Des Viech in mirArtistin

Lenny Lakatos

Am Donnerstag, dem 14. Juni, starb Lenny Lakatos, Barde, Poet, Schauspieler, vehementer Atheist und Feminist im Alter von 60 Jahren im pulmologischen Pavillon Leopold am Steinhof.

Der Francois Villon von Penzing. Der Anton Kiraly vom Steinhof. Der Chronist der narbenreichen Liebe bei Leibe makelhafter Menschen. Der die schönsten wienerischen Hymnen schrieb auf Koiksbuag und Koarlsplotz, aufs Leben im Widerspruch, auf die Widersprüche, die das Leben ausmachen, auf Seelenverwicklungen und Rauschirrgärten.

«Zwischn meiner linkn Brustwarzn und / mein Magn is a tiafa, koida See. /

Tausnd Meter und immer no ka Grund, / manchmoi steign Blasn in d Höh. /

I waaß, dass in den finstern Wasserloch / a schiaches, giftiges Viechzeug haust. /

Manchmoi, da kummt von eam a Rülpser hoch, / und dann stinkts, dass an graust. /

I waaß von den Viech, und wüüs goanet wissen,,/ i hab a Angst, i wird / von eam in den See einegrissn, / a Auftauchn gibts dann nimmermehr.»

Sein Großvater väterlicherseits war nach Lennys Erzählungen ein ungarischer Rosstäuscher, seine Mutter war eine erfolgreiche Sängerin, die wegen der Gemeinheiten der Welt die Stimme verloren hatte, sein Vater ein von den Nazis als «politisch unzuverlässig» eingestufter Revolutionärer Sozialist, sein Großvater mütterlicherseits ein Komponist bis heute geläufiger und viel gespielter Wiener Lieder wie «Erst wanns aus wird sein», über deren Sentimentalität Lenny nicht nur spottete: Er nahm die Sehnsucht der Menschen ernst, aber prangerte deren profitträchtige, verdummende Ausschlachtung an. Er sah mit Kopfschütteln zu, wie die Menschen sich von Medien, Pfaffen und Politikern zum Narren halten lassen, richtete seinen Zorn und Spott aber immer gegen die Betrüger, nicht gegen die Betrogenen.

Er war eines von sieben Kindern. Er war ein wilder Hund mit hohem Schmäh, ein leidenschaftlicher Anspruchsteller ans Leben. Er war sehr belesen. Er arbeitet als Profimusiker, Krankenhausmanager, Rechtsanwaltsgehilfe, Experte in Sachwaltersachen und Problemstoffexperte. Gewalt war ihm zutiefst zuwider. Lieber brachte er das Viech in sich mit Rotwein oder Tramal zur Ruhe, als dass er ihm je erlaubt hätte, gegen andre die Faust zu erheben.

Mir ist Lenny 2003 am Steinhof begegnet. Er hatte sich am 12er-Pavillon einer Alkoholtherapie unterzogen und war der große Glücksfall für unsere Theaterproduktion «Irrgelichter im Spiegelgrund»: der lebendige, strahlende, herzerwärmende Beweis für die Vermutung, dass seit 1907 nicht wenige der gscheitesten, kreativsten, sensibelsten und am weitesten über die schlechte Wirklichkeit hinaussehnenden Menschen dieser Stadt im Otto-Wagner-Spital als Patient_innen registriert werden.

Lenny schrieb mit mir den Stücktext Irrgelichter im Spiegelgrund und dann selber noch zwei weitere Theaterstücke rund um den Steinhof: «Dr. Leids Psychoparalyse», einen psychiatriekritischen Schwank, den er auch selber mit ehemaligen Mitpatienten inszenierte, und «Drüben», das sich mit dem politischen Alptraum befasst, dass eine völlig skrupellose und verdummte Asozialdemokratie tatsächlich die leerstehenden Pavillons des Otto-Wagner-Spitals als Luxuswohnraum für Bonzen umwidmet.

Seit vier Jahren bemühte er sich darum, sein letztes Werk, die Revue «Verkaufsschlager», auf die Bühne zu bringen. Zwar hatte er 2010 mit seinem Freund, dem Volxtheaterveteranen Alex Peer schon eine Skizze als Preview im Café Urania präsentiert: Die Soundtracks hatte er selber am Computer eingespielt. Doch Lenny wünschte sich eine musikalisch angemessene Präsentation seiner «ab-ART-igen» Revue, mit guten Musiker_innen, Bühnentechnik, Licht und Promotion. Wir versprachen es ihm, Musiker_innen und Freund_innen. Und hatten dann doch zu wenig Zeit, uns um Lennys Liebeserklärung an die Irren und Giftler, sein Plädoyer fürs Nachdenken-über statt Verurteilen-von Pädophilie auf eine Bühne zu stellen.

Der lyrisch-musikalische Chronist des Wiens von unten hat ein umfangreiches Werk hinterlassen, das es also erst zu entdecken gilt.

Nicht nur der «Verkaufschlager» wurde keiner. Lenny trat zwar immer wieder einmal auf mit seinen Liedern, doch weder gab es je eine professionell aufgenommene und herausgebrachte CD, noch wurden seine Lieder im Radio gespielt, obwohl viele kritischer, schärfer und anteilnehmender sind als die seiner erfolgreicheren Kollegen. Oder vielleicht gerade deshalb?

Der lyrisch-musikalische Chronist des Wiens von unten hat also ein umfangreiches Werk hinterlassen, dass es erst zu entdecken gilt.

Statt ihn mit atavistisches Kulten zu beerdigen, wünschte er sich, dass seine Freunde und Freundinnen nach seinem Tod zu einer Gedenkparty zusammenkommen.

Mir fielen noch ein paar Gesten mehr ein, mit denen die Stadt Wien diesem verkannten Genie die verdiente Anerkennung zollen könnte: Z. B. sollte die Schranke und der Münzeinwurf vor den Toiletten am Praterstern abgerissen werden, der Zugang zum Häusl frei und gratis werden und aus Lautsprechern auf Knopfdruck Lennys «Pissoaa am Prodaschdean» erklingen:

Na siechst, des gibts jetz nimma, / des ghetz und angfäut wern. / Da steht ka Kuckuckpicker vua da Tia / vom Pissoir am Prodastean. / Ka Postler mit an blaun Briaf / kann di mea sekkiern. / In Zinszettl und de Radiogebühr / kennan sa si waaßt eh wo einefian / Ka Oasch von an Inkassobüro / stellt in de Tia sein Fuaß / Der traut si netamoi eine do / wann er brunzn muaß (…) Do, peck amoi vom Doppler, / und mir wern da des erklärn / wia ma lebt und überlebt / im Pissoir am Prodaschdean.

«Und seid nicht traurig» endet sein Testament.

Kein einfacher Auftrag.

03 pissoaa am prodaschdean.mp3  (2.65 MB) 

b 11 Des Viech in mir.mp3  (4.77 MB)