Des Reichskanzlers Wohlfahrtstaattun & lassen

eingSCHENKt

Das Sozialstaatsmodell Österreichs und auch Deutschlands wird in der Wissenschaft „Bismarckscher“ Sozialstaat genannt; nach dem deutschen Reichskanzler, der als Antwort auf die sozialen Kämpfe im 19.Jahrhundert das Sozialversicherungssystem einführte.Bismarck wollte die Arbeiter befrieden, aber gleichzeitig die Rangordnungen beibehalten. Der bismarcksche Wohlfahrtsstaat setzt tendenziell auch heute noch auf eine Verwaltungs- und Vollzugspraxis, die nicht den Bürger, sondern den Untertanen sieht. Vieles atmet da noch den obrigkeitsstaatlichen Wohlfahrtsstaat; „Vater Staat“, der seinen minderjährigen Kindern (milde) Gaben zuteilt. Besonders auf den Sozialämtern wird in zahlreichen Studien ein willkürlicher und bürgerunfreundlicher Vollzug festgestellt. In anderen Feldern des Wohlfahrtstaates haben sich Beschwerde- bzw. Kontrollstrukturen etabliert: zum Beispiel im Gesundheitssektor die Patientenanwaltschaft oder bei Heimen die Bewohner_innenvertretung oder für geschlossene Einrichtungen die Kommissionen der Volksanwaltschaft. Am Arbeitsamt und am Sozialamt aber gibt es bis jetzt keine unabhängigen Kontrollinstanzen für Betroffene. Eine Möglichkeit wäre hier gegenüber dem AMS eine Arbeitslosenanwaltschaft einzusetzen, die die Rechte von Erwerbslosen wahrt und Missständen nachgeht. Eine solche Idee wurde bereits in Oberösterreich ausgearbeitet und bei Regierungsverhandlungen diskutiert. Was es jedenfalls braucht, sind unabhängige Stellen, die über eine beraterische Funktion hinaus den Charakter von „Rechtsdurchsetzungsagenturen“ haben. Sie müssen der Ort sein, wo sich potentiell Anspruchsberechtigte vor einer Antragstellung über ihre Rechte informieren können, und wo sie später auch die Rechtmäßigkeit ihres Bescheids überprüfen lassen können. Diese Beratungs- und Rechtsdurchsetzungsagenturen müssen mit der Kompetenz ausgestattet sein, im Auftrag ihrer Klient_innen gegen Bescheide zu berufen. Sollte es notwendig sein, im Berufungsverfahren bis vor Gericht zu gehen, muss die Beratungsstelle in der Lage sein, die dabei entstehenden Kosten – u.a. aufgrund der Rechtsanwaltspflicht – zu übernehmen.

Große Herausforderungen finden sich auch bei Mitbestimmung und Partizipation Armutsbetroffener. Für eine bessere Bürgerbeteiligung müssen mit neuen Partizipationsprojekten besonders benachteiligte Bevölkerungsgruppen eingebunden werden: „Wir wollen unsere Alltagserfahrungen, die alltäglichen Einschränkungen und Hindernisse, aber auch unser Können, unsere Stärken und unsere Vorschläge für Verbesserungen sichtbar machen“ formulierten Betroffene im Projekt „Sichtbar Werden“ der Armutskonferenz. Erwerbsarbeitslose, Mitarbeiter_innen von Straßenzeitungen, Personen mit Psychiatrie-Erfahrung, Menschen mit Behinderungen und Alleinerzieherinnen kommen zusammen, um gemeinsam über Strategien gegen Armut zu beraten. Da braucht es Instrumente und Verfahren, um diese Expertise auch in die politischen Entscheidungsstrukturen einfließen zu lassen: im Verwaltungsrat des AMS oder in Beratungsgremien für Minister oder in Strategieforen der Gesundheitsbehörden oder in Programmen der Gemeinden. Kurz: Der „Bismarcksche Wohlfahrtsstaat“ braucht einen ordentlichen Demokratischub.