Der Realität keinen Gefallen tunArtistin

Sven Regener und sein Roman «Wiener Straße»

Das Fernsehen und der Tod brachten den deutschen Schriftsteller und Musiker Sven Regener nach Wien. Der Augustin nutzte die Gelegenheit zum Gespräch. Von Rainer Krispel (Text) und Mario Lang (Foto).

Regener, am ersten Tag des Jahres 1961 in Bremen geboren, in Berlin lebend, hat ein Werk, als Musiker, vor allem mit seiner Band Element of Crime, und Schriftsteller, das zu kennen sich lohnt. Dieses Werk hier zusammenfassen zu wollen oder gar zu versuchen es nachzuerzählen, wäre ob seines Umfangs und seiner vielen Aspekte und Nuancen vermessen; oder – wir reden hier schließlich von einem Liedtexter und Literaten, Meister des (gelegentlich um die Kurve) geradeaus formulierten Satzes, der dabei als empathischer Mensch beiläufig der Floskel «auf den Punkt gebracht» immer wieder Daseinsberechtigung zukommen lässt – schlicht verblödet. Also trauen wir uns Empfehlungen. Was Element Of Crime anbelangt «Lieblingsfarben und Tiere», das jüngste, 2013 erschienene Studioalbum der seit 1986 existierenden Band, eine Nummer 1 im Land mit dem A, was tatsächlich einmal für Österreich spricht. Und «Fremde Federn», 2010 erschienene Sammlung von Coverversionen, die Can mit George Michael zusammenbringt, Brecht/Weill mit den Bee Gees, oder Andreas Dorau (mit dem Regener 2016 dessen biographische Geschichten als «Ärger mit der Unsterblichkeit» in Buchform veröffentlichte) mit Serge Gainsbourg. Dazu noch zeigt, wie gut Element Of Crime Englisch können und wie tief die Rezeptionsfalle ist, die Band auf Regeners zugegeben brillante Texte zu vereinfachen (weil von und über Musik müssen wir noch reden lernen).

Bei den Büchern beginnen wir auf Zeithöhe mit «Wiener Straße», im September 2017 veröffentlichter fünfter Roman Regeners, dem es 2001 mit seinem literarischen Debüt «Herr Lehmann» gelang, über eine Million kaufende Leser_innen zu finden und diese vortrefflich zu unterhalten. Erwähnt werden will noch «Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt», 2013 erschienen, ein Roman, der diesen Leser lachend über eine Frühlingswiese rollen ließ. Was hier aufgeschrieben ist, nicht um Regeners Schreiben unverrückbar im heiteren Fach zu verstauen, was ein ausgemachter und schon wieder vereinfachender Blödsinn wäre, sondern um zu zeigen, dass es im Wortsinn zu bewegen vermag. Wie eben nur die beste Literatur.

Menschen im Hotel.

