»Die«tun & lassen

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Der Sündenbock ist ein wichtiges Vieh im Stall der Mächtigen. Wenn die Arbeitslosigkeit steigt, wenn die sozialen Probleme zunehmen, wenn man das Ganze nicht mehr schönreden und wegreden kann, dann bleibt immer noch eins: man öffnet die Stalltür und reitet den Sündenbock.Die Arbeitslosigkeit steigt Monat für Monat: Wer ist schuld? »Die Ausländer«. Wolfgang Schüssel verstieg sich gar, Asylwerber für die Arbeitslosigkeit in Österreich verantwortlich zu machen. Eine besonders gemeine Sündenbock-Mechanik. Asylwerber haben de facto keine Chance auf legale bezahlte Arbeit, sie werden in den Quoten ganz hinten gereiht und könnten eher im Lotto gewinnen als einen Job bekommen.

Das österreichische Schulsystem schneidet mittelmäßig bis schlecht bei der PISA-Studie ab, besonders was Kinder aus sozial benachteiligten Kindern betrifft. Wer ist schuld? Die »Ausländerkinder«. Da werden sogar Kinder als Sündenböcke für die unzureichende soziale Durchlässigkeit des Bildungssystems missbraucht. Auch hier sollen die wirklichen Ursachen verdeckt werden: die frühe Selektion im österreichischen Schulsystem, die Tendenz zur Bildung sozial homogener Gruppen, die mangelnde individuelle Förderung, die noch immer starre Unterrichtsorganisation mit 50 Minuten Einheiten, puristischem Fächerkanon, Prüfungen zur Förderung des

Kurzzeitgedächtnisses, engen Schulräumen etc.

Die aktuellste Variante des Sündenbockpopulismus kündigt sich aber gerade mit der Verschärfung des Staatsbürgerschaftsrechts an. Österreich hat jetzt schon eines der restriktivsten Gesetze Europas. Damit soll, so der Bundeskanzler, die Arbeitslosigkeit gesenkt werden. Ein völliger Unsinn. Die Frage der Einbürgerung steht in keinem Zusammenhang mit der Höhe der Arbeitslosigkeit. Die Zu- und Abnahme der Beschäftigung von Inländern, sowohl absolut als auch prozentuell, wird so gut wie vollständig durch das jeweilige Wirtschaftswachstum erklärt.

Das war das erste Gebot der Sündenbockideologie: Wenn »die« nicht wären, wäre alles besser! Und der zweite, besonders hinterhältige Mechanismus, folgt sogleich: Es sind so viele Zugewanderte arbeitslos, sagte der Bundeskanzler im ORF-Sommergespräch sinngemäß, deshalb braucht es ein noch ärgeres Staatsbürgerschaftsrecht. Also weil diese Gruppe leichter arbeitslos, ein höheres Armutsrisiko, schlechtere Bildungschancen hat, deshalb vorenthalten wir ihnen gleiche Rechte, gleiche soziale Teilhabechancen und bessere Zukunftsmöglichkeiten. In der Soziologie heißt das »blame the victim«: »Ihr seid selber schuld an den Barrieren, die wir euch aufgestellt haben.« Tausendmal erprobt in den USA gegenüber Martin Luther Kings Forderungen nach gleichen Rechten für Schwarze, tausendmal gehört von Indien über Südafrika bis Europa.

Man könnte auch sagen: Gleiche Rechte sind Teil von Integration nicht ihr Endpunkt. Junge Menschen, die in Österreich aufwachsen, sollen die besten Möglichkeiten bekommen, zu lernen und sich zu entwickeln. Soziale, rechtliche und organisatorische Barrieren dahin bauen wir ab, nicht auf.

Oder man sagt: »Die« gehören nicht zu »uns«. Ohne »die« wäre alles besser. Und überhaupt: »Die« sind selber schuld. Auf dem Rücken des Sündenbocks.

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