Der Tod und der NachbarDichter Innenteil

Zurück in den Kosmos (Illustration: © Jella Jost)

Cherchez la Femme (11/2023)

Es kann passieren, dass ich mir meine nächtlichen Träume merke und notiere. Neulich holte ich mein Buch wieder hervor. Ich blätterte in den Zeichnungen und Texten. Dieser Traum fasziniert mich heute noch. Vor zehn Jahren, im Zuge einer äußerst schweren Erkrankung, träumte ich, mir wurde eine Art Kopftuch aufgesetzt. Ich sollte als Mann in der Kirche auf der Kanzel predigen. Verwundert über den Glauben aller, ich sei ein Mann, ging ich und machte mich auf den Weg, da nahm mich plötzlich ein Kardinal mit einer goldenen Krone und pupurnem Gewand zur Seite, nahm mich bei der Hand zu einer riesigen Bühne, mit sehr viel Publikum davor und einigen weiteren Kardinälen samt Rednerpult auf dem Podium. Alles wartete. Ich wurde zu einem Tisch geführt. Dort bot man mir verschiedene Masken an, die lauter Totenköpfe waren. Ich entschied mich für den Silbernen. Die anderen Masken waren aus weniger edlem Material und sie waren ziemlich klein. Ich nahm also die Silberne entgegen – aber ich wusste nicht wie ich sie aufsetzen sollte! Aus irgendeinem Grund war es mir nicht möglich. Nun, zehn Jahre später kann ich mir unaufgeregt und mit Distanz einiges dazu denken und der Traum ergibt Sinn, hat eine inhärente Logik. Damals kämpfte ich ums Überleben. Ich überlebte. Ich setzte meine Maske nicht auf.

Die Würde eines Menschen ist unantastbar

Ja, Artikel 1 hat seinen wertvollen Platz in der Charta der Menschenrechte, er klingt wunderbar in aller Ohren und wir möchten ihn an uns persönlich und allen, die wir lieben, erfüllt sehen, in jeder Lebenslage. Realität schaut aber oft ganz anders aus; Respekt und Verständnis­ werden vielerorts geheuchelt, möglicherweise sogar in guter Absicht. Dabei geht viel verloren, nämlich eine Geradlinigkeit und Bedingungslosigkeit Kranken, Alten oder Schwachen gegenüber. Ein Mensch, der weiß, dass er stirbt und die letzten Meter geht, ist hochsensibel, in einer Extremsituation, möchte Wahrhaftigkeit, hat keine Kräfte mehr übrig für Alltagsgelaber oder Gerede, das über die Tatsachen hinwegtäuschen soll. Gerade in den letzten Monaten, Wochen, Tagen eines Lebens, das ja immer noch Leben ist, wo Mensch nach wie vor Mensch ist, wenn auch gezeichnet, ist dem Kranken zuzuhören elementar. Die Zeit des Sterbens ist die totale Verwundbarkeit und braucht maximale Sensibilität. In der Palliativmedizin ist man bestens geschult, dort wird sie gewahrt. In Altenheimen, in Krankenhäusern und im privaten Umgang mit Sterbenden wäre ein unsensibler Umgang eine Katastrophe. Einer privaten Konfrontation mit dem radikalen Thema des Todes möchten sich die meisten Menschen nicht aussetzen. Wegschauen oder abgeben ist die Devise. «Wird schon wieder!»-Sprüche, sind obsolet und schmerzen, wenn ich an sie denke. Sie camouflieren den persönlichen Kontakt mit Angst und Vergänglichkeit. Weil wir dazu keine positive Kultur haben. Tod ist und bleibt immer noch Grauen – so wird er dargestellt. Die Bilder könnten aber ermutigender sein, sodass Sterben als natürlicher Akt gesehen werden kann, den jede Person – mit oder ohne Hilfe der Medizin – selbst bestimmen kann. Im Umgang mit Schwerkranken sind nur Wenige geübt. Mein Nachbar hat Krebs. Ich will und kann in seine Augen sehen, in denen der körperliche Verfall dem Tod «habe die Ehre» zuruft, in denen der letzte große Aufschrei eines Menschen zu sehen ist, der gesehen und verstanden werden möchte – so wie er ist. Dieses Wienerlied habe ich für meinen Nachbarn komponiert und gesungen. Es gibt dazu eine Aufnahme.

Der Tod ghört nur mia
Nur mia allan ghört er
Es is mei Quiqui der si anschleicht
Von hinten – net eurer

Der Tod ghört nur mia
Nur mia allan ghört er
Und I was, dos I amoi sei Hand nehman weard
De lange weiche weiße koide nackerte Hand von eam

Der Tod ghört nur mia
Nur mia allan ghört er
Mia soll kana sogn wos I tuan muass
Seids net harb auf mi
und tuats mi net moscherln

Der Tod ghört nur mia
Nur mia allan ghört er
Nur mir, I trog eam im Herzen
Und ’s Herzerl trog i söba ham.