Ein Gespräch mit Sven Regener ist wie ein Jackpot für Menschen, die Interviews in ihren Lebensroutinen wissen, dabei aber das Zuhören noch nicht verlernt haben. Vom Fernsehen in ein Hietzinger Hotel gebucht, ist schon vieles gesagt, als Regener vor der (Interview-)Zeit vom Essen zu seiner temporären Unterkunft schlendert. So gehen und schauen nette, trauen wir uns doch – gute Menschen. Im Zimmer schaltet er den Wasserkocher ein, und während der das seine tut und der Instant-Kaffee wartet, sondieren wir das Gelände. «Es sind doch sehr stabile Demokratien, in denen wir leben, und das ist ja dann auch beruhigend (…) Dass man seinen Mitmenschen, der Wohnbevölkerung des Landes, eigentlich nicht traut. Im Kern auch ein schizophrener Akt, erstens gehört man selber dazu, und zweitens sollte man nicht so hochmütig sein und glauben, dass bloß man selber irgendwie wüsste, was los ist und die anderen Leute alle gar nicht, und drittens tun wir der Realität keinen Gefallen, wenn wir so kollektive Identitäten schaffen und, was passiert, dann subsumieren.» Schon reißt der Interviewer die Arme in die Höhe und das Fenster auf, lässt Hietzing wissen, dass wir doch frei sind. Dann reden wir über «Wiener Straße», ein Buch, das abermals vortrefflich unterhält und dieser Leser ungern verlassen hat, weil mensch gerne wüsste, was mit diesen Menschen, die darin vorkommen, dann denn noch alles ist. Regener streift schreibend durch ein Milieu, das seine Bücher schon bevölkert hat, das sich inmitten der mythenträchtigen frühen 1980er in Berlin entfaltet (wir wissen noch «Mauerstadt», «kalter Krieg», «Berlin Wall City»), so normal und absurd zugleich, wie es eigentlich nur die Wirklichkeit kann. Auch den Herrn Lehmann treffen wir wieder, abermals als der sprichwörtlich normale Mensch in einer Welt, die schon auch gerne aus den Rudern läuft. Sven Regener erzählt, dass es die Personen waren, die Menschen, die ihn sich wieder an einen Plot setzen haben lassen, der nach der Arbeit an «Der kleine Bruder», seinem 2008 erschienenen dritten Roman, in Position war, und an dem er ursprünglich wie an einer TV-Sitcom oder einem Theaterstück geschrieben hat.

Liebe ist kälter als der Tod.

Es ist erstaunlich, in einem Gespräch mit dem Menschen, der ein Buch geschrieben hat, dass mensch sehr gerne gelesen hat, erfahren zu dürfen, was in diesem Buch alles drinsteckt. Eine Ahnung zu bekommen, wie genau «der Schöpfer» seine Figuren kennt, mit wie viel Sympathie und Nähe er sie begleitet, wie sie selbst ihn überraschen, weil er ihre Entwicklungen zulässt. Dass in «Wiener Straße» in der Nachbarschaft der zentralen WG von vier Menschen eine Künstlergruppe mit österreichischer Beteiligung eher unnobel residiert, «Otto Mühl in einer Nussschale», darf in diesem selbstbezogenen Land schon erwähnt werden. Wobei klar ist, dass Sven Regener ganz schön viel weiß, über die vermeintliche und tatsächliche Nähe von Wien und Berlin, in den frühen 80ern, über «das Dunkle» und «das Morbide», den Kalten Krieg in der großen und der kleinen Welt, die Anziehungskraft von Städten, die in ihrem zerbröckelnden ex-imperialen Glanz noch immer ganz schön strahlen und wirken, über Kneipen, die «Ruine» heißen, weil sie tatsächlich in einer Ruine sind. Schon läuft die Frage, die versuchte Kritik, ins Leere, dass Regeners Bücher immer von Menschen bevölkert sind, für die es sich eh immer irgendwie ausgeht, deswegen, weil das nie fix ist, dass es sich ausgeht, und weil das alles immer anders ausgehen könnte. Darum hat mensch als Leser_in in «Wiener Straße» letztlich selbst die nervige Nichte des Wirtens lieb, und eben nicht nur deswegen, weil sie so scheißjung ist. Lesungen beschreibt Sven Regener, der «instiktiv» begonnen hat, immer im Stehen, an einem Pult liest, wie das «Vorsingen» des Geschriebenen. «Das ist wie im Theater, man setzt sich da hin und dann gibt’s 90 Minuten lang was auf die Zwölf. Das muss spannend sein, unterhaltend, dass man nicht einschläft und den Wunsch unterdrücken kann, aufs Klo zu gehen oder sich was zu trinken zu holen.» Was ich weiß, kann mensch im Rabenhof, wo Sven Regener demnächst aus «Wiener Straße» liest, sogar im Sitzen und beim Zuhören trinken. Bei ihm würde es sicher auch ohne gehen.

 

Sven Regener

«Wiener Straße», Galiani 2017, 304 Seiten, 22,70 Euro

Lesungen: 17. bis 19. 11., Rabenhof, 3., Rabengasse 3

www.svenregener.de