Der Sound der SticknadelArtistin

Gloria Damijan über ihre Konzertreihe an der Grenze von improvisierter und komponierter Musik

Die Konzertreihe GRENZWERTE wird seit 2010 jährlich von der 1982 in Wien geborenen Pianistin Gloria Damijan veranstaltet. Im Grenzbereich von improvisierter und komponierter Musik stellen sich die eingeladenen Künstler_innen heuer unter anderem folgende Fragen: Lassen sich Geschmack, Geruch oder Konsistenz in musikalische Äußerungen transformieren? Mit welchen Objekten kann man Schwingungen auch haptisch spürbar oder sichtbar machen? Das Publikum wird dabei auch als aktiver Gestalter in das musikalische Geschehen miteinbezogen.Du bist Mitbegründerin des Netzwerkes SNIM. Kannst du uns erzählen, was euch dazu bewogen hat, 2008 diesen Verein zu gründen?

SNIM steht für «spontanes netzwerk für improvisierte musik». Die Gründer_innen des Vereins haben alle auf der Musikuniversität Wien studiert. Dort hat die Pianistin Manon-Liu Winter, gemeinsam mit Franz Hautzinger, Burkhard Stangl und Christian Scheib, im Rahmen des IGP-Studiums (Instrumental- und Gesangspädagogik) einen Schwerpunkt mit dem Namen «Freie Improvisation und neue Musikströmungen» ins Leben gerufen. Wir waren damals die ersten Teilnehmer_innen. Nachdem diese Lehrveranstaltung vorbei war und wir teilweise unser Universitätsstudium beendet hatten, haben wir beschlossen, weiterhin improvisierte Musik zu machen. Wir haben uns vernetzt, um eigene Veranstaltungen zu organisieren, da wir gesehen haben, dass es schwer ist, in den schon etablierten Kreisen Möglichkeiten zu finden, sich einzubringen.

Die Konzertreihe GRENZWERTE ist somit eine Aktivität des Netzwerkes SNIM?

Ja, es sind sehr viele Leute aus diesem Netzwerk als Musiker_innen eingebunden. In Zukunft sicherlich auch als Mitorganisator_innen, weil die Konzertreihe immer umfangreicher wird. Ich habe alleine angefangen, die Reihe zu planen, und wollte vor allem mit der ersten im Jahr 2010 den Übergang zwischen Improvisation und Komposition beleuchten. Ich wollte Komponist_innen finden, die in diesem Zwischenbereich arbeiten. Für mich stellte auch das konzeptuelle Improvisieren, das ich während meines Studiums noch eher abgelehnt habe, einen interessanten Zugang zum Musizieren dar, den ich im Rahmen der GRENZWERTE-Konzerte realisieren konnte.

Was waren denn bisher Themen der Konzertreihe GRENZWERTE?

Im ersten Jahr hatten wir den Schwerpunkt Komposition und Improvisation mit Berücksichtigung von grafischer Notation. Was mir noch gut in Erinnerung geblieben ist, war letztes Jahr die Beschäftigung mit dem «Fremdsein». Alle möglichen Formen von «Fremdsein» – sich fremd fühlen in der eigenen Umgebung, sich als Fremder in einer neuen Umgebung einzufinden, auch die Beschäftigung mit musikalischen Fremdkörpern – standen im Mittelpunkt.

Das Thema heuer ist «Sinn». Das klingt sehr offen.

Es sollte ein Gegenpol sein zur doch eher düsteren Programmierung der letztjährigen Veranstaltung. Ich hatte damals eine persönliche Krise mit improvisierter Musik und der Szene. Für das diesjährige Jubiläum suchte ich ein Thema, das den Begriff der Improvisation in Hinblick auf unterschiedliche Sinneseindrücke erweitert. Nicht nur dieses klassische Visualisieren von Musik, sondern auch das Arbeiten mit anderen Methoden, die sinnliche Einbeziehung von Objekten, ist dabei von Bedeutung.

