Der Ragnarhof und die Kunst der Gentrifizierungtun & lassen

Immo Aktuell

Bis in die 2000er-Jahre galt der Ottakringer Ragnarhof der freien Kunstszene als Top-Adresse. Heute gehört er einer Immobilienfirma. Nachruf auf ein «trockengelegtes Biotop».

Text: Sónia Melo
Illustration: Much

Der Ragnarhof ist nicht mehr. Doch das Schild mit dessen Markenzeichen – Chaplins schwarzer Chapeau – hängt noch immer in der Grundsteingasse 12. Was ist sonst noch übriggeblieben vom ehemaligen Ottakringer Biotop künstlerischer Produktion der freien Szene? Heute gehört es zum größten Teil einer Immobilienfirma, die in den ehemaligen Ateliers auch ihren Sitz hat. Eine gründliche Sanierung ist im Gange, die Fassade bereits herausgeputzt. Eine Werbeagentur und drei Künstler_innen sind hier zur Miete. Eine davon ist die bildende Künstlerin Heidrun Widmoser. Vor 22 Jahren bezog sie ihr Atelier, «noch vor der Gentrifizierung», wie sie sagt.

Der alte Ragnar.

Der Ragnarhof, ein ehemaliges Industriegelände aus dem 19. Jahrhundert, stand 1988 kurz vor dem Abriss. Der Berliner Dr. Ragnar Mathey kaufte das Haus und begann Künstler_innen zu beherbergen. So entstand an diesem Ort im Laufe der Jahre ein Freiraum für Kunst und Kunstinteressierte. «Ein intelligenter, kreativer Kopf, der gerne Künstler_innen um sich hatte», sagt Heidrun Widmoser über den «alten Ragnar». Bei einer ihrer Ausstellungen im Atelier des Museumsquartiers 1999 lernte sie ihn kennen. Sie war auf der Suche nach einem neuen Atelier, er lud sie ein, eines im Ragnarhof zu beziehen. «Ich war begeistert von dem lichtdurchfluteten Raum», erinnert sie sich.
Zwei Jahre später, 2001, starb Ragnar Mathey. Die neuen Besitzer_innen, unter denen auch Künstler_innen waren, sanierten den renovierungsbedürftigen Ragnarhof minimal. «Das Haus haben sie in eine Partymeile verwandelt. Die Hipsterzeit begann», bedauert Widmoser. Das sei für sie der Anfang vom Ende des Ragnarhofs gewesen. «Endgültig vorbei» war es dann Ende 2019, als die Immobilienentwickler Kaswurm das Haus kauften. Widmoser, die einen unbefristeten Hauptmietvertrag hat, wurde versichert, sie habe nichts zu befürchten. «Bald aber wurde mir klar, dass ich hier nicht erwünscht bin», erzählt sie. Ihr wurde ein Raum mit wesentlich weniger Licht im Erdgeschoß angeboten. «Da Licht so enorm wichtig für meine Arbeit ist, lehnte ich ab.» Weitere Angebote kamen, alle lehnte sie ab. Als es ins Atelier hineinregnete und sie aufgrund von Gefahr im Verzug die sanierungsbedürftigen Räumlichkeiten nicht mehr nutzen durfte und ein Kündigungsschreiben bekam, engagierte sie einen Rechtsanwalt. Denn als Ersatz müsste sie einen gleichwertigen Raum zur Verfügung gestellt bekommen, was bisher nicht geschehen ist. Eine Stellungnahme der Firma Kaswurm hat der Augustin nicht erhalten, denn «die Geschäftsführer möchten hierzu keine Informationen oder Interviews (schriftlich wie mündlich) geben», heißt es in einem Schreiben.

Nichts mehr los.

Laut Magistratsabteilung 25 – Stadterneuerung und Prüfstelle für Wohnhäuser – steht der Künstlerin zu, das Atelier, in den vorherigen Zustand wiederhergestellt, zurückzubekommen. Stattdessen wurde eine zweite Kündigung ausgesprochen, mit der Begründung, sie nutze das nutzbare Atelier nicht. «Ohne Decke und Heizkörper wird es mir unmöglich gemacht, dort zu arbeiten, die Bauarbeiten sind einfach nicht abgeschlossen», moniert Widmoser. Seit Mai 2020 bezahlt sie für ein Atelier, in dem sie nicht arbeiten kann. Für die Malerin bedeutet das große Einbußen. Das Atelier ist für sie nicht nur ein Ort der Produktion, sondern auch des Verkaufs: «Ich lade Kund_innen und Galerist_innen ein, um meine Bilder zu präsentieren.» Das Ganze, und nicht zuletzt die damit einhergehende seelische Belastung, habe ihre Arbeit sehr gebremst.
Auch Künstler Hermann Staudinger blieb im Haus, auch ihm wurde ein Raumwechsel angeboten. Er nahm an und zeigt sich zufrieden mit den neuen Besitzer_innen. Der vielseitige Künstler – bildende Kunst, Kunst im öffentlichen Raum, Vergoldung – fühlt sich nicht unfair behandelt, im Gegenteil: «Es hat gut gepasst, die Kaswurms waren sehr kulant.» Seit 15 Jahren ist Staudinger im Ragnarhof, auch er hat «den alten Ragnar» gekannt, «ein 80-jähriger Hippie», unter dem das Kulturzentrum ein lebendiger Ort der Kunst gewesen sei. «Im Sommer war im Hof immer was los.» Davon sei nichts mehr übrig. Die Gentrifizierung im Bezirk Ottakring sieht er gelassen. Dass aber «die Migrant_innen sich nicht wegkriegen lassen», darüber ist er schon froh.

Die Szene und die Stadt.

Von der Stadt Wien würde sich Widmoser für Kunstinitiativen der freien Szene mehr Unterstützung, Begleitung und Wertschätzung wünschen. Denn die bereichern den Bezirk, ja, die Stadt: «Das Ragnarhaus ist ein Werk vieler freier Künstler_innen.» Dass große Firmen diese Biotope trockenlegen, einen Ort beanspruchen, «den wir aufgebaut haben», das will sie nicht stillschweigend hinnehmen. Dass das Schild vom alten Ragnarhof noch hängt, empfindet sie als irreführend: «Was hier passiert, ist schon lange nicht mehr im Sinne von Ragnar.»