Gschäftl-Report (6. Folge)
Am Schwedenplatz liegt Brigitte Schirme, Österreichs letztes Schirmfachgeschäft. In dem kleinen Laden werden nicht nur Schirme aller Art verkauft, sondern auch repariert. Arthur Fürnhammer (Text) und Mario Lang (Fotos) suchten es bei Schönwetter auf.
Durchhalteparolen hat Herr Suchanek, der Besitzer von Brigitte Schirme am Schwedenplatz, nicht nötig. Kommen ihm dennoch welche zu Gehör, freut er sich trotzdem. Wie unlängst, als der Entertainer, Radiomoderator und Musicalbarde Alexander Göbel zufällig an seinem Geschäft vorbeikam, die Tür aufriss und Herrn Suchanek die Worte «Tolles Geschäft, bitte weitermachen!» entgegenschleuderte. Noch bevor dieser etwas antworten konnte, war Göbel, der das Schirmgeschäft zuvor noch nie betreten hatte, auch schon wieder weg.
Gefreut hat das Herrn Suchanek natürlich schon. Zwingend notwendig wäre es psychologisch gesehen nicht gewesen. Denn das Geschäft läuft unterm Strich ganz gut. Längst hat Suchanek jegliche Werbung, etwa in Form von Inseraten, zurückgefahren und setzt mittlerweile allein auf Mundpropaganda. Diese sei ohnehin «die beste Werbung». Der Schirmspezialist hofft, dass sich so die Qualität seiner Ware und sein Service herumspricht. Wer bei Brigitte Schirme einen solchen kauft, der bekommt nämlich kleinere Reparaturen umsonst dazu. Suchanek: «Man muss sich nicht alles bezahlen lassen, das ist unsere Philosophie.» Es soll ja vorkommen, dass der Wind einmal zu stark ist, gerade in einer Stadt wie Wien, oder dass man kurz einmal unachtsam ist. Und daher sagt Suchanek auch bei jedem Kauf: «Ihnen kann geholfen werden.»
Dass einmal etwas nichts kostet, überrascht sogar Stammkund_innen noch. Gerade ist eine Kundin im Geschäft, eine ältere Dame, die ihren aktuellen Schirm zur Reparatur gebracht hat, weil sich eine Niete gelöst hatte. Sie erwähnt, dass Suchanek beim Kauf vor etlichen Jahren so nett gewesen sei, ihr mehrere Schirme abzuwiegen, weil sie den leichtesten haben wollte. Nachdem sie nun das Geschäft mit dem reparierten Schirm wieder verlassen hat, kommt die Dame wenige Augenblicke später noch einmal bei der Tür herein. Ihr sei eingefallen, dass sie für die Reparatur nichts bezahlt hätte. Ob das denn wirklich nichts koste?
Vom Buslenker zum Schirmherr.
Dass Suchanek einmal seine Familie, er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern, mit dem Verkauf und der Reparatur von Schirmen ernähren würde, war in seinem Lebensplan nicht vorgesehen. Jahrelang arbeitete er als Buschauffeur, fuhr Postbusse in Wien und Umgebung, wurde für Firmenausflüge gemietet und transportierte Bundesheersoldaten von der burgenländischen Grenze zur Kaserne und retour. Vor 14 Jahren wurde er von seinem Onkel und seiner Tante, den bisherigen Besitzern von Brigitte Schirme, gefragt, ob er das Geschäft übernehmen wolle. Die beiden besaßen einst fünf Schirmgeschäfte in Wien. Jenes am Schwedenplatz war das letzte. Alle anderen hatten sie im Lauf der Zeit aufgegeben, weil kein_e Nachfolger_in zu finden war. Und Suchanek sagte ja. Wäre das Geschäft in den Außenbezirken gelegen, hätte er sich nicht drübergetraut. Denn das Geschäft in den Außenbezirken sei tot, meint er. Es gebe dort keine wirklichen Einkaufsstraßen mehr. Da Wiens einzig verbliebenes Schirmgeschäft aber am Schwedenplatz liegt, dachte er sich: «Wenn es die letzten 100 Jahre funktioniert hat, wieso soll es nicht weiter funktionieren, es hängt wirklich nur vom Wetter ab.»
Doch hat sich nicht genau das in den vergangenen Jahren verändert? Regnet es nicht deutlich weniger in Wien als noch vor zwanzig, dreißig Jahren? Erstaunlicherweise nicht. Suchanek führt genau Buch und weiß, dass die Anzahl der Regentage übers Jahr gesehen in etwa gleich geblieben ist. Natürlich hat sich vieles verändert, es gebe keinen Herbst und keinen Frühling mehr und auch keinen «normalen» Regen mehr wie früher, sondern oft gleich einen Wolkenbruch. Und der sei nicht gut fürs Geschäft, weil da kein Mensch außer Haus geht. Aber es gebe auch Jahre, «wo es im Sommer mehr regnet als im Winter oder wo wir im Sommer mehr Geschäft gehabt haben als zur Weihnachtszeit, auch so was gibt’s». Der diesjährige Sommer, der zweitheißeste der Messgeschichte, sei nicht so schlimm gewesen. Da sei das Geschäft mit der Regenbekleidung, die Suchanek seit Kurzem im Sortiment hat und die in Vorbereitung von Urlauben und Radausflügen gekauft werde, ganz gut gegangen. Aber im heißen und trockenen Frühling, so Suchanek, «da haben wir gelitten».
