Die «Anderen Bands» der DDRArtistin

Ronald Galenza, geboren und aufgewachsen in Ost-Berlin, war Redakteur beim DDR-Jugendsender DT64, schrieb Bücher über die DDR-Subkultur und arbeitet heute bei Radio Fritz. Dem AUGUSTIN hat er über Underground-Musik in der DDR, staatliche Kontrolle und die sogenannten «Anderen Bands» erzählt.

Protokoll: MARIO LANG

Rockmusik in der DDR.

In den 70er Jahren wurden bestimmte Bands wie die Puhdys, Karat oder City immer größer, aber auch immer langweiliger. Immer wenn etwas erstarrt, bilden sich Gegenbewegungen – so gab es ab Anfang der 80er Jahre die ersten Punkbands in der DDR. Die waren noch sehr politisch, haben gegen den Staat angesungen, gegen die Stasi, haben die Mauer thematisiert, das Bonzenwesen und die nicht vorhandene Reisefreiheit.
Diese frühen Punkbands wurden relativ schnell zerschlagen, verhaftet, abgeschoben oder zum Militär eingezogen. Aus diesem Umfeld entstanden ab 1983/84 die sogenannten Anderen Bands. Sie waren musikalisch vielfältiger, von New Wave über Ska bis Dark Wave – Joy Divison hatten natürlich einen großen Einfluss –, und viel interessanter als dieser Dreiviertel-Punk.

Die Anderen Bands.

Ab 1986 setzte ein Systemwechsel in der Rezeption der Musik ein. Die Jugendlichen haben sich für die großen Bands nicht mehr interessiert, mit dem Aufkommen der Neuen Deutschen Welle waren sie musikalisch tot. Die offizielle DDR-Rockmusik, es hausierte der Begriff «melodiöse Beatmusik», wollte keiner mehr hören, und die Konzerte mit den Anderen Bands waren plötzlich überlaufen. Junge Leute um die 20, und nicht mehr 45, hatten neue Ideen und klangen viel geiler.
Es gab tatsächlich eine Band, die hieß Die Anderen – man wollte natürlich anders sein in diesem Land –, und die sollten mit auf eine Schallplatte bei Amiga, dem staatlichen Label, kommen. Aber gerade die Texte von der Band Die Anderen wurden abgelehnt, und damit flogen sie von der Platte. Da aber die anderen Kapellen auf dieser LP auch aus diesem Umkreis kamen, hat sich daraus der Überbegriff Die Anderen Bands entwickelt. Eine große Schublade, aber die Bands selber waren mit diesem Begriff überhaupt nicht glücklich.
Die bekanntesten Anderen Bands waren AG Geige, Die Skeptiker, Die Vision, Die Art, Herbst in Peking, Sandow, und jede Band hat versucht, ihr eigenes Ding zu machen. Manche haben schon Englisch gesungen, obwohl es zu dieser Zeit noch Pflicht war, auf Deutsch zu singen. Es war ein Abgrenzungsbegriff zu den etablierten Rockbands. Die staatlichen Bands hatten alle eine Spielerlaubnis und durften offiziell auftreten, das durften Die Anderen Bands teilweise nicht.

Spielerlaubnis.

Die DDR wollte alles kontrollieren, so auch die Musik. Es gab nur eine Schallplattenfirma wo man veröffentlichen konnte, und es gab Textlektorate, wo der Staat darauf geachtet hat, dass kein von ihm nicht zugelassenes Textmaterial an die Öffentlichkeit kommt. Wenn du als Band öffentlich in Clubs oder Kulturhäusern auftreten wolltest, musstest du eine sogenannte Einstufung machen, um eine Spielerlaubnis zu erhalten. Du musstest dich einer Kommission stellen und dort vorspielen. Sie hat Aussehen, Habitus und das musikalische Repertoire bewertet, ob es für die DDR-Jugend zulässig war. Es wurde auch entschieden, ob du in diesem Land öffentlich auftreten darfst oder nicht. Die zugelassenen Bands sind dann durch die DDR gefahren, und es gab einen legendären Spruch: «Treffen sich zwei Bands auf der Autobahn, trinken Bier und essen Bockwurst, der eine sagt A, der andere Z.»
Zur Erklärung: Jede DDR-Band ist immer von Ahlbeck nach Zittau gefahren, also vom nördlichsten zum südlichsten Ort der DDR und wieder zurück. Das war die Ochsentour durch die Dörfer. Die Bands, die keine Spielerlaubnis hatten, sind illegal in Kirchenräumen, Kellern oder bei privaten Festen aufgetreten, die Werbung funktionierte über Mund-zu-Mund-Propaganda.
Die Unterschiede reichten weit, nicht nur von den offiziell zugelassenen Bands zu den Anderen Bands, sondern auch weiter zu den bestehenden oder neu gegründeten Punkbands. Es gab auch Bands, die sich nicht einstufen lassen wollten, die wollten mit diesem Staat keinen Deal machen, nicht in FDJ-Klubs, also Freie-Deutsche-Jugend-Klubs, auftreten, die wollten nicht im DDR-Radio laufen, die wollten mit diesem Land nichts mehr zu tun haben.
Natürlich gab es innerhalb der Szene Verwerfungen, die unangepassten Bands haben gesagt: «Ihr passt euch an, lasst eure Texte kontrollieren. Was ist aus euch geworden?» In deren Augen war das Verrat. Und manche der Anderen Bands wollten einfach nur Rockstars werden.

Kompaktkassetten und Jugendsender.

Musik veröffentlichen war in der DDR ein schwieriges Projekt. Es gab das Staatsmonopol mit Amiga, die durften pro Jahr 12 bis 15 Langspielplatten Rockmusik veröffentlichen. Der Verkauf der großen Bands brach Mitte der 80er Jahre zusammen, und so öffnete sich bei Amiga, wir sind jetzt in der Reihung noch ganz oben, der Weg für neue Bands wie Silly oder Pankow.
Der Weg von ganz unten war sehr viel beschwerlicher. Das einzige Medium, mit dem wir arbeiten konnten, war die Kompaktkassette. Die DDR hat in ihrem Chemiebetrieb ORWO Kassetten hergestellt, allerdings haben die damals so viel gekostet wie meine Monatsmiete in Prenzlauer Berg. Nun gab es für die jungen wilden Bands keine adäquate Aufnahmetechnik, da war es sehr hilfreich, dass auf der anderen Seite der Mauer ein anderer deutscher Staat stand. Entweder haben Großmütter Platten und Technik mit rübergebracht oder Bands, die in den Westen reisen durften, um aufzutreten, haben andere Bands versorgt. Das war natürlich illegal. Jede der Anderen Bands hat mit Kassette angefangen, das war unser Medium. Anfangs war es nur ein Arbeitsmaterial, das an Freunde und Musiker weitergegeben wurde. Später haben manche angefangen, Kassetten zu verkaufen, das war wieder ein Tabubruch in der Szene, weil viele den Anspruch hatten, nicht kommerziell zu arbeiten.
Das Problem der Anderen Bands war die öffentliche Wahrnehmung, da passierte ab 1986 eine Veränderung. Weil die großen Bands nicht mehr funktionierten, hat der Jugendsender DT64 eine Nische geöffnet und eine neue Sendung geschaffen: Parocktikum, moderiert von Lutz Schramm. Dort wurden Musikformate gespielt, die sonst nie vorkamen. In der DDR wurde alles kontrolliert, so unterstand der gesamte Rundfunk dem Zentralkomitee der SED. Die SED entschied, was im Fernsehen oder Radio vorkommt und vor allem, was nicht vorkommt. Nur, diese Nische war so gut versteckt, sie lief Sonnabend um 23 Uhr – da muss man schon Fan sein! Lutz Schramm hat tatsächlich die Lieder der Anderen Bands von Kassetten abgespielt, damit kam eine völlig neue Musikfarbe in das staatliche DDR-Rundfunkprogramm.

Wende und heute.

1989 fiel die Mauer, das war für alle eine radikale Umstellung. Das bisher gelebte Gesellschaftssystem brach weg, alles war anders, alles war neu. Für alle DDR-Bands, egal welchen Status sie hatten, war es enorm schwer, denn jetzt konnten alle die richtigen Bands sehen. Die Stones im Olympiastadion, Nirvana im Loft oder Techno im Tresor. Somit brach für alle DDR-Bands das Umfeld weg. Die staatlich geförderten Clubs schlossen, damit brachen die Spielstätten weg, und das Musikerdasein kam zum Erliegen. Jeder musste sich neu orientieren. Kann ich so weitermachen, kann ich meine neue Miete bezahlen, denn ab sofort war Schluss mit den lustigen DDR-Mieten.
Feeling B, eine in der DDR sehr bekannte Band, hat schnell gemerkt: Die Ostkapellenromantik interessiert im Westen keinen. In Hamburg oder Köln spielten sie vor 15 Besuchern. Feeling B hat sich aufgelöst wie viele der Anderen Bands auch. Später gab es Reunionen, und danach blieben nur sehr wenige übrig. Einige Musiker sind in neuen Konstellationen unterwegs, am Beispiel Feeling B: Flake Lorenz, Paul Landers und Christoph Schneider spielen heute bei Rammstein. Auch die anderen Leute bei Rammstein kommen aus diesen Anderen Bands. Oliver Riedl spielte bei den Inchtabokatables, Till Lindemann und Richard Kruspe bei First Arsch. Aber für die Meisten war das lustige Musikerdasein nach der Wende vorbei.

Bücher:
Ronald Galenza, Heinz Havemeister:
Wir wollen immer artig sein – Punk, New Wave,
HipHop und Independent-Szene in der DDR
Schwarzkopf & Schwarzkopf, 816 Seiten, 19,95 Euro

Ronald Galenza: Zwischen ORWO und Orwell –
Magnetband-Untergrund der DDR
Verbrecher Verlag (erscheint im Herbst 2020)

Podcast:
Lutz Schramm, DT64, Parocktikum:
podcast.parocktikum.de

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