Die Almwirtschaft kommt zum ErliegenDichter Innenteil

Die Abenteuer des Herrn Hüseyin (77)

Heute ist der erste Frühlingstag. Wie viele andere Österreicher_innen wartet Hüseyin auch auf den Frühling. Zwar spürt er im Bauch nicht diese Schmetterlinge wie in den früheren Jahren, aber er freut sich trotzdem darauf. Die Haut fühlt sich wohl durch die ersten warmen Sonnenstrahlen.

Gerade in der Zeit würde er sehr gerne in seinem Dorf sein. Er möchte die Schneeschmelze sehen. Wie das klare Wasser über der Erde fließt. Die Kitze und Lämmer werden auch geboren. Die Neuankömmlinge auf der Erde, wenn sie außerhalb der Ställe sind, tanzen, hüpfen, haben keine Ahnung, dass sie vielleicht im Magen eines Menschen landen werden. Das ist jetzt die schönste und lebendigste Zeit im Dorf. Wobei immer weniger Menschen in dem Dorf leben, aus dem Herr Hüseyin kommt. Viele in dieser Gegend haben ihre Tiere verkauft. Nicht nur in der Umgebung von Hüseyins Dorf, sondern im ganzen Osten und Südosten der Türkei mussten die Menschen ihre Tiere verkaufen. Die Bauern verbrachten den Sommer auf den Bergen mit ihren Tieren. Da die Winter sehr lang waren und es ein halbes Jahr verschneit war, mussten die Tiere sehr gut ernährt werden. Die Fettansammlung fand in den Sommermonaten auf der Alm statt. Die Abwanderung begann nach dem Militärputsch im Jahr 1980. Am Anfang hat man den Putsch als Revolution vermarktet. Alles wird besser. Die Verfassung der Militärs wurde 1982 mit 91 Prozent Ja-Stimmen des Volkes angenommen. Mit dieser Verfassung wurde die Türkei bis jetzt regiert. Obwohl die jetzige Regierung mit absoluter Mehrheit seit über 15 Jahren das Land regiert, hat sie diese Verfassung aus der Zeit immer noch nicht geändert. Ab dem Jahr 1984 sind die Kämpfe zwischen PKK und den türkischen Sicherheitskräften noch heftiger geworden. Es waren nicht die kurdischen Kämpfer_innen, die Menschen daran hinderten, dass Viehhirten oder Familien ihre Tiere auf die Berge zum Weiden bringen oder die Almwirtschaft weiterhin betreiben, eher die strategischen Vorhaben des Militärs. Sobald die Menschen auf den Bergen sind, sind sie auch die Versorger der Kämpfer_innen. Um diese Beziehung zu unterbinden, wurde das kurdische Gebiet zu einer verbotenen Zone erklärt. Der kurdische Teil der Türkei war für das ganze Land und den Nahen Osten ein Fleisch- und Milchproduktelieferant. Sie haben durch das Verbot, Vieh auf die Alm zu treiben, einen für viele Familien sehr wichtigen Wirtschaftszweig zum Erliegen gebracht. Seit langem werden viele Milchprodukte und Fleisch aus der EU in die Türkei importiert. Wegen der diplomatischen Auseinandersetzung zwischen der Türkei und Holland wurden sogar 40 holländische Kühe aus der Türkei ausgewiesen. Es ging sogar so weit, dass ein Vizebürgermeister aus einem Istanbuler Bezirk eine seiner holländischen Kühe auf seiner Farm schlachten will, wenn Holland sich wegen des Wahlwerbungsverbots für türkische Politiker_innen nicht entschuldigt. Bis jetzt hat sich Holland noch nicht entschuldigt! Was mit der Kuh passiert, weiß Hüseyin nicht. Dort sind öfters solche Fälle, man weiß auch nie, was mit den Menschen passiert. Hüseyin geht im Sommer öfters auf die Alm. Nicht, dass es immer einfach gewesen ist, dort zu leben.

Ihr Hüseyin