Von unten gekommen, Durchbruch geschafft: Tage des offenen Ateliers bei Labinsac
Stichwort Stencil. Stencil ist das englische Wort für Schablone. Der britische Künstler Banksy, der seinen bürgerlichen Namen erfolgreich geheim gehalten hat, und der französische Künstler Blek Le Rat sind die bekanntesten Individualisten der Unterordnung Schablonenkunst innerhalb der Graffiti-Szene. Blek le Rat gilt als der Begründer der Pochoirbewegung. Seine ersten Pochoirs (d. h. Schablonen auf Französisch) sprühte er 1981 in Paris. Direkten Kontakt hatte Labinsac aber weder zum Londoner noch zum Pariser, sondern zum US-Sprayer Peat Wollaeger. Der gab mir eines Tages folgenden Rat: Gib eine zweite Farbe dazu, und dein Style wird aufgepoppt. Eine zweite Farbe, das bedeutete: eine zweite Schablone. Mittlerweile verwendet Labinsac für ein Bild bis zu vier, fünf, sechs Schablonen. Er erreicht damit einen 3-D-Effekt in seinen Bildern, die kaum mehr Spray-Bildern ähnlich schauen. Im Keller Labinsacs lagern an die tausend Schablonen wie zu künstlerischen Fetzen zerschnittene Papierblätter. Jede Schablone ist eigentlich ein nie ausgestelltes Kunstwerk. Um eine dieser filigranen Vorlagen zu produzieren, braucht Labinsac rund vier Stunden. Schade, dass du dir nicht vorstellen kannst, was das für ein geiler Moment ist, wenn du langsam die Schablone abhebst oder wegziehst und das Bild entsteht vor deinen Augen, als deine Kreation. Das ist wie eine Sucht, strömt Mitgefühl aus Labinsac.
Stichworte Derwisch, Mohammed, Camel Driver u. a. Schau ich nicht aus wie ein Kameltreiber?, grinst uns ein selbstbewusster Wurzelsuchender entgegen. Ein Teil seiner Wurzeln muss irgendwo in Marokko zu finden sein: Seit einem halben Jahr weiß ich, dass mein Vater Marokkaner ist. Als Noch-nicht-Labinsac zwölf Jahre alt war, verließ der Vater die Familie. Aber er lebt, inzwischen als Pensionist, immer noch in St. Pölten, sodass Labinsac ihm gelegentlich über den Weg läuft. Jedes zufällige Treffen verstärkt im Sohn den Wunsch, mehr über seine nordafrikanischen und dazu islamischen Roots zu erfahren, indes ist die Befangenheit zu groß, als dass der Vater mit dem Sohn und umgekehrt zum Gespräch bereit wäre. Labinsac verdankt seinem Vater immerhin dreierlei: Erstens färbte sein Kunsthandwerktalent auf mich ab. Ich nutze diese Mitgift für das Schablonenschneiden. Zweitens war sein Beruf, er arbeitete bei der Polizei, eine Art Rückversicherung für mich in meiner wilden Sprayerzeit. Als illegaler Sprayer war ich dadurch vor den üblichen Strafen geschützt. Drittens verschafften mir seine Gene, also meine Tuareg-Erscheinung, die Erfahrung, wie es ist, wenn man anders aussieht als die anständigen Österreicher.
Stichwort Avantgardist. Labinsac war in mehrfacher Hinsicht Trendsetter in St. Pölten. Er zählt zum Urgestein des St. Pöltner Ablegers der Hip-Hop-Kultur. Mit 16 gewann er beinahe eine Österreich-Championship in Electric Boogie, einer Tanzform des Breakdance. Dem Breakdancer ist die Spraydose näher als die Bierdose. Ende der 80er Jahre wurde St. Pölten unter anderem durch Labinsacs Fleiß Graffiti-City. Ein paar tags aus dieser Zeit sind heute noch in der Stadt zu sehen, vor allem im Bereich des St. Pöltner Alpenbahnhofs. Damals nannte sich der Street Artist noch nicht Labinsac, sondern Pater Kolbe. Ein Intermezzo im Extremsport Labinsac verdiente sich sein Geld als Profi bei Mountainbike-Rennen machte sich in St. Pölten durch ein vorübergehendes Pomali-Wachstum der Gesamtsumme unbeauftragter Spray-Botschaften an den Wänden in den 90er Jahren bemerkbar. Heute bilden das Künstlerkollektiv LAMES, die musikalische Ausnahmeerscheinung Bauchklang und der innovativste und gleichzeitig mit dem längsten Atem ausgestattete Sprayer Labinsac jene sich vernetzende interdisziplinäre Subkulturszene, das als lokale Avantgarde in St. Pölten konkurrenzlos ist.
Stichwort St. Pölten. Im Rückblick ist Labinsac nicht undankbar, dass das Schicksal ihn in St. Pölten, der Stadt mit dem schlechten Image, das Licht der Welt erblicken ließ. In Wien hätte mich das Flex zu sehr abgelenkt, lacht Labinsac. Wenn du es als Künstler schaffst, dem ungeheuren Druck, den das Provinzielle auf dich als den Anderen, den Unangepassten, den nicht Dazugehörigen und den Isolierten ausübt, zu widerstehen dann hast du das Format, mit dem du dich in der Welt bewegen kannst, beschreibt der Hip-Hop-Derwisch die Vorzüge seiner Wiege. Die Verbundenheit mit St. Pölten springt einem in Form der Startseite seiner Internetpräsentation entgegen: eine Ansicht des historischen St. Pölten. Aber man sieht die Galgen außerhalb der Stadtmauer: bestimmt für die Sündenböcke, die nonkonformistischen Labinsacs des mittelalterlichen St. Pölten. Nur noch selten hinterlässt Labinsac aber seine ein- oder mehrfarbigen künstlerischen Ich-Logos auf den Mauern der Landeshauptstadt: Die Stadt hat mir als jungen Sprayer zu viel Prügel vor den Weg geworfen, als dass ich sie weiter mit meinen Stencils beglücke, sagt der Tuareg nicht ohne Augenzwinkern, denn der Hintergrund seiner schwindenden Präsenz im öffentlichen Raum St. Pöltens ist in Wirklichkeit die Besserung der Auftragslage. Trotz Karriere: Das vorstädtisch-proletarische Gasthaus Koll beim Alpenbahnhof gefällt ihm immer noch besser als das urban-schicke Cinema Paradiso im Zentrum. Man kann ihn jedoch dort wie da antreffen.
Stichworte Bekanntheitsgrad und Global Sprayer. Das heurige Jahr ist für den heute 39-Jährigen das erste in seinem Leben, in dem er und seine drei Kinder ausschließlich mit den Einnahmen seiner Kunst Stencil Graffiti überleben können. Ein Graphik-Auftrag für Red Bull markierte den Einstieg in die Welt des Kommerzes. Der Deal mit dem Coca-Cola-Konkurrenten endete allerdings mit dem Entschluss des Künstlers, nie mehr am roten Stier zu riechen. Auch mit Hilfe eines Richters kam Labinsac nicht zu dem Geld, das ihm Red Bull, wie er sagt, vorenthält. Inzwischen sind viele seiner Kunden näher an seinem Leben als der Getränkekonzern. Hip-Hop-Musiker, immer mehr auch vom anderen Ufer des Teiches, bestellen beim Tuareg von St. Pölten Bilder, die sie für ihre Musikvideos oder für CD-Covers verwenden. Der St. Pöltner hat den Durchbruch erreicht. Aber ich lasse mich nicht kaufen, betont er. Nicht zufällig sitze er eben beim Augustin. Für den nächsten F13-Tag plant er eine Performance, die nicht allen Politikern gefallen wird. Und immer werde er sein Talent für soziale Projekte zur Verfügung stellen. Derzeit bereitet Labinsac zusammen mit der Caritas Workshops für Kinder mit psychischer Beeinträchtigung vor.
Stichwort Teile und herrsche. Labinsac will in Zeiten des so genannten Kriegs gegen den Terror, in dem jeder Mann vom Typus Araber zum Verdächtigen wird und jedes Frauenkopftuch zum Symbol des Untergangs des Abendlandes werden kann, Zeichen setzen. Er will ein provokantes Zeichen setzen: Ich bereite mich vor, zu konvertieren. Labinsac wird also Muslim werden kein streng nach Regeln lebender allerdings und auch kein antiamerikanischer. Einer, der zur Amerikanisierung einer mitteleuropäischen 50.000-Einwohner-Stadt beigetragen habe, indem er mithalf, den amerikanischen Hip-Hop, den amerikanischen Rap, den amerikanischen Breakdance und die amerikanische Spraykunst hierher zu verpflanzen, soll Antiamerikaner sein? Labinsacs Konversion soll eine Demo gegen die Ausgrenzung werden. Einen Menschen verrückt zu machen ist leicht / Nimm ihm alles ab / Schau, wie seltsam er sich aufführt, schrieb der Dichter Claes Anderssen. Labinsac unterstreicht diese Erfahrung. Wenn die Oberen im Sinn ihrer Teile und herrsche-Strategie einer Gruppe einseitig Aufstiegschancen und Integrationschancen wegnehmen, können deren Angehörige mit Wahnsinnsaktionen reagieren. Politiker wie Strache, so Labinsac, sind verantwortlich dafür, dass manche junge Muslime verrückt genug werden, um den aggressiven Islamisten zu folgen. Der Strache-Sticker, den Labinsac für kommende Polit-Graffiti-Aktionen vorbereitet hat, ist eindeutig unsympathischer als der lächelnde Che Guevara aus der Werkstatt des sprayenden Kalifen von Niederösterreich.
Info:
Tag der offenen Tür bei Labinsac
Im Rahmen der NÖ Tage der offenen Ateliers 2007
Herzogenburgerstraß /Jugendkulturhalle Freiraum
3100 St. Pölten
Öffnungszeiten:
Sa., 20. Oktober: 1418 Uhr
So., 21. Oktober: 1418 Uhr
www.labinsac.org die Website Labinsacs (in Arbeit)
www.stensoul.com die Website Pete Wollaegers