Ab Herbst 2018 sollen Kinder mit Deutsch-Defiziten in eigenen «Förderklassen» unterrichtet werden
In Wien regt sich Widerstand. Lehrer_innen, Direktor_innen und
Bildungsexpert_innen sehen sich außerstande, die Einrichtung von
«Deutsch-Förderklassen» umfassend umzusetzen. Über die Fallstricke des
vorliegenden Gesetzes, darüber, wie Kinder lernen, und über das verlässliche
Gespür der österreichischen Bevölkerung hat sich Samuel Stuhlpfarrer mit
Gabriele Lener unterhalten. Foto: Christopher Glanzl.Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen von der «Plattform zur schulautonomen Umsetzung von Sprachfördermaßnahmen» haben zuletzt harsche Kritik am Gesetz zur Einrichtung von sogenannten Deutsch-Förderklassen geübt. Was stört Sie daran genau?
Es gibt zwei große Kritikpunkte. Der eine richtet sich an die nicht überall gleichermaßen gegebene organisatorische Durchführbarkeit. Da geht es um Raummangel und die Parallelisierung von Stundenplänen. Die große Raumnot gibt es bei uns in der Vereinsgasse – wir sind ja eine Ganztagsschule – so nicht. Aber dieses Problem trifft die Halbtagsschulen natürlich ganz extrem. Die haben einfach keinen zusätzlichen Raum, in dem sich eine Deutsch-Förderklasse einrichten ließe.
Der zweite Kritikpunkt, und der ist mir und den meisten meiner Kolleginnen und Kollegen deutlich wichtiger, ist ein inhaltlicher. Das, was jetzt vorliegt und im Herbst anlaufen soll ist im Grunde genommen kaum mehr als ein Trocken-Schwimmkurs. Anstatt Schülerinnen und Schüler mit Deutsch-Defiziten sozial zu integrieren, sondert man sie ab. Das wird den Spracherwerb nicht fördern und zementiert schon sehr früh soziale Unterschiede der Herkunft. Die Aufholstrecke wird immer länger.
Was würde die Einrichtung von Deutsch-Förderklassen denn konkret für die Kinder bedeuten – für zugewanderte und für solche, die hier geboren sind?
An sich richtet sich diese Maßnahme – und wir sprechen hier von 15 Stunden in der Woche und jeweils drei Stunden am Tag – an alle Kinder, die zu Schuleintritt nur unzureichend Deutsch sprechen. Das sind Kinder, die zu Hause nicht Deutsch sprechen und die mitunter auch eine schlechte Sprachförderung im Kindergarten oder in der Kindergruppe erfahren haben. Ich habe den starken Verdacht, dass die neu zugewanderten Kinder gar nicht die erste Zielgruppe für diese Maßnahme sind. Die werden vielleicht schon eine gewisse Zeit brauchen, aber sich zum Großteil – und wenn sie die Unterstützung aus dem Elternhaus haben – schnell mit der neuen Sprache vertraut machen. Das größere Problem haben wir meiner Ansicht nach bei jenen Kindern, die schon hier geboren und aufgewachsen sind, aber nur eine schlechte Sprachförderung im Elternhaus und im Kindergarten erfahren haben. Das sind Kinder, die die Kompetenz zum Erwerb einer Sprache nie erlernen konnten.
Meinen Sie damit Kinder, die grundsätzlich eine schlechte Sprachförderung erfahren haben oder Kinder mit einer unzureichenden Deutsch-Förderung?
Sowohl als auch. Da geht es um Kinder, die in einer, wie das mitunter genannt wird, doppelten Halbsprachigkeit aufgewachsen sind. Diesen Kindern fehlt es an intakten Sprachstrukturen einer Erstsprache, auf denen man etwas aufbauen könnte.
Gleichzeitig kann ich mir natürlich vorstellen, dass es Kinder gibt, bei denen man nicht erst sechs Monate warten muss, bis sie in ihre Regelklasse kommen könnten. Es gibt Kinder, die lernen wirklich sehr schnell – denen hilft man mehr, wenn man sie frühzeitig in die Regelklasse übernimmt und parallel in einem Sprachförderkurs ihre Deutsch-Kompetenz weiterentwickelt.
Es wäre mir auch ein schulautonomes Bedürfnis, dass nicht jedes Kind exakt 15 Stunden in der Förderklasse absitzen müsste. Dann könnten Kinder etwa auch einmal an einem Ausflug der Regelklasse teilnehmen und im Austausch mit den Klassenkolleginnen und Kollegen sein. Das sind eigentlich ganz einfache, logische Dinge. Aber all das sieht das Gesetz des Bundes nicht vor.
Sie haben unlängst kryptisch anklingen lassen, dass sie hoffen, «dass unsere gewerkschaftliche Vertretung uns unterstützt, wenn wir Dinge tun müssen, die das Gesetz vielleicht nicht so vorsieht». Was meinten Sie damit genau?
Wir stehen hier zwischen zwei unterschiedlichen Dienstaufträgen. Da ist einerseits das Schulautonomiepaket, das mich als Schulleiterin dazu auffordert, Fragen der Klassenbildung und der bestmöglichen Förderung unserer Schülerinnen und Schüler unter Berücksichtigung der schulautonomen Gegebenheiten zu organisieren. Andererseits gibt es nun dieses Gesetz zu den Deutschförderklassen, das mir im Grunde genommen nicht erlaubt, dieser ersten Aufforderung nachzukommen. Ich betrachte diese Situation als eine, in der es zwei einander widersprechende gesetzliche Aufträge gibt. Und ganz egal wie ich es anlege, besteht natürlich die Möglichkeit, dass man das eine oder das andere weniger berücksichtigt.
Nun gibt es keinen einzigen Experten und keine einzige Expertin, der oder die die Deutsch-Förderklassen als sinnvoll bezeichnen würde. Ihre Umsetzung treibt mit dem zuständigen Minister Heinz Faßmann kurioserweise der einzige «Experte» in dieser Bundesregierung voran. Wie erklären Sie sich das?
Na ja, worin sich der Minister wohl schon auskennt, das sind Migrationsstatistiken. In diesem Bereich hat er lange gearbeitet, und daher gehe ich davon aus, dass ihn dieses Thema auch interessiert. Ich würde ihn diesbezüglich auch gar nicht – wie das mitunter umgekehrt vorkommt – unter Ideologieverdacht stellen. Ich glaube allerdings, dass er keine Vorstellung davon hat, wie Unterricht in einer Volksschule passiert. Und er hat offenbar auch gar keine Idee davon, wie Kinder in diesem Alter lernen, oder davon, dass es unter Kindern unterschiedliche Sprachlerntypen gibt. Ich selbst, zum Beispiel, habe als Erwachsene Türkisch gelernt. Ich reagiere sehr gut auf systematischen Sprachunterricht. Aber es gibt jede Menge Kinder, die darauf gar nicht reagieren. Die lernen durch das Gespräch.
Dazu bräuchte es dann eher Ganztagsschulangebote und die soziale Einbindung von Kindern mit Nachholbedarf in einen Klassenverband mit Deutsch sprechenden Kindern?
Genau. Und vor allem bräuchte es dazu mehr vorschulische Förderungen. Es gibt jetzt ein verpflichtendes Kindergartenjahr, und gleichzeitig ist man nicht dazu in der Lage, ausreichend öffentliche Kindergartenplätze zur Verfügung zu stellen. Vorschulische Förderung kostet eben auch etwas. Und wenn man die will, muss man ausreichend Plätze schaffen – das ist im Übrigen in allen Bundesländern ein Problem. Natürlich würde das eine ganz massive Ressourcenaufstockung notwendig machen, also einen richtigen Ausbau von öffentlichen vorschulischen Einrichtungen mit ordentlichen Qualitätskontrollen und besseren Zugangsbedingungen. Dasselbe gilt für die Ganztagsschulen: Die müssten einfach für alle geöffnet werden. Gerade die Kinder von Eltern, die keinen Job kriegen, bräuchten einen Ganztagsplatz. Aber mir ist schon klar, dass all das unter dieser Bundesregierung nicht zu erwarten ist.
Die Bundesregierung verfolgt wohl einfach eine andere Agenda. Der Leitfaden zur Umsetzung der «Förderklassen», der erst am 13. 6. veröffentlicht worden ist, lässt trotz aller Bedenken keinen Spielraum für schulautonome Lösungen. Das riecht doch stark nach Schikane, nicht?
Was den Leitfaden betrifft: Wir haben ihn zum Anlass genommen, um von der Gewerkschaft allfällige Protestmaßnahmen einzufordern. Abgesehen davon kommen einer natürlich Begriffe wie ‹Schikane› in den Sinn. Ich habe einst Soziologie studiert und bei Minister Faßmann auch einmal eine Prüfung abgelegt. Ich habe den Eindruck, das ist ein kompetenter Mensch. Natürlich gibt es andere Regierungsmitglieder, bei denen mir schon klar ist, woher der Wind weht. Tatsache ist, dass man sich damit offenbar dem Willen der Bevölkerung anbiedern will. Es ist noch nicht lange her, da hat Faßmann seine Politik mit einer Umfrage unter Eltern gerechtfertigt. Auf die Nachfrage eines Journalisten, ob denn die Mehrheit nicht auch irren könne, hat er dann sinngemäß gemeint: ‹Die haben schon ein Gespür dafür.› Ich meine, was ist das denn für eine Aussage von einem Wissenschaftler? Und historisch sind Entscheidungen, die auf der Basis von ‹Gespür› getroffen worden sind, bekanntermaßen auch nicht immer gut ausgegangen.
Gabriele Lener leitet die Ganztagsvolksschule Vereinsgasse im 2. Bezirk und ist eine der Proponent_innen der «Plattform zur schulautonomen Umsetzung von Sprachfördermaßnahmen».