, eine Kiste mit Weintrauben in der Hand. Die gehören in den Biomüll, aber die Verpackung muss in den Restmüll. Schwups, alles gekübelt. Toni K. schimpft ein bisschen: «Du kannst es hundert Mal erklären.» Der Junge zuckt mit den Schultern, dann fängt er an zu pfeifen, aber als er geht, dreht er sich auf seinen weißen Champion-Schuhen nochmal kurz zu Toni K. um. Und grinst. «Zisch ab!», ruft ihm Toni K. hinterher. Er klopft sich eine blaue Chesterfield aus der Packung. «Das gibt’s ja nicht.» Dann zwinkert er mir zu, lacht, hat ja keinen Sinn, sich aufzuregen.
Toni K. war Installateur. Bis er einen Zwerchfelldurchbruch hatte. Jetzt hat er lauter Klammern im Körper und darf nicht mehr schwer heben. Er fährt eine Linie am Bauch nach, zwischen den Reflektierstreifen seiner gelben Weste. Und dann hat das mit der Diabetes angefangen. «Da nimmt dich dann niemand mehr», sagt er. «Wenn du das bei der Bewerbung sagst, dann legen sie die Ohren an.»

Gesundheit oder Job.

Heute ist nicht viel los, nicht wie samstags. «Da bringen sie dich um», meint Toni K. An Samstagen hat er schon einmal blaue Lippen bekommen vom Sauerstoff­mangel. Vor lauter Stress ist ihm die Luft ausgegangen. Aber am härtesten ist die Melonenzeit. Da kommen die Marktstandler mit Containern voller Melonen. Die müssen alle in den Biomüll. «Da bist du froh, wenn du danach noch ein Kreuz hast.»
Yilmaz A. dreht die blaue Baseballmütze leicht nach links. In seinem letzten Job war er bei einer Baufirma beschäftigt. Schuften bis zum Abdrehen, kaum Geld am Monatsende. Nach drei Monaten hat er gekündigt. Gesundheit oder dieser Job, was ist wichtiger, hat er sich gefragt. «Wenn du was findest am normalen Arbeitsmarkt, dann ist das oft viel schlimmer als das hier», sagt er, kehrt den Dreck vor der Presse zusammen und lacht sein ansteckendes Lachen.