Die akademische Grufttun & lassen

Kein Obdachloser muss im Audimax schlafen. Es gibt genug Alternativen, sagt Wehsely

Manche GegnerInnen des Uni-Aufstandes rieben sich schon die Hände. An der «Flut» der Obdachlosen im besetzten Audimax werde die Studierendenbewegung scheitern. Diese plant jedoch gemeinsame Weihnachts- und Silvesterfeiern in der freien Republik Audimax und erreichte durch ein überlegtes Sichtbarmachen des Andrangs der Armen, dass der Ausschluss der AusländerInnen aus der offiziellen Wohnungslosenhilfe erstmals breit thematisiert wird.Wer über die aktuelle Situation der «Obdachlosen-Problematik» im Audimax des Hauptgebäudes der Wiener Universität informiert werden will, sollte sich an das Wiki der protestierenden StudentInnen halten. Ein Wiki ist eine spezielle Homepage: Sie kann von der Benützerin, von jedem Benützer textlich ergänzt oder verändert werden. Das unsereuni.at-Wiki enthält die Links zu Dutzenden Arbeitsgruppen, die in bisher 50 Tagen der Besetzung entstanden sind. Wer etwas zur «Obdachlosen-Problematik» erfahren will, kommt leichter zum Ziel, wenn er weiß, welche der Arbeitsgruppen unmittelbar mit dem Thema befasst sind. Doch Vorsicht, die Verwendung des Begriffs «Obdachlosen-Problematik» kann dem Nachfrager, der Nachfragerin eine Schelte bescheren. Noch nie war eine aufmüpfige Studierendengeneration sprachsensibler als die aktuelle. «Obdachlosen-Problematik» suggeriere, dass die Obdachlosen das Problem darstellten, und nicht die Gesellschaft, die das Menschenrecht auf eine Wohnung zur Nebensache erklärt. «Wir haben kein Problem mit Obdachlosen. Wir haben ein Problem mit einem Staat, der zuschaut, wie sie im Freien den Winter überleben», so oder ähnlich hört man es aus dem Munde der «AudimaxistInnen.

Die Arbeitsgruppen signalisieren eine in bisherigen StudentInnenaufständen nie erreichte Breite des studentischen Engagements, eine nie gesehene Spezialisierung der Selbstorganisationsstruktur, aber auch eine außergewöhnliche inhaltliche Tiefe. Mindestens vier dieser Arbeitsgruppen sind von der Präsenz der Desperados im Audimax unmittelbar berührt. Die AG Krisenintervention und Erste Hilfe» gerät durch ihre wachsende Überforderung in einen Stress, den sonst bloß die Zwänge der Hochtempowelt «da draußen» verursachen. Der Umstand, dass ein großer Teil der in die Uni «geflüchteten» Armen aus den neuen EU-Ländern kommt, erschwert oft die Kommunikation. Jede Entscheidung, die AG-Mitglieder treffen, kann die falsche Entscheidung sein: zum Beispiel, einen sturzbetrunkenen Straßenmenschen hinaus auf die Straße zu begleiten. Unangefochten sind Entscheidungen nach Akten voller Aggression: In Zusammenarbeit zwischen BesetzerInnen und Security-Personal wird gegenüber Gewalttätern ein Hausverbot exekutiert.

Die AG Volxküche, das alternative «Selbstbedienungsrestaurant» der Bewegung, ist mittlerweile, in der neuen Rolle einer Gratis-Ausspeisungsstelle für Bedürftige, eine der Magneten für marginalisierte Menschen. Die AG Presse versucht, gegenüber den Medien die möglichst vollversammlungsgerechte Position der BesetzerInnen so deutlich zu formulieren, dass es selbst für die journalistischen Meister der Spaltung nicht so leicht ist, einen Keil zwischen Studierende und Gestrandete zu treiben. Die AG Prekariat ist ein Zusammenschluss von Studierenden, die an einer Verknüpfung des Hochschulaufstandes mit anderen Sektoren prekär Beschäftigter oder mit Arbeitslosen arbeiten.

Viele Obdachlose unterstützen die Besetzung aktiv

Ihr ist gelungen, den Skandal der Wohnungslosigkeit in einer der reichsten Städte der Welt sichtbar zu machen. Mit simplen Methoden: einer temporären Zeltstadt vor der Hauptuni am Ring; der Zusammenarbeit mit den Betreuern und Bewohnern des Obdachlosenasyls Vinzitreff; einer Open-air-Podiumsdiskussion mit einem Augustin-Sprecher und dem Grazer «Obdachlosen-Pfarrer» Wolfgang Pucher; und einer Presseerklärung, hier in Auszügen zitiert:

Die Besetzung des Audimax hat nicht nur Bildung zum Thema gemacht, sondern auch ein ganz anderes soziales Problem zu Tage gebracht: Obdachlose haben das Audimax zu ihrer Zufluchtsstätte gemacht und nehmen die Verköstigung der Volxküche und die beheizten Räume, als Aufenthalts- und Schlafräume, in Anspruch. Im Moment werden die Obdachlosen von den BesetzerInnen so gut wie möglich versorgt, wobei jedoch dringend soziale, therapeutische und medizinische Unterstützung gebraucht wird. Die Audimax-BesetzerInnen fordern von der Stadt Wien Maßnahmen, um eine langfristige Perspektive für die betroffenen Menschen im Audimax zu eröffnen: 1. Die Bereitstellung von dauerhaften, eigenen, falls erforderlich auch betreuten, Wohnungen, zur freiwilligen Übersiedlung der Obdachlosen. 2. Schaffung von mehr Kapazitäten bei Notschlafplätzen für all jene, die keine eigene Wohnsituation möchten. 3. Evaluierung von bestehenden Schwellen bei der Unterstützung von Obdachlosen, die dazu führen, dass das besetzte Audimax von Obdachlosen als Aufenthalts- und Schlafraum bevorzugt wird bzw. warum bestimmte Betroffene anderswo nicht aufgenommen werden. 4. Schaffung von Angeboten für AlkoholikerInnen, die wegen körperlicher Abhängigkeit Angebote von Einrichtungen mit Alkoholverbot nicht annehmen können. 5. Schaffung von Angeboten für Obdachlose mit Migrationshintergrund, da bestehende Angebote meist EWR-BürgerInnen vorbehalten sind. Wir wollen festhalten, dass viele Obdachlose die Besetzung durch ihre konstruktive Mitarbeit aktiv unterstützen.

War es den rebellierenden Studierenden schon gelungen, den gesellschaftlichen Stellenwert der Bildung zum Thema des Herbstes zu machen, so blieb auch die Obdachlosen-Initiative, eine Audimax-Herausforderung außerhalb des Kernanliegens der Bewegung, nicht ohne Wirkung. Sozialstadträtin Sonja Wehsely schickte postwendend ihre ExpertInnen für Wohnungslosigkeit ins Audimax. Die freilich auf die offizielle Linie der SPÖ Wien eingeschworen waren: Die Stadt macht genug für die VerliererInnen. Das Problem sei nicht die Mangelhaftigkeit des sozialen Netzes, sagte Wehsely, sondern es gehe dabei «vornehmlich darum, den Leuten das bestehende soziale Netz bewusst zu machen, zumal es freie Kapazitäten an Notschlafplätzen in Wien gibt.» Die Kritik am System der Wiener Wohnungslosenhilfe laufe deshalb ins Leere, weil dieses System europaweit an der Spitze stehe. Ihre Behauptung «Die Betroffenen wissen, wo sie sich hinwenden können» muss Betroffenen, die in der besetzten Uni den Winter zu überleben versuchen, weil sie sich sonst nirgends hinwenden können, als Verhöhnung gedeutet werden.


Eine zweite «Gruft» für ausländische Arme

Auch der nun bekannt gewordene Plan der Caritas, eine zweite «Gruft» diesmal für ausländische Obdachlose einzurichten, ist im Zusammenhang der studentischen Intervention zu sehen. Die rumänischen und slowakischen «ArmutstouristInnen» im Audimax sind lebende Zeichen des Anstiegs der Obdachlosenzahl in Wien. Während Obdachlose, die zuvor jahrelang in Wien beschäftigt waren, ein relatives Recht auf Unterbringung im System der offiziellen also vom Fonds Soziales Wien (FSW) kontrollierten Wohnungsloseneinrichtungen haben, gilt das für AusländerInnen nicht. Vor allem EU-Ausländer sind davon betroffen.

Dass die «Gruft«, eine nach FSW-Richtlinien geführte Einrichtung der Caritas Wien unter der Mariahilfer Kirche, tatsächlich ausschließlich österreichische Staatsbürger aufnimmt und ausschließlich diese mit warmen Mahlzeiten versorgt, wurde auch schon im Augustin problematisiert. Die Wiener Wohnungslosenhilfe unter der Kontrolle des FSW könne gar nicht für alle Bedürftigen offen sein: «Nur so lässt sich Sozialtourismus nach Wien vermeiden», begründet die sozialdemokratische Sozialstadträtin die Zugangsbeschränkung zur Überlebenshilfe für Menschen, die aus den zusammenbrechenden Ökonomien Osteuropas kommen.