Der wichtigste deutsche «Achtundsechziger»tun & lassen

Sachbuch: Der verdienstreiche Wagenbach-Verlag hat eine Textsammlung Rudi Dutschkes neu aufgelegt

50 Jahre nach 1968 veröffentlicht der Wagenbach Verlag, einst Hausverlag der «Achtundsechziger», eine Handvoll wichtiger Bücher dieser Zeit. Neben dem leider fast in Vergessenheit geratenen Peter Brückner und Ulrike Meinhofs legendärem «Bambule» ist nun – in erweiterter Fassung – auch eine kleine Textsammlung des vielleicht wichtigsten deutschen «Achtundsechzigers» wieder zugänglich: Rudi Dutschke.

Sie erschien ursprünglich 1980, ein Jahr nach dem tragischen Tod Dutschkes – eine Spätfolge des 1968 auf ihn verübten Schuss­attentats. Ein Brief Dutschkes an seinen Attentäter findet sich in dem Band ebenso wie dessen Antwort. Neu aufgenommen wurde unter anderem ein Schulaufsatz Dutschkes von 1960, in dem der später nach Westdeutschland Emigrierte in erstaunlich geschliffenen Worten die mangelnde Religionsfreiheit in der DDR kritisiert. Es mag heute, angesichts der weit verbreiteten und oft erstaunlich unreflektierten Religionsfeindschaft vieler Linker, erstaunen, aber Dutschke war nicht nur revolutionärer Marxist, sondern auch Zeit seines Lebens bekennender Christ.

Die Themen der weiteren Texte, oft schriftliche Fassungen von Referaten und Vorträgen, sind vor allem die antikolonialen Bewegungen sowie die nur auf den ersten Blick tagespolitisch anmutenden strategischen Interventionen in die Student_innenbewegung. Dahinter verbirgt sich jedoch ein theoretisch gehaltvoller wie politisch klarer Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse im Nachkriegs-Westdeutschland. Eine klar marxistische Analyse verbindet sich mit einer scharfen Kritik am orthodoxen (Partei-)Marxismus. Nicht zufällig ist eines der meist verwendeten Vokabeln Dutschkes «antiautoritär»: Der notwendige Bruch mit den spezifisch deutschen Formen von institutionalisiertem Kapitalismus «oben» sowie weit verbreiteter Obrigkeitshörigkeit «unten» steht im Zentrum von Dutschkes Denken und Handeln. Die Rolle der Student_innen als temporäre Avantgarde wird von ihm ebenso klar erfasst wie die Notwendigkeit, weit über sie hinauszugelangen, um eine nachhaltige Gesellschaftsveränderung durchzusetzen. Eine klare Leseempfehlung: als historisches Dokument, aber auch als Messlatte für die Mindestreife einer Linken im 21. Jahrhundert.

Martin Birkner

Rudi Dutschke: Geschichte ist machbar

Texte über das herrschende Falsche und die Radikalität des Friedens

Wagenbach 2018, 128 Seiten, 10 Euro