Die Farce wird von Bürokraten besser beherrscht als von Literaten. In Österreich etwa wird das Absurde von der Justiz emsig gepflegt - siehe Josef S.
Die Farce ist bekanntlich ein schwieriges Genre, wird sie doch von Literaten weniger gut beherrscht als von Bürokraten, vor allem von Justizbeamten.
Wer sich mit dem real existierenden Wahnsinn vertraut machen will, der muss nur die Urteile der «Legestheniker» (Latein: jene, die Schwierigkeiten haben, das Alphabet der Gerechtigkeit zu entziffern) studieren. Zum Beispiel jene des Obersten Gerichtshofes der USA, die zum Beispiel die oligarchische Zerstörung demokratischer Strukturen durch Konzerne unter «Meinungsfreiheit» subsumieren. Mit anderen Worten: Zur Meinungsfreiheit gehört auch, dass man sich die passende Meinung kaufen kann. «Die Gedanken sind frei, wer kann sie ersteigern», pfeifen die Spatzen von den Kuppeln Washingtons.
Foto: Daniel Hrncir
Aber warum denn in die Ferne schweifen, wenn das Absurde in unseren Gefilden ebenso emsig gepflegt wird? Wie schwierig es sein kann, in Österreich zu leben, kann nur ermessen, wer in Österreich lebt. Gemütlich sitzt man im Schanigarten, alles scheint lebensbejahend kommod zu sein, da greift der eigene Bürgersinn nach der Zeitung, schlägt sie auf, und man gerät stante pede in eine Schockstarre. Oder bekommt einen Tobsuchtsanfall. Denn der Staatsapparat der Alpenrepublik offenbart immer öfter, dass er mit Idealen wie Recht und Freiheit auf dem Kriegsfuß steht. Der Rechtsstaat, oft ohnehin nur ein Feigenblatt, ist inzwischen zu einem Spucknapf verkommen, in den die Richter ihre Urteile speien.
So erst letzte Woche eine Richterin am Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen, die über folgenden Fall zu urteilen hatte: Martin Balluch, hochgeschätzter Philosoph und Tierschutzaktivist, wurde zusammen mit einigen anderen Mitgliedern des Vereins gegen Tierfabriken von 2008 an mit einer auf dem Papier lächerlichen, in ihrer Wirkung aber brutalen Klage terrorisiert. Die Justiz wollte mit einem neuen Paragrafen (§ 278a StGB), der gegen mafiöse und terroristische Gruppen zum Einsatz kommen sollte, auf Spritztour gehen, und da es Felix Austria offensichtlich sowohl an Mafiosi wie auch an Terroristen mangelt, mussten die Veganer herhalten.
Auftritt: die Präventivklage
Der Prozess endete, wie er enden musste (jede Farce hat ihr Ablaufdatum), die Angeklagten wurden freigesprochen, und Martin Balluch klagte danach auf Schadenersatz (100 Tage U-Haft, mehrere Jahre berufliche Paralysierung, etwa 1 Million Euro Rechtsanwaltskosten – derart gesalzen und gepfeffert sind die Kosten einer Groteske). Nun urteilte das hohe Gericht, die Klage sei verjährt (anschnallen bitte, es folgt Monty Python auf Speed), weil Martin Balluch ja gewusst habe, dass er unschuldig sei und daher schon zum Zeitpunkt seiner Verhaftung diese Klage auf Schadenersatz für eventuelles Fehlverhalten von Polizei und Justiz hätte einreichen müssen.
Wenn Sie also, liebe Leserin, lieber Leser, in Österreich in Untersuchungshaft sitzen sollten, reichen Sie sofort prophylaktisch Ihre Schadenersatzklage ein. So unwahrscheinlich sich das anhört, ist es nicht. Das kann der Student Josef S. bezeugen. Der 23-Jährige lebt in Jena, hatte aber die Unverfrorenheit, in Wien gegen den Akademikerball einer rechtsextremen Burschenschaft protestieren zu wollen.
Solcher „Krawalltourismus“ ist den einheimischen Polizisten höchst verdächtig, die allerdings beim Prozess unisono bestätigten, eine Identifizierung von gewalttätigen Demonstranten sei unmöglich, weil diese «alles tun, um eine Identifizierung zu verhindern» (schwarze Bekleidung, Vermummung etc.). Ein bei der Beweisaufnahme vorgelegtes Foto des Angeklagten beweist somit eher, dass er nicht zu den gewalttätigen Teilnehmern gehörte. Keiner der insgesamt 2.500 anwesenden Polizisten hat den Angeklagten (obwohl dieser konspirativ ungeschickt einen auffälligen Pullover und eine reflektierende Hose trug) bei einer strafbaren Handlung beobachtet.
Aber solche erkennungsdienstlichen Details können geübte Legestheniker nicht aufhalten. Weil es den Paragrafen des Landfriedensbruchs gibt (ein Relikt aus Zeiten des Feudalismus und Absolutismus), konnte der Staatsanwalt munter fabulieren, es sei zu bestrafen, wer «in einer Menschenmenge verharrt und daraus heraus entsprechende Straftaten begeht».
Sippenhaft mal anders
Gemeint war eher: Wenn aus einer Menge heraus eine Straftat begangen wird, sind all jene, die sich in der Menge aufhalten, schuldig. So wurde der deutsche Student zu einem Jahr teilbedingter Haft verurteilt und gleich entlassen, weil er zuvor knapp sechs Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte. Selber schuld, oder wie der Wiener Polizeipräsident im Fernsehen von sich gab: «Wer sich mit Hunden ins Bett legt, darf sich nicht wundern, wenn er mit Flöhen aufwacht.»
Eine Woche später räumten unzählige – manche Quellen sprechen von 1.700 – Polizisten ein besetztes Haus im Wiener Bezirk Leopoldstadt. Ausgerüstet wie für einen Einsatz im Bürgerkrieg, überfiel diese Kampftruppe einige anarchistisch gesinnte Hausbesetzer, um Recht und Ordnung (ergo: Spekulation) wieder in Kraft zu setzen. Die demokratische Einstellung der Beamten wird selbst von nüchternen Fachleuten infrage gestellt. «Es herrscht eine Freund-Feind-Wagenburgmentalität», erklärte Reinhard Kreissl, Leiter des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie, der Zeitung Der Standard, «die Polizei rechnet immer mit dem Worst Case und ist nicht imstande, Probleme anders zu sehen als einen Angriff von Feinden»
Das Volk ist der Feind: Das klingt nicht gut, entspricht aber neuesten Entwicklungen, auch auf EU-Ebene. Versteckt hinter dem Feuerwerk der Fußball-WM fasste der EU-Ministerrat einen Beschluss, der den europaweiten Einsatz von Polizei und Armee gegen aufmüpfige Bürgerinnen und Bürger eines Landes ermöglicht (die Umsetzung des § 222 des Lissaboner Vertrags). Es sieht so aus, als würden Protest und Widerstand, der Kampf für eine gerechtere Gesellschaft, zunehmend kriminalisiert werden. Und Österreich befindet sich, selten genug, an vorderster Front dieser Entwicklung.