Der Platz, nach dem niemand gefragt hatvorstadt

An der Grenze von Meidling, Margareten und Mariahilf befindet sich die Station Margaretengürtel. Ein Ort, der aus dem Stadtbild Wiens heraustanzt.

TEXT & FOTOS: MAXIMILIAN KLAWONN

Ein Kind weint, ein Autoreifen quietscht, die U4 rattert ­sinusförmig von früh bis spät. Der Margaretengürtel schlängelt sich zwischen Bruno-Kreisky-Park und Bimstation der 6er- und 18er-Linie entlang. Hier hängen schlaksige Arme mit Einstichlöchern in der Armbeuge, hier hängen Köpfe in halb gegessenen Dönern, hier spielen Polizist:innen und Suchtkranke Räuber und Gendarm. Die Gravitation des Würstelstands spürt man deutlich.
Flucht über den Gürtel, doch die Ampel sagt Rot. Zebrastreifen, Ampelgrün, an der graffitibeschmierten Plexyglasscheibe vorbei, die den Lärm kaum mindert. Der Bruno-Kreisky-Park. Schweißglänzende Muskeln mit Hang zum ­Exhibitionismus, ­Rentenbeziehende mit Hund an der Leine und Hang zum Voyeurismus. Ein Frisbee fliegt, ein Kopftuch wird gerade­gerückt, ein Kuss in einer halbgemütlichen Hängematte. Alles tanzt umeinander, ohne sich zu berühren. Letztere beruhen auf einer Kunst­installation und wurden nach positiven Reaktionen permanent im Park angebracht. ­Weniger bequem, aber dafür diebstahlsicher. Ist das ­diese «Avantgarde»?
Begrenzt wird das zweigeteilte Gewusel von geschlossenen Hotels, menschenfabrikartigen Physiotherapien, Wohnhäusern und offenen Toren zu anderen Welten: dem Gürtel, dem Wiental, dem Weitblick über die ­sogenannte Stadtwildnis Richtung U6. Je näher man ins Zentrum dieses Universums gerät, umso konzentrierter das Gewusel, umso stärker die Anziehung. Polarisierend ambivalent, wie der Mann, nach dem der Park 2005 umbenannt wurde. Als Denkmal für Bruno Kreisky dient eine Büste ohne Oberkörper, eine Plastik, als wäre er per Guillotine enthauptet und der Kopf in Bronze gegossen worden.

Dreibezirkseck.

Geht man vom Würstelstand Richtung Asia-Imbiss zehn Schritte über die Gleise, steht man genau im Dreibezirkseck. Hier grenzen Mariahilf, Meidling und Marga­reten aneinander. Hier steigen jeden Tag laut Wiener Linien 30.000 Menschen um. Dreht man sich nun lange genug im Kreis, wird ­einem schwindlig. So wie dem, der neben dir berauscht auf der Bank einschläft und sich an deine Schulter kuschelt, während die Kebab­mischung sich über deine Hose verteilt.
Wegen so etwas ruft man nicht die Polizei. Der Margaretengürtel wird nicht von Spießigkeit regiert. Außerdem warten die eh schon an der nächsten Ecke. Suchen die Räuber, wähnen sich im Überraschungsvorteil, und erwischen dann doch nur einen kleinen Fisch. Einen, der höchstens fasriger Auswuchs von echter Kriminalität ist.
Die Anziehung geht wohl nicht von der ausufernden Schönheit der Gegend aus. Das ­U-Bahn-Stationsgebäude ist das ästhetischste Objekt im Blickfeld. Oder die Muskeln der Pumper, je nach Geschmack. Es ist das Abstoßende, Ungewöhnliche, das Fehl-am-Platze daran. Wenn es sich normal anfühlt an diesem Ort, im Zuge eines Filmfestivals mit Hunderten anderen Sci-Fi-Filme zu schauen, Bier zu trinken, einen Satz nicht zu verstehen, weil direkt nebenan wieder die Reifen durchdrehen.
Der Platz mit dem Würstelstand, der Park mit seinen Bänken bereitet kein Unbehagen. Wenn, dann manchmal. Hier ist stets etwas los. Tagsüber die Küssenden, Muskelbepackten, die Zittrigen oder Windeltragenden. Dann die barfüßig Nachtschwärmenden, Make-up-Verschmierten, Haltestation-Schlafenden.
Es gilt, Kontraste auszuhalten, die Fehl-am-Platzigkeit zu akzeptieren, verschwimmende Grenzen zu wahren. Fraglos, dass ein Raum wie dieser Notwendigkeit besitzt. ­Dennoch bleibt offen, wie viele der sich hier Tummelnden freiwillig da sind.