Es gibt ein Projekt, das sich mit Geschmacksrichtungen beschäftigen wird. Mit Sinn und Sinnerfahrung in Verbindung stehen für mich auch Interventionen mit dem Publikum. Es wird eine Soundinstallation des Elektronikmusikers Leo Bettinelli geben, bei der die Bewegungen des Publikums durch Laser-Trigger aufgefangen und an bestimmte Sound-Patches gebunden werden. Am zweiten Abend wird die Künstlerin Nina Fountedakis eine Leinwand mit verschiedenen Materialien besticken. Dadurch entstehen unterschiedlichste Sounds. Es wird auch eine Fläche geben, bei der das Publikum eingeladen ist, aktiv mitzusticken. Diese Geräusche werden dann von Leo Bettinelli ebenfalls verstärkt, abgenommen und mit elektronischen Elementen verwoben. Es geht um akustische Überlagerungen und das haptische Element beim Sticken, diese sinnliche Erweiterung einer Soundgenerierung beim In-die-Leinwand-Hineinfahren und Etwas-Durchziehen.

Die Konzertreihe GRENZWERTE #5 findet wieder im Echoraum statt. Warum hast du diesen Raum gewählt?

Der Raum hat ein angenehmes Ambiente und sehr gute akustische Bedingungen. Der Architekt und Kunstvernetzer Werner Korn ist jemand, der sich sehr leidenschaftlich für experimentelle Musik einsetzt. Bei umfangreicheren Projekten stellt er auch gerne den Raum für Proben zur Verfügung. Die Bewerbung der Veranstaltungen auf der Website und sein fast schon legendäres Flyer-Artwork finde ich künstlerisch sehr ansprechend.

Welche Erwartungen hast du bezüglich des Publikums?

Es ist ein durchmischtes Publikum, meist aus dem Bekanntenkreis der Musiker_innen und Künstler_innen. Natürlich gibt es auch Stammgäste des Echoraumes. Als improvisierende Musikerin arbeite ich sehr viel mit der Energie des Publikums. Die Art und Weise, wie man spielt, hängt davon ab, wie man das Publikum erlebt. Auch wenn das Publikum nicht direkt in Konzepte eingebunden ist und selber etwas tun muss, so ist man als Musikerin doch bewusst offener und sensibler für diese Erwartungshaltungen, die man spürt und die beim Improvisieren eine Inspirationsquelle darstellen.

Du verwendest beim Improvisieren häufig ein Prepared Toy-Piano. Was fasziniert dich an diesem Instrument?

Das war ursprünglich eine Notlösung. Es gibt sehr viele Räumlichkeiten, wo kein Klavier, nicht mal ein schlechtes Pianino, zur Verfügung steht. Ich wollte, wenn ich mit anderen Leuten zusammenspielte, nicht ständig abhängig davon sein, ob ein Raum mit Klavier vorhanden ist. Ich habe nach Möglichkeiten gesucht und recherchiert. Während meines Studiums hörte ich von der «Suite for Toy Piano» von John Cage. Ich habe mich dann näher mit diesem Instrument beschäftigt. Ich kaufte mir das billigste mir brauchbar erscheinende Toy-Piano und begann, damit zu experimentieren. Man hat natürlich nicht diese Möglichkeiten, die einem ein Flügel bieten kann. Vor einem Jahr habe ich dann den Resonanzboden des Toy-Pianos ausgebaut und bin in Kombination mit einem Pick-up zu einer sehr guten Lösung gekommen, wie ich das Gewicht des ganzen Equipments in Grenzen halten kann und dennoch möglichst wenig Einschränkungen beim Musizieren habe. Und natürlich sind Einschränkungen gerade auch bei improvisierter Musik interessant, weil man dadurch zu einer gewissen Reduktion gezwungen wird.