Der Liedtext basiert auf diesem persönlichen Erlebnis, das mich so bewegt hat. Viele Menschen meinen es vorerst mal gut mit einem, da stelle ich nichts in Abrede, doch ich habe den Eindruck, dass dabei sehr viel übersehen wird, nämlich die letzten Meter eines Menschen in Würde und maximaler Selbstbestimmung gehen zu können, insbesondere wenn dieser Mensch eine Randposition im sozialen Gefüge einnimmt. Ein Mensch nicht weit von der Kante entfernt, sieht sehr klar, was er will. Er ist zutiefst verwundbar und maximal offen. Das wissen viele nicht und glauben alles besser zu wissen oder zu machen. Ich kann und darf hier nicht mehr sagen, aber ich habe gespürt wie essentiell, wie existentiell es ist, Menschen in einer manifesten physischen Zerfallssituation, vorsichtig, geradlinig und wahrhaftig zu begegnen – auf gleicher Augenhöhe. Mein Nachbar hat sich im Nachhinein für unser Gespräch bedankt, es habe ihm sehr geholfen. Das hat mich riesig gefreut, dass ich mit ein paar ehrlichen Worten und Zuwendung ihm helfen konnte. Das macht mein Herz warm. Für ihn habe ich das Lied geschrieben.

1. Wiener Death Café

Ein bewusstes Hinsehen auf Endlichkeit bietet das weltweite Death Café. Ich veranstalte das 1. Wiener Death Café, weil ich als Buddhistin einen neuen Zugang zum Tod gefunden habe, beziehungsweise mehr und mehr daran arbeite, mich damit konfrontiere, da ich an mir selber merkte, wie mir der Boden unter den Füßen weggezogen wurde, als meine Mutter elend starb. Das war ein Trauma. Da erst verstand ich, dass ich nichts verstand. Das war der Auslöser. Ich forsche. Ich will wissen, ich bin neugierig. Ich rede darüber. Ich möchte mit vielen Menschen darüber reden. Es gibt mehr als 5.000 Cafés in 60 Ländern. Der Bedarf ist also ersichtlich. Es geht darum, sich einfach über das Thema auszutauschen und zu hören, wie gehen die anderen damit um, was für Erfahrungen haben sie und wie können wir uns gegenseitig befruchten, so dass wir voneinander lernen, von den Erfahrungen, weil jede Erfahrung anders ist, weil jeder Mensch anders stirbt, so kann man einfach im Gespräch darüber schon viel von der Unwissenheit abbauen und diese Unwissenheit ist ja das, was auch die Angst bringt. Für einige ist das Death Café auch eine Überraschung, man öffnet sich, um das Thema überhaupt angehen zu können, es braucht viel Vertrauen. Man muss behutsam Schicht für Schicht tiefer gehen, um zum Thema zu kommen, weil man das gut verpackt hat. Oft denkt man, dass man mit der Trauer übern Berg ist und plötzlich taucht doch irgendwas auf, Tränen kommen und oft tut es gut das zu teilen, zu sehen, den anderen geht es ähnlich. Hier einige Stimmen: «Für mich ist der Tod ein bisschen weniger schlimm geworden. Ein ganz kleines Stückchen. Wenn man darüber redet, kommt man dem irgendwie näher. Im Angesicht des Todes lebt man intensiver. Das Leben wird einem mehr bewusst. Ich zelebriere das Leben. Ich interessiere mich für das Leben und den Tod.» Die Menschen, die zu uns kommen, suchen nach einem Rahmen, um über den Tod frei sprechen zu können. Und beim Death Café passiert Folgendes: zuhören, ohne sprechen zu müssen, sprechen, ohne vom Gegenüber verurteilt zu werden. Wer bei uns von seinem Verlust spricht, stößt weder auf betroffenes Schweigen noch auf mitleidige Gesichtsausdrücke, sondern eher auf Verständnis und Inter­esse. Nach Einschätzung der Leiterin der größten Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Berlin, Iris Hauth, sind die Death Cafés ein gesellschaftliches Phänomen. Mit der Säkularisierung der Gesellschaft, vor allem aber auch mit der Individualisierung und der Selbstoptimierung habe die Beschäftigung mit dem Tod keine Bedeutung mehr, sagt sie, ja sie sei zum Tabu-Thema geworden. Aber Death Cafés könnten zu einem gelasseneren Umgang mit dem Tod und dem Lebensende führen. Als Leitende der Death Cafés lasse ich jedes Mal meine Erwartungen fallen. Es gibt weder den einen Tod noch die eine Trauer. Sterben ist der intimste Akt überhaupt. Wir holen den Tod an den Tisch.