Der vasteht des eh nettun & lassen

Von Augustin-Leser beobachtet: Ein Staat gegen einen Bettler

Für Aufdeckungsjournalismus sind andere Medien zuständig. Auf dieser Seite wird nichts «aufgedeckt», denn jede/jeder, die/der in Wien bettelt und weder weiß genug noch abendländisch genug aussieht, könnte Bücher mit solchen Erlebnissen füllen. Dokumentiert werden sie kaum, denn die Betroffenen finden sie banal und keiner Schlagzeile wert, während die Macher der Schlagzeilen an ihren selbstfabrizierten Stereotypen picken: etwa am Klischee der Ost-«Krüppel», die von verschlagenen östlichen Hintermännern zu mitleidsgenerierenden Handikap-Inszenierungen gezwungen werden.

«Liebe Leute vom Augustin. Ich war heute (27.11. 2010, 12:30 bis 12:50)

zufällig Zeuge einer Amtshandlung der Polizei gegen einen Bettler auf der Mariahilfer Straße in Wien. Ich weiß, dass es solche Szenen in diesem Land täglich zuhauf gibt, trotzdem möchte ich euch eine kurze Schilderung und zugehörige Fotos schicken…». So sorgfältig dokumentiert und so empathisch protokolliert ist uns noch kaum ein Tathergang übermittelt worden. Augustin-Leser Christian W. schildert im Folgenden den Ablauf einer «Säuberungsaktion» durch Wiener Polizeibeamte, die sich wie es der couragierte Augenzeuge wahrnehmen konnte des menschenrechtswidrigen Gehalts ihrer Amtshandlung nicht einmal ansatzweise bewusst waren.

«Ich sehe einen Bettler, der zusammengekauert vor einem Geschäft in der

Mariahilfer Straße sitzt. Zwei junge Polizisten steuern auf ihn zu und

nehmen ihm sein Geld, das er in einem Becher gesammelt hat, weg. Ich

mische mich ein und frage, was los sei. Ein Polizist antwortet, dass der

Mann gegen das Bettelverbot verstoßen habe und daher weggebracht werden

wird. Auf meinen Einwand, dass es in Österreich kein Bettelverbot gebe,

präzisierte er auf gewerbsmäßiges Betteln. Meine Frage, wie man

nicht-gewerbsmäßig betteln könne, blieb unbeantwortet. Die InhaberIn des

Geschäfts, vor dem der Bettler gesessen ist, hätte die Polizei gerufen,

sie müssen einschreiten.»

Augenzeuge Christian W. intervenierte weiter. Er bat die Beamten, dem Mann doch einfach das Geld zurückzugeben und ihn gehen zu lassen. Reaktion:

«Wir erfüllen Gesetze». Einer der Polizisten habe dem unbequemen Zivilisten mit einer Anzeige wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt gedroht. Zur Überraschung aufmerksam gewordener PassantInnen sei plötzlich exekutive Verstärkung angerückt. Ein behinderter, eingeschüchterter Bettler löste also einen Polizeieinsatz von ca. zehn PolizistInnen mit drei Polizeifahrzeugen aus.

Weiter im Protokoll des Augenzeugen: «Versuche des Bettlers, langsam wegzugehen (schnell konnte er aufgrund seiner körperlichen Behinderung sowieso nicht weggehen), wurden von den beiden ersthandelnden Polizisten vereitelt, indem sie sich breitbeinig vor den Bettler stellten und ihm in gebrochenem Deutsch den Befehl gaben stehen zu bleiben (der vasteht des eh net). Nach kurzer Zeit mischten sich weitere zwei PassantInnen ein, appellierten an die Menschlichkeit der PolizistInnen und baten sie, den Mann doch einfach gehen zu lassen. Der Bettler wirkte auf mich sehr verängstigt. Eine Passantin wollte dem Bettler trotz des massiven Polizeiaufgebots Geld geben, das wurde von den PolizistInnen vereitelt

und mit den Worten kommentiert: Des nehmen ma eam sowieso glei wieder

weg».

Christian W. behauptet schließlich, er sei von einem Teil der Einsatzgruppe verhöhnt worden, als sie von ihm fotografiert wurden. «Auch mit dem Wissen, dass das mittlerweile rassistischer und menschenverachtender Alltag in Österreich ist», so endet das Mail des Dokumentaristen, «empfinde ich größte Empörung darüber, wie hier mit Menschen umgegangen wird, es kotzt mich an.» Uns geht es ähnlich, obwohl wir nicht dabei gewesen sind und die Faktizität der Beobachtungen nur vermuten können.

Und trotzdem wollen wir LeserInnen ermuntern, unsere «StraßenkorrespondentInnen» zu werden, wie Christan W. 

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