Du praktizierst seit einigen Jahren den afrobrasilianischen Kampftanz Capoeira Angola bei Professor Kenneth der Gruppe Irmãos Guerreiros Vienna. Hat sich die Ausübung dieser Kunst der rituellen Bewegungsimprovisation auch auf dein Musizieren ausgewirkt?

Ich nehme Bewegungen nun bewusster wahr. Egal ob ich klassische Musik spiele oder Bewegungen beim Improvisieren durchführe. Capoeira Angola beinhaltet und wird zu einer Musik praktiziert, die nicht aus der europäischen, sondern aus der afrikanischen Tradition kommt. Das fand ich sehr reizvoll. Es sind andere Denkmuster in dieser Musik vorhanden, der rhythmische Aspekt ist sehr wichtig. Ich habe seither auch selber mehr mit Rhythmus gearbeitet, auch wenn ich die Capoeira-Musik noch nicht so intensiv in meine eigenen Kompositionen einbringe, da ich mich erst in einer Lernphase befinde und ich diese afro-brasilianische Musiktradition noch mehr verinnerlichen muss.

Wie siehst du die Situation von klassischen Musiker_innen bezüglich der Abhängigkeit vom Notenspiel? Welche Bedeutung hat für dich das Spielen vom Blatt?

Es gibt natürlich Musiker_innen, die sich komplett darauf fixieren und sich mit dieser Art von Musik verwirklichen können. Mir war dieser Rahmen persönlich dann doch irgendwann zu eng. Die klassische Musik ist ein sehr umkämpftes Feld. Sehr viele Leute spielen mit ähnlicher Perfektion dieselben Stücke. Es gibt auch vom Publikum gewisse Erwartungshaltungen, und wenn man diese Erwartungshaltungen nicht erfüllen kann oder will, dann ist es besser, nach Möglichkeiten zu suchen, wo man sozusagen «mehr zuhause» ist. Wo man seine Persönlichkeit mehr einbringen kann und nicht wie bei der klassischen Musik in irgendwelche Rollen hineinschlüpfen muss.

Werden die Musiker_innen an der Universität für Musik und darstellende Kunst ausreichend mit experimentellen Zugängen und Richtungen konfrontiert?

Im IGP-Zweig, bei der Musikerziehung, Instrumentalmusikerziehung und Instrumentalgesangspädagogik auf jeden Fall. Dieses Feld des Experimentierens kann einem pädagogisch sehr weiterhelfen und Möglichkeiten bei der Arbeit mit Schulkindern eröffnen. Bei gewissen Professor_innen im IGP-Bereich ist diese Offenheit zum Glück vorhanden. Den klassischen Konzertfachbereich empfinde ich in Hinblick auf die klangästhetischen Ideen schon sehr eingeschränkt. Ich finde auch das Kompositionsstudium an der Musikuni Wien sehr konservativ und habe den Eindruck, dass die Kompositionen technisch noch sehr in der Zwölftonmusik und dem Serialismus verhaftet sind. Die Leute beginnen erst nach dem Studium, formal anders zu arbeiten.

Würde es dich auch reizen, Veranstaltungen im öffentlichen Raum zu organisieren?

Damit habe ich mich bis jetzt noch nicht auseinandergesetzt. Ich bin momentan eher dabei, persönliche, innere Räume zu öffnen und zu erweitern. Ich frage mich: Wie können wir als Musiker_innen unsere Möglichkeiten erweitern? Es haben sich bei uns in der improvisierten Musik gewisse Muster durch die Jahre festgefahren. Es existieren mittlerweile bestimmte Klischees bezüglich der Ästhetik improvisierter Musik. Mir scheint die Aufgabe dringlich, sich damit zu befassen. Natürlich könnten andere oder öffentliche Räume auch bei dieser Fragestellung einen Input liefern.

Interview: Michael Franz Woels & Emer Kinsella (Improgruppe CALL OUR SHIFTS)

snim.klingt.org

echoraum.at