Der «Treibstoff des Patriarchats»Artistin

Liv Strömquist schürft und bohrt und hinterfragt

Die Autorin und Zeichnerin Liv Strömquist widmet sich mit feministischem Blick patriarchalen Machtstrukturen und (Paar-)Beziehungen. Ihr letztes Werk, Der Ursprung der ­Liebe, ist nun auf Deutsch erhältlich. ­Martin Reiterer hat es gelesen.

Es gibt immer etwas zu gewinnen bei Liv Strömquist. Zuletzt in ihrem im letzten Jahr auf Deutsch erschienenen Comicband Der Ursprung der Welt waren es Oscars für «Männer, die sich zu sehr dafür interessieren, was als ‹das weibliche Geschlechtsorgan› bezeichnet wird». Unter den Ausgezeichneten befanden sich nicht etwa leidenschaftliche Liebhaber, sondern Mediziner der letzten Jahrhunderte, die sich um Klitorisdektomie (so der Fachausdruck für die Entfernung der Klitoris) und Onanie-Verbote für Frauen kümmerten, die Typen von der Hexenverbrennung oder jene Männer, die 1965 das Grab der schwedischen Königin Christina öffneten, um herauszufinden, ob sich 400 Jahre nach ihrem Tod an ihrem Geschlecht Intersexualität nachweisen ließe, um eine Begründung für ihre außerordentliche Intelligenz nachzuliefern.

In dem Comicband Der Ursprung der Liebe, der gerade in die Buchläden kommt, wird dagegen die aktuelle Gewinnerin der «Männer-Pflege-WM» gekürt. Doch viel zu gewinnen gibt es bei der schwedischen Comiczeichnerin vor allem für die Leser_innen. Die studierte Politikwissenschaftlerin Strömquist, die in Schweden in beliebten TV- und Radiosendungen auftritt und sich mit Biss und Humor gegen bestehende Machtstrukturen wendet, versteht es, ihre inzwischen in mehrere Sprachen übersetzen Comics auf außergewöhnliche Weise mitreißend zu inszenieren. Mit Witz und Scharfsinn seziert sie ausgehend von alltäglichen Phänomenen mehr und weniger versteckte Machtgefüge zwischen den Geschlechtern und ihre historischen Ursachen. Versiert bedient sich die Zeichnerin dabei verschiedener Theorien aus Soziologie und verwandten Disziplinen. Hat die Autorin mit Der Ursprung der Welt, auf Schwedisch 2014 erschienen, eine ebenso lehrreiche wie kurzweilige Kulturgeschichte des weiblichen Geschlechts vorgelegt, so befasst sich der vier Jahre zuvor herausgekommene Band Der Ursprung der Liebe in einem Dutzend ineinander verwobener Comicepisoden mit dem Konzept der Liebe.

Entzauberung.

Die eher einfach geschnittenen Figuren der Schwarz-Weiß-Comics verwandeln sich durch eine aufregende Dramaturgie unterschiedlicher Schriftbilder und Sprechblasen zu einem geradezu hörbaren Lektüreereignis. Wie zur Eröffnung des Bandes, wo Strömquist eine Episode aus Prinz Charles’ und Dianas Love-Story («Whatever ‹love› means», O-Ton Prinz Charles) zitiert, greift die Autorin immer wieder auf ikonische Figuren und Mythen aus Pop- und Medienszenen zurück, um sie dann schlagartig zu entzaubern. So etwa die US-amerikanischen Serienschauspieler Tim Allen, Jerry Seinfeld, Ray Romano und Charlie Sheen, die Strömquist als die «Viererbande» vorstellt und die zu den bestbezahlten Fernsehstars des Landes gehören. Darüber hinaus verbindet die vier, dass sie ihre Millionenbeträge mit Frauen- und beziehungsfeindlichen Witzen verdienen. Doch warum ist das so? «WARUM?! Es muss wohl daran liegen, dass diese Serien einen Humor reproduzieren, in dem sich die Zuschauer wiedererkennen – aber wie kommt es eigentlich, dass sich so extrem viele Menschen in diesen Beziehungsdarstellungen wiedererkennen?»

«Warum» und «wieso» gehören zu den häufigsten Fragewörtern in Strömquists Comics. Die Autorin begnügt sich nicht mit flachen Erklärungsübungen. Sie schürft und bohrt und hinterfragt. Und dieses Geschäft betreibt sie mit Elan und Begeisterung. Ironie, Satire, Schlagfertigkeit sind ihre Ausdrucksmittel, ergänzt durch geschickte ästhetische Strategien der Inszenierung: Vor allem ist es die durchgehende Veranschaulichung ihrer theoretischen Begründungen durch szenische Rollenspiele, in denen insbesondere Subtexte und zurückgehaltene Gedankengänge in den Vordergrund treten. Gerade was gewöhnlich zwischen den Zeilen geschieht, lässt Strömquist ihre gezeichneten Figuren aussprechen. Desgleichen rücken Rollenwechsel, in denen Männer Frauen zugeschriebene Verhaltens- und Reaktionsweisen übernehmen und umgekehrt, das vermeintlich Selbstverständliche unwillkürlich in ein anderes Licht.