Schirme mit UV-Schutz.
Der Geschäftsmann machte aus der Not eine Tugend. Er schlug seinem Lieferanten heuer erstmals vor, tragbare Sonnenschirme zum Verkauf anzubieten. Die gab es bis dahin noch nicht. Regenschirme kämen übrigens als Sonnenschutz nicht in Betracht. Die spenden zwar Schatten, aber keinen UV-Schutz, da braucht es genormte Stoffe. Seit heuer kann man diese Sonnenschirme also kaufen, und sie gehen sehr gut, sagt der Fachmann nicht ohne Stolz.
Während der Klimawandel also summa summarum keine negativen Auswirkungen auf die Schirmbranche zu haben scheint, wird das Tagesgeschäft sehr wohl vom Wetter beeinflusst. Scheint die Sonne, ist Zeit für Reparaturen. Regnet es, bleiben Reparaturen liegen. Nicht nur das. Oft ist dann so viel los, dass auch Frau Suchanek einspringen muss, weil nicht nur die «Verlegenheitskunden» da sind, also die, die schnell einen Schirm brauchen, sondern auch jene, die sich ausführlich beraten lassen wollen.
Denn es gibt auch sie noch, Kund_innen, denen ein guter Schirm etwas wert ist. Und die bereit sind, dafür 200 Euro auszugeben. So viel kostet ein klassischer «englischer» Schirm. Bei diesem sind Griff und Stock aus einem Holz gemacht, in der Regel Ahorn, der Schirm ist dadurch «stützfähig», besitzt außerdem ein festes Stahlgestell und keine Aluschienen, und einen schnell trocknenden Stoff. Produziert werden diese hochqualitativen Schirme von der Firma Doppler in Ranshofen bei Braunau, der letzten großen Schirmmanufaktur Österreichs. Die Firma Doppler lässt in Fernost auch günstigere Schirme produzieren. Beides führt Suchanek im Geschäft. Von den günstigeren Schirmen allein könnte er jedoch nicht leben.
Eine zweite Kundin betritt das Geschäft. Sie ist zum ersten Mal da, hat über Mundpropaganda von einer Freundin von Brigitte Schirme erfahren und hätte gerne einen faltbaren Schirm in einer «menschlichen» Farbe. Weinrot wäre ideal, passend zum Herbst. Wie sich herausstellt, gibt es Knirpse aber in Krampusrot und in Weinrot nur größere Schirme. Ein passendes Modell wird dennoch gefunden, und zwar in Blau. Nachdem sich die Kundin für ihren Schirm entschieden hat, demonstriert Suchanek noch die richtige Handhabe. Denn das Aufspannen mag von allein gehen, fürs Zusammenlegen hat er zur Schonung des Schirms aber ein paar Hinweise parat: «Nicht hineinschieben, sondern mehrmals hineinschlagen, unbedingt den Schirm waagrecht halten, dann legt er sich wieder in die Falten, und dann erst zusammenrollen.» Die Vorführung verfehlt ihre Wirkung nicht. Während der stattliche Herr Suchanek den fragil anmutenden Schirm in Händen hält und mit bedächtiger Stimme und gekonnten Bewegungen das optimale Zusammenfalten des Schirms demonstriert, ist man geneigt zu vergessen, dass es sich dabei um etwas so Profanes wie einen Schirm handelt.
Allerhöchste Sphäre.
Der 45-Jährige hat das Handwerk von der Pike auf gelernt. Den Lehrberuf zum Schirmmacher gibt es schon lange nicht mehr, dafür aber bei der Firma Doppler noch zwei Herren, die um die Kunst des Schirmmachens Bescheid wissen. Und bei diesen ging er für ein gutes Monat in Lehre. Heute kann er einen Schirm von A bis Z zusammenbauen. Und eben auch so gut wie alle Reparaturen selbst durchführen, was sich dank des Internets weltweit herumgesprochen hat. Aus Israel kam schon ein Auftrag, und auch aus Kanada erreichte ihn der Wunsch nach Renovierung eines uralten Regenschirms.
Sogar bis in allerhöchste Sphären ist Suchaneks Ruf gedrungen. Anlässlich des Papstbesuchs in Österreich ereilte ihn der Auftrag zur Herstellung eines Regenschirmes für den Pontifex, den er dann gemeinsam mit der Firma Doppler abgewickelt hat. Aber auch für Normalsterbliche gibt es bei Schirme Brigitte zu jedem Anlass den passenden Schirm: für Wanderungen, für Hochzeiten, für Retrofans, für Jäger_innen …
Ein repräsentativer Querschnitt des Sortiments findet sich in der aufwendig gestalteten Geschäftsauslage wieder. Die Pflege der Schaufenster mit der im Verlauf der Jahreszeiten wechselnden Dekoration wird von Frau Suchanek übernommen.
Wer weiß: Gut möglich, dass sich beim Betrachten der Auslage auch in Zukunft der eine oder die andere Passant_in denkt: «Tolles Geschäft. Bitte weitermachen!»