Der Sandler vom Diensttun & lassen

Wenn man so aussieht, als wäre man in echt einer, der man eigentlich nur beruflich ist

Klischees wirken verlässlich. Ein bestimmtes Aussehen genügt, um in einer entsprechenden Schublade zu landen. Bei Herrn Slaby ist der Fall etwas verzwickter: Das Schublade-Sitzen ist sein Nebenjob. Peter A. Krobath hat ihn zum Leben mit Stereotypen «in echt» und am Set befragt.

Foto: WDR/Eckbert Reinhardt

Bildunterschrift: Auch Harry Rowohlt machte Stereotype zum Job: als bärtiger «Penner» in der «Lindenstraße».

Drballa: Ich hab‘ eine Hand gefunden. – Schrammel: Tot? (aus «Kottan ermittelt: Mabuse kehrt zurück», Folge 19, 1983)

Anton Slaby kommt aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr heraus. «Es gibt Depperte, und dann gibt’s Nochdeppertere», sagt er. Nicht dass er während seines Portierlebens von der Menschheit je viel gehalten hätte, aber nach welch primitiven Reaktionsmustern sich diese verhält, überraschte ihn dann im Laufe seiner zweiten Karriere doch.

So sehr, dass er sogar ein Buch darüber veröffentlichen will. Er hat sich bereits erkundigt, was das kostet, «sich einen Studenten zu nehmen, der was des aufschreibt», und die Druckerei, und so weiter. Sein Anliegen: Der Menschheit erzählen, wie das ist, wenn man wie jemand behandelt wird, der man in Wirklichkeit gar nicht ist. Zum Beispiel folgende Geschichte:

«Einmal sitzma beim Ströck am Praterstern, kommt a Dame zu mir, a junge. Da hast, sagt sie, schenkt mir zwa Tortenstückln. Sag ich: Passen S‘ auf, i kann mir das selber zahln! Bei sowas geh i glei in d‘ Höh. Egal, ob jung, ob alt. Die Alten überhaupt. Die Pensionisten san die Ärgsten.»

Herr Slaby hasst die Mildtätigkeit, die ihm aus heiterem Himmel widerfährt, genauso wie die Bosheit aus den düsteren Gefilden. Also das unerbetene Zustecken von Geld und Wurstsemmeln und die spontanen Einladungen zu Bier oder Suppe genauso wie das «Kann ich Ihnen helfen!» von Verkäuferinnen im Alarmsirenen-Ton oder der nachdrückliche «Nur für Gäste»-Hinweis unlängst in einer McDonald’s-Filiale. Aber noch mehr als all das ärgert ihn das demonstrative Naserümpfen der Pensionist_innen, die im Park, im Kaffeehaus oder in der Straßenbahn zu schnüffeln beginnen, sobald sie ihn sehen, wie Jagdhunde bei der Fährtenarbeit, nur ohne deren Geruchssinn, ja ohne jeglichen Geruchssinn, denn wie sonst ließe sich erklären, dass sie sich jedes Mal so weit wie möglich von ihm wegsetzen, trotz seiner gebügelten Hose, trotz seines sauberen Hemds, von seiner den Hygiene-Standards einer des Duschgel-Zeitalters entsprechenden Körperpflege ganz zu schweigen. Und all das nur wegen der langen Haare und des zotteligen grauen Barts. – Das Verzwickte an der Geschichte: Beides darf er nicht abschneiden. Berufsbedingt.

Der obdachlose Ferdl aus Ottakring

Szenenwechsel: Herr Slaby sitzt am Gehsteig, irgendwo in Ottakring. Ein junger Mann kommt vorbei und schenkt ihm ein Packerl Tschick. Herr Slaby sagt artig «Dankschön», grüßt salutierend und macht sich ungeniert über die milde Gabe her. – Was ist geschehen? Wir beobachten Anton Slaby gerade bei seiner Arbeit, in einer Szene der Liebes- und Sozialkomödie «Planet Ottakring», als Edel-Statist in der Rolle des obdachlosen Ferdl. Den Sandler gibt Herr Salby schon seit etlichen Jahren, z. B. in «Mein Kampf», «Bockerer II» oder «Echte Wiener», aber vor allem in TV-Krimis, in «Tatort», «Schnell ermittelt» oder den «CopStories». «Das hat sich so ergeben, und jetzt bin ich der Sandler vom Dienst. Wenn sie von der Agentur anrufen, fragen sie als erstes: Ham S‘ eh noch den Bart?»

In einer weiteren «Planet Ottakring»-Szene deutet Ferdl wortlos auf eine tote Katze, welche die Bösewichte an eine Tür genagelt haben. Das erinnert an die legendäre Serie «Kottan ermittelt», in welcher der Sandler vom Dienst Erwin Drballa hieß (gespielt von Carlo Böhm) und als Running Gag auf die jeweils aktuelle Leiche stieß.

«Mit Hippie-Bart sieht man als alter Sack aus wie ein Penner»

In Deutschland heißt der Sandler Penner, und es war der Autor und Schauspieler Harry Rowohlt, der diesen in der deutschen Fernsehgeschichte etablierte – in der Endlos-Soap «Lindenstraße». Rowohlt selbst hatte um die Rolle gebeten, «weil das die einzige Randgruppe ist, die bisher in der Lindenstraße etwas stiefmütterlich behandelt wurde». Und: «Außerdem brauchte ich dafür nicht viel Maske.» Auch hier diente also der Zottelbart als Stereotyp für einen Obdachlosen.

Der Bart begleitete Harry Rowohlt übrigens schon lange: «Wenn man als junger Mensch so aussah wie ein Hippie und sich einigermaßen selbst treu geblieben ist, sieht man als alter Sack aus wie ein Penner.» Was da wohl an echten und falschen Sandlern auf uns zukommt, wenn der Hipster-Generation eines Tages das Geld für die Bartpflege ausgeht?

So wie Anton Slaby passierte es Harry Rowohlt immer wieder, dass er in der Öffentlichkeit mit seiner Stammrolle verwechselt wurde. Einmal verwehrte ihm ein Türsteher den Zutritt zu seiner eigenen Lesung im Hamburger Literaturhaus, weil er ihn für einen Obdachlosen hielt, der Ärger machen könnte. Rowohlt nahm solche Vorkommnisse stets mit Humor. Vielleicht schafft das ja Anton Slaby auch eines Tages. Und kann dann den positiven Aspekt seiner Erfahrungen erkennen: Es gibt da draußen eine Menge hilfsbereiter Menschen.

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