Rollenwechsel.

Ein Herzstück des Comics bezieht sich auf das im Anschluss an den US-amerikanischen Soziologen Randall Collins so bezeichnete «sexuelle Eigentumsrecht», das ausgerechnet durch die Liebesheirat, und zwar durch die Verknüpfung von Liebe und Sex, neu begründet wurde. Auch hier nimmt die Autorin einen konkreten Vorfall zum Anlass, um sich der Frage anzunähern. In diesem Fall ist es die beiläufige Antwort einer prominenten Fernsehmoderatorin auf die Frage, wie sie es mit der Treue zu ihrem Mann halte: Sie wisse da, wo die Grenze ist. Genau hier setzt Strömquist an, stellt sich zuerst einen Rollenwechsel mit einem Mann in dieser Interviewsituation vor, inszeniert dann, was passieren würde, wenn die Moderatorin nicht wüsste, wo ihre Grenze ist und umgekehrt. Immer wieder überrascht es, wie sehr Visualisierungen dazu beitragen, allgemein Hingenommenes ins Wanken zu bringen. Das abwechslungsreiche Repertoire an Inszenierungsmustern und Versuchsanordnungen hält die Lektüre lebhaft in Gang, wie beispielsweile Vorher-Nachher-Gegenüberstellungen bei geschichtlichen Entwicklungen, Vergleiche zwischen unterschiedlichen Gesellschaftsmodellen und – teils historisch verbürgten – Gegenmodellen, wie etwa der Paarbeziehung und polyandrischen Beziehungsmodellen, oder anachronistische Einwürfe.

Irritation.

Während es der Autorin gelingt, komplexe Sachverhalte als inszenierte Erkenntnisprozesse elegant auf den Punkt zu bringen, kommt es doch auch zu irritierenden Vereinfachungen und Entdifferenzierungen. Doch Verstörung, die man als Leser_in zulässt, ist mitunter auch ein geeignetes Mittel, um Denkprozesse anzuregen. Das Zu- und Überspitzen, das Wörtlich-Nehmen und Eins-zu-eins-Umsetzen von Gemeinplätzen und Mustern, kurzum die Übertreibung erweist sich als geeignetes Instrument, um an der Übermacht des Bestehenden spürbar zu kratzen.

«Woher bezieht das Patriarchat seinen enormen Pepp und wieso besteht es in der heutigen westlichen Gesellschaft einfach weiter und weiter und weiter?» Die Antwort mag verwundern, denn der «Treibstoff für das Patriarchat» komme ausgerechnet aus der Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau. «Ja, ich weiß, das ist eine Verallgemeinerung! Aber trotzdem irgendwie interessant, oder? Machen wir mal weiter …» Die kaum um eine Antwort verlegene Autorin überzeugt auch darin, dass sie nicht nur mit fertigen Theorien auftritt, sondern sich auch beim Denken zuschauen lässt: «Ach, was weiß denn ich?! Ich bin doch nur eine Comiczeichnerin.» Dem widersprechen ihre ästhetisch anspielungsreich verwobenen Schwarz-Weiß-Comics allerdings, die man als feministische Grundlektüre nur ans Herz legen kann.

Der Preis für die «Männer-Pflege-WM» geht diesmal übrigens an Nancy Reagan, die Frau jenes früheren US-amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan, der einst ohne Wimpernzucken die Sozialausgaben seines Landes mit der Begründung kürzte, der Staat könne schließlich nicht bei jedem «am Krankenbett sitzen wie eine riesige Krankenschwester!» Als Ronald Reagan sich schon lange nicht mehr an diesen Satz erinnern konnte, da er an Alzheimer erkrankt und vollends auf Pflege angewiesen war, war es Nancy Reagan, die ihn zehn Jahre lang pflegte. Jenseits dieses historischen Zynismus kommt ein weiteres Mal die Ironie der Geschichte ins Spiel. Denn in diesem liebevollen Ausharren am Krankenbett haben Soziolog_innen einen ganz besonderen Kontrapunkt zum System des Kapitalismus erkannt: Ausgerechnet der Kommunist_innenhasser Reagan ist am Ende seines Lebens darauf angewiesen, was Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim den «Kommunismus im Kapitalismus» bezeichnet haben.

 

Liv Strömquist:

Der Ursprung der Liebe

Aus dem Schwedischen von Katharina Erben

avant-verlag, 2018

136 Seiten, 20 Euro

Liv Strömquist:

Der Ursprung der Welt

Aus dem Schwedischen von Katharina Erben

avant-verlag, 2017

140 Seiten, 20 Euro