Musikarbeiter unterwegs … engem Genredenken was pfeifen
Too Big To Fail: So heißt das
zweite Album von Madame Baheux, einem Quartett von Viel- und
Gutspielerinnen zwischen Welt- und Rockmusik. Von Rainer Krispel (Text) und Mario Lang (Foto)
Wenn Sie wollten, könnten Sie auf der Homepage dieser Zeitung Madame Baheux eintippen und dann einen Musikarbeiter aus dem September 2014 nachlesen. Wenn Ihnen unbedingt danach sein sollte, können Sie bei der Gelegenheit ein heiteres vergleichendes Fotoschauen unternehmen. Richtig, das von Mario Lang damals eingefangene Licht zeigt noch fünf Musiker_innen, 2019 aber haben sich die 2012 gegründeten Madame Baheux schon länger – und wie! – als Quartett konsolidiert. Jelena Popržan spielt die Viola und singt, Ljubinka Jokić singt ebenso und spielt die Gitarre, Lina Neuner am Kontrabass bildet mit Drummerin Maria Petrova eine der tightesten Rhythmus-Sektionen (nicht nur) dieser Stadt. Ihre Stimmen erheben die Rhythmikerinnen zu «backing vocals», wie uns das überaus informative Booklet der bei Lotus Records erschienenen zweiten CD der Band wissen lässt.
How Many Times I´ve Heard This Song.
Jetzt mag es ein ungeschriebenes – wiederholt gebrochenes – Prinzip dieser Artikelserie sein, dass Künstler_innen nicht zweimalig vorkommen, solange (also immer!) es Musiker_innen gibt, deren Tun hier noch nicht schriftlich reflektiert und (in der Regel) gewürdigt wurde. Dies ein wenig deshalb, um sich der Logik des ohnehin verendenden herkömmlichen Musikjournalismus zu verweigern – neues Album, neues Glück, ah, neuer Artikel – und weit mehr darum, weil nicht einzusehen ist, dass Musik immer nur dann relevant sein soll, wenn sie sich in einem Werk oder Produkt manifestiert oder ein «großes Konzert» ansteht. Streaming und Download als zunehmend dominante Formen des Musikkonsums sollten dabei solche tradierten Abläufe und Wahrnehmungskanalisationen doch in Frage stellen, möchte mensch meinen, kreative Musiker_innen womöglich gar in die Lage versetzen, mit einzelnen Songs ästhetische oder inhaltliche Dringlichkeiten unmittelbar künstlerisch umzusetzen und zu kommunizieren. Das klingende Sein in den Ebenen aber verhält sich nach wie vor anders. Zwischen Madame Baheux und Too Big To Fail liegen vier Jahre. Zu viel Zeit und zu viel Arbeit, um sich als Band nicht in die Logik einzuklinken, mit so einem Album zumindest zu versuchen, mediale Aufmerksamkeit und Konzert-Bookings zu generieren, damit ein Publikum zu finden. Was sich im Fall für dieses ordentlich auszahlt, weil Too Big To Fail so verdammt gut ist.
We´ll Change The World.
«Wir haben das Konzept verfestigt und weitergeführt», fasst Jelena zusammen, wie die Band in die Aufnahmen für die 14 Stücke des neuen Albums gegangen ist. Im tschechischen Studio Sono Records mit Milan Cimfe und durch den Additional Mix und das Mastering von Werner Angerer (Acoustic Art Studios) ist es ganz wunderbar gelungen, die Liveatmosphäre, das direkte, großartige Spiel der Musikerinnen miteinander in seiner ganzen Wucht, Subtilität und Vielschichtigkeit einzufangen. Jenseits von Begrifflichkeiten wie «Weltmusik» oder «Rockmusik» packt mich das als Zuhörer bei eigentlich jedem der 14 Stücke. Lina Neuner: «Für mich ist das ein wesentlicher Bestandteil von Weltmusik, dass Einflüsse aus einem Zusammenhang kommen, den man nicht mehr kennt, dass man die Codes nicht versteht und volle Kanne sein eigenes Ding erleben kann. Ich weiß oft gar nicht, woher das kommt, was Jelena oder Ljubinka anbringen, oder welche Assoziationen sie dazu haben.» So kommen Madame Baheux zu ihrer Interpretation von Stücken wie Mominsko Horo, einem bulgarischen Tanz, der auf der CD eines irischen Gitarristen gefunden wurde. «(…) was die lange Liebesgeschichte der irischen Szene mit bulgarischer und mazedonischer Musik dokumentiert. Aber auch, dass Musik keiner Kultur gehört und auch noch in keiner Blutprobe ermittelt werden konnte», steht in den Liner Notes von Richard Schuberth zu lesen, der die kreative und weitreichende Genregrenznegation der Band zu kontextualisieren versteht und vier Lieder/Texte zum Album beigesteuert hat, darunter den pointierten Mikl-Leitner-Blues oder das im