Dialektjuwelen an der Goldmeilevorstadt

Der Tschocherl-Report (9. Teil)

Früher war die Ögussa in der Gumpendorfer Straße allein auf weiter Flur. Dann kam die Wirtschaftskrise und rings um die Österreichische Gold- und Silberscheideanstalt sprangen die Goldhändler wie Schwammerl aus dem Boden. Mittendrin in Wiens Goldmeile liegt heute das Café Jersey und nicht selten kommt es vor, dass ein Kunde dort seine soeben verflüssigten Kostbarkeiten gegen Liquides anderer Art umtauscht.Manchmal läuft es aber auch umgekehrt. Stammgast Manfred erzählt von einem Juwelier, der mit zwei Goldbarren aus der Ögussa kam, mit seiner Freundin im Jersey Schnaps trank und bei der Heimfahrt die wertvolle Ware im Bus vergaß. Am nächsten Tag kam er wieder und fragte, ob irgendwer hier seine Goldbarren gesehen hätte. Über diese Episode muss Manfred heute noch lachen. «Da fahr ich doch mit dem Taxi, anstatt, um Geld zu sparen, mit dem Bus.»

Aber natürlich kommen nicht nur die Kund_innen der Goldhändler ins Jersey. Kellnerin Hilde beschreibt ihr Publikum so: «Hier hast du alles: Studenten, normale Arbeiter, Hockenstade, Ärzte, es kommen die von der Ögussa, und die Leute vom serbischen Konsulat und von der Post gegenüber.» So vielfältig der Kund_innenmix auch ist, eine Zutrittsbeschränkung fürs Jersey gibt es doch: «Nur stinken derf er ned, donn darf er eina», sagt Hilde, die ihren Job im Übrigen so definiert: «I bin fia die Bledheiten zuständig, Leid niederkeppeln, aussihaun, einazahn.» Hilde ist ein wahres Urgestein der Branche und des Bezirks. Seit über dreißig Jahren arbeitet die Dame mit dem flinken Mundwerk als Kellnerin, und zwar ausnahmslos hier in der Gegend. Sie hat in so ziemlich jedem Lokal des Grätzels gearbeitet, bis auf die ganz Neuen kennt sie alle, seit 19 Jahren arbeitet sie im Jersey. Normalweise ist sie für die Nachtdienste zuständig. Weil die Chefin aber gerade auf Urlaub ist, hat sie ausnahmsweise Frühschicht. «Deshalb schau i drein wia der Zins, i bin des ned gwend», sagt Hilde. «I werd immer erst munter, wenn die Luft schwarz wird.»

Als «Hausmeisterin des Bezirks» wird Hilde von Frau B. bezeichnet und als «Institution». Frau B. selbst sei früher nie in «solche Lokale» gegangen, und vor ein paar Jahren seien auch noch mehr ungute Leut hier gewesen. Erst seit es die neue Chefin gibt, die «Pippi», sei es hier richtig nett. Was sie unter «solchen Lokalen» versteht, lässt sie offen. Fotografiert werden will sie jedenfalls nicht. Genauso wie um ihren Ruf besorgt ist sie auch um den eines Postbediensteten, der ihr an einem Stehtisch Gesellschaft leistet. Doch der beschwichtigt, er komme ausschließlich in seiner «Privatzeit» hierher.

Hilde auf die Frage, wie lange es das Jersey schon gibt. «Scho ewig und drei Jahr.» Der Postler weiß es genauer. Seit 33 Jahren gibt es das Lokal, und seit 33 Jahren kommt er auch hierher, und zwar jeden Tag.

Sehnsucht nach dem Steuerparadies?


Wieso es Café Jersey heißt, weiß aber auch er nicht. Dafür kann er sich an manchen früheren Lokalnamen und einige Vorbesitzer erinnern. Einmal hatte es ein Autofreak namens Helmut, da hieß es Shadow, dann hatte es ein Willi, der angeblich «vom andern Ufer» war und die Wand zur Damenboutique nebenan hat einbrechen lassen und das vergrößerte Lokal Willis Bistro nannte. Als die Hilde hier anfing, hatte es eine Evi, da war das Lokal noch ein alter Brandineser. Irgendwann hatte es auch eine Andrea, außerdem hieß es noch Café Vis à Vis (Manfred: «Vielleicht weil es vis à vis von der Ögussa liegt) und Mokka & More.

Vielleicht war es ja die Sehnsucht nach dem Steuerparadies Jersey, dieser in letzter Zeit in Verruf gekommenen Insel im Ärmelkanal, die für die Namensgebung ausschlaggebend war. Wie auch immer. Die aktuelle Besitzerin ist jedenfalls Chinesin, die mit einem Österreicher verheiratet ist, Xiao Yan Schmid heißt, von den Gästen aber Puppe, Puppi oder eben Pippi genannt wird. Einen Grund für diese Spitznamen scheint es nicht zu geben. Mit den vielen Puppen, die den Wandverbau hinter der Bar zieren, soll es jedenfalls nichts zu tun haben. Vielleicht eher noch mit der Statur der Chefin. Frau B. beschreibt sie so: «Sie ist klein, irrsinnig umtriebig und trinkt keinen Tropfen Alkohol.» Außerdem sei sie hundertprozentig in Ordnung, urlustig und leiwand.

Die Puppen sind nicht der einzige ungewöhnliche Teil des Lokaldekors. In deren Mitte sitzt ein kleiner goldener Buddha, und im Nebenraum steht ein chinesischer Paravent an der Wand, weshalb es im Jersey auch ein bisschen aussieht wie in einem Chinarestaurant. In einem Chinarestaurant allerdings, in dem es nichts zu essen gibt. Hilde zur Tatsache, dass man im Jersey nicht einmal einen Toast oder Würstel bekommt: «Wegen fünf Toast im Monat haben wird dann jedes Monat das Marktamt da, das zahlt sich nicht aus.» Dafür dürfen von Gästen Speisen mitgebracht werden. Da stellt Hilde auch gerne Besteck und Teller zur Verfügung. Zum Essen gibt es also nichts, aber man kann einzelne, von Hilde selbst gewuzelte Zigaretten kaufen. Fein säuberlich gedreht warten sie in einer Tupperwarebox an der Bar auf Käufer_innen.

Hilde weist auf eine weitere Lokalbesonderheit hin. Sie ist stolz darauf, dass das Jersey eines der wenigen Lokale sei, die noch einen «Rolleda» hätten. Was das sei? Hilde schnappt sich einen langen Haken, tritt hinaus auf den Gehsteig und zieht den Rollladen herunter. Der Postler dazu: «Heute heißt das Außenjalousie.»

Erwähnenswert am Jersey ist auch die wuchtige, sehr gemütlich aussehende dunkelgrüne Ledergarnitur, die den Nebenraum dominiert. Da dürfe aber nicht jeder sitzen, sagt Hilde. Aus Angst, dass manch einer aus Unachtsamkeit ein Brandloch verursacht, würden immer wieder «Wohnzimmerverbote» ausgesprochen. Auch «Füße hinauftun» sei strengstens verboten und werde gleichfalls geahndet. Der Betroffene dürfe sich dann nur im Barbereich aufhalten.

Manfred hat kein Wohnzimmerverbot, er sitzt nur zufällig an der Bar. Ins Jersey kommt er schon lange, aber erst seit es die neue Chefin übernommen habe, sei es seine «Stammhittn» geworden. Der 58-Jährige, der in seinem Beruf als Deutschlehrer für Migrant_innen arbeitet und nicht aussieht wie 58 («Meine Studenten halten mich jung»), nennt für seine regelmäßigen Besuche im Café Jersey einen besonderen Grund. Manfred: «I kom doher, damit i den Wiener Dialekt ned verlern.»

Fotos: Peter M. Mayer

CAFÉ JERSEY

Krügerl: 2,90

Seiterl: 2,30

Melange: 2,50

Mokka klein: 2,

Küche:

Schanigarten:

Kreditkarten:

Ambiente: Bunter Stilmix mit Asia-Elementen

Öffnungszeiten: 8 bis 23 Uhr, meistens aber länger

Adresse: Gumpendorfer Straße 78, 1060 Wien

Tel.:

Web: