Der Wunsch nach Beichte wird jedem Häftling erfüllt. Doch der nach einem Tanzkurs…Dichter Innenteil

KultursorgerInnen und Seelenskulpteure

Plädoyer für eine Gleichberechtigung von Göttern und Musen, zumindest was ihre Funktion als Kas (Kaiserlicher Arrestschließer) betrifft. Tina Leisch, Textarbeiterin und Regisseurin zuletzt realisierte sie ein Theaterprojekt mit Insassen der Jugendstrafanstalt Gerasdorf sammelt Argumente für kulturelle Arbeit in den Gefängnissen.Wenn das Mensch am Boden seines Lebens hingeschmissen liegt, oder ein paar Klafter drunter, ist die Stunde der Priester angebrochen. Die Sterbenden, verzweifelt Hinterbliebenen, trauernden Verwandten, Drogensüchtigen auf Entzug und die eingesperrten Verbrecher ziehen sie an. Denen, die sich selber gerade gar keinen Ausweg aus Krankheit, Schmerz oder Selbstbeschuldigungen finden, drehen sie im Sonderangebot ihre Götter an, die sonst kaum mehr wer will. Evangelische, katholische, adventistische, evangelikale Missionare, Seelsorger der Zeugen Jehovas und Imame gehen in den Gefängnissen auf Seelenfang wie Angler im Haus des Meeres.

Vielen Gefangenen sind sie willkommener Besuch. Sind sie doch meist die einzigen AnsprechpartnerInnen, die weder Mitglied der Gefangenensubkulturen noch Verpflichtete der einsperrenden Institution sind. Mit dem Priester kann man zumindest offen über Dinge sprechen, die man SozialarbeiterInnen, PsychiaterInnen oder TherapeutInnen aber auch Mitgefangenen – nicht sagen kann. Denn zwar ist das Leitmotiv heutiger Justizpraxis weniger die Rache und die Strafe, sondern mehr Resozialisierung und Therapie. Doch die TherapeutInnen und SozialarbeiterInnen sind Teil der Gefängnismaschinerie. Was man ihnen anvertraut, wird zum Argument für oder gegen Hafterleichterungen oder vorzeitige Entlassung. Insofern haben viele Gefangene ein großes Interesse daran, ihnen gegenüber ein vorteilhaftes Bild von sich selbst zu malen (ich schreibe: viele Gefangene: es gibt natürlich auch Leute, die sich dem Resozialisierungsapparat verweigern und um den Preis der vollen Strafe z.B. aus ihrer Berufswahl Verbrecher der Institution gegenüber kein Geheimnis machen).

Die Gefangenensubkulturen andererseits haben oft sehr rigide Regeln, die jemandem Status zuschreiben oder aberkennen. Auch da ist es oft notwendig mit Bekenntnissen und Reflektionen eher vorsichtig umzugehen um nicht Stufen auf der Hierarchieleiter hinab zu steigen.

Dabei gibt es SeelsorgerInnen, die das Ziel ihrer Arbeit darin sehen, ihrem Gott möglichst viele Gefangene zuzuführen, und es gibt solche, die den Gott eher hauptsächlich als höchsten Schließer benützen, der ihnen die Tür aufsperrt, um Menschen begegnen und helfen zu können, die vielleicht diese menschliche Begegnung und Hilfe, dieses reflektierte und solidarische Gegenüber dringend nötig haben. Über die wichtige Bedeutung dieser zweiten Sorte hört man dann von Gefangenen und Exgefangenen manch ergreifende Geschichte.

Warum lässt der säkulare Staat Götter zu, nicht aber Musen?

Die Frage ist allerdings, wieso ein säkularer Staat nur den Göttern diese Schließerfunktion zubilligt, aber nicht den Musen. Wieso dürfen im Namen von Herrgott, Allah oder Jehova Hilfswillige selbstverständlich Gefangene besuchen, mit ihnen Gesprächskreise, Bet-Abende, Beichtstunden abhalten, aber wer das im Namen von Melete, (Nachdenken), Mneme (Gedächtnis), Klio (Geschichtsschreibung), Melpomene (Tragödie und Trauergesang), Terpsichore (Tanz , leichte Unterhaltung), Thalia (Komödie ), Euterpe (Flötenspiel, Gesang ), Erato (Liebes-Lyrik), Urania (Sternkunde und Lehrdichtung), Polyhymnia (Hymnische Dichtung), Pantomime (ernster Gesang) oder Kalliope (Epische Dichtung, Philosophie, Wissen) tun will, beißt meist auf Granit.

Jedenfalls sind kulturelle Projekte im Gefängnis, wenn überhaupt, dann nur nach umständlichen, langwierigen Genehmigungen möglich. Dass sie vom Justizministerium bezahlt werden, ist eine große Ausnahme.

Derweilen wäre kulturelle Arbeit umso wichtiger, weil viele Leute im Häfn sitzen, nicht weil sie als Individuum mit sich oder der Gesellschaft ein Problem haben, sondern weil in der Sozietät, der Gruppe, der Kultur und/oder Subkultur, der sie angehören andere Regeln gelten als in der Mainstreamkultur, die sich in den Gesetzen spiegelt.

Es ist ein kulturelles Problem, wenn es als legitim, ja sogar geboten, zur Aufrechterhaltung der Familienehre notwendig gilt, den Liebhaber der Schwester, die unverheiratet Sexhabende Schwester, den Mörder des Bruders umzubringen.

Es ist ein kulturelles Problem, wenn männliche jugendliche Drogensüchtige das Geld für die Drogen durch Prostitution verdienen, gleichzeitig aber aus dermaßen schwulenfeindlichen Kulturen kommen, dass schwuler Sex das allerletzte ist: das potenziert Homophobie, bei gleichzeitig praktizierter schwuler Sexarbeit also ein explosives Gemisch, das ungleich öfter als es je bekannt wird zu gewalttätigen Übergriffen auf die Freier führt (die meist keine Anzeige machen, weil sie sich vor der Gegenanzeige wegen Sex mit Minderjährigen fürchten).

Es ist ein kulturelles Problem, wenn man so erzogen wird zu glauben, dass man „den Österreichern ruhig ein Auge ausstechen kann, denn es wächst ihnen ja nach…, ebenso wenn mann glaubt, dass man mit ausländischen Frauen machen kann, was man will, da sie eh nichts wert sind.

Weder Therapie noch Religion hilft da: Therapie betrachtet als individuelles, oft sogar physiologisches Problem, was ein kulturelles ist. Religion affirmiert zum Teil diese Haltung (es soll Imame geben, die augenzwinkernd zu verstehen geben, dass Allah nur Morde an Unschuldigen missbilligt…..) Religion fordert Reue, Buße, Anerkenntnis moralischer Werte ohne Einsicht in das Dilemma. Jedenfalls predigt Religion eher Identifikation mit einem Weltbild statt Einsicht in die Kompliziertheit widersprechender Ansprüche und Sichtweisen.

Kunst im Strafvollzug macht die AkteurInnen souveräner

Die Fähigkeit, die sich teilweise diametral widersprechenden Regeln der verschiedenen Sozietäten, zu denen man gleichzeitig gehört, zu erkennen und in diesem Identifikations- Anpassungs- und Loyalitätsdilemma eine souveräne und selbstbewusste Entscheidung zu fällen, hat mindestens soviel mit kultureller Kompetenz, mit Einblick in die Regeln der Bildung von Gruppenphantasmen, kulturellen Codes und intersozialen Spielregeln zu tun als mit individueller Kompetenz.

Weil man in die Rollen von Leuten schlüpfen kann, die ganz andere Probleme oder die gleichen Probleme haben, wie man selbst, ohne in die oft narzisstisch kränkende Therapiesituation der Reflexion über das eigene Leben=Versagen gestoßen zu sein, ermöglicht z.B. Theaterspielen ziemlich spielerisch und Lust bereitend Konfliktsituationen auszuprobieren.

Man kann sich spielerisch in das Opfer der eigenen Tat versetzen, ohne dass das ein Kniefall vor der Institution wäre.

Kunst im Strafvollzug kann die Ausdrucksfähigkeit von Menschen steigern, ohne allerdings ihnen eine Sprache, einen Jargon, einen Inhalt vorzugeben.

Sich ausdrücken zu können, nachzudenken, sich darzustellen, sich zu spüren, sich zu inszenieren heißt souveräner werden, sich erfinden statt sich immer nur von anderen zu was machen zu lassen, Möglichkeiten zu sehen, die man sich nicht mal vorstellen konnte.

Insofern plädiere ich dafür, sofort, den Musen die Schlüssel zu den österreichischen Gefängnissen zu überreichen. Wer in ihrem Namen mit den Gefangenen arbeiten möchte, darf das selbstverständlich. Wenn Gefangene den Wunsch nach Liebeslyrikkursen, Geschichtswerkstätten und Tanztheater äußern, soll er ihnen genauso erfüllt werden, wie der Wunsch nach Beichte oder heiliger Kommunion. Amen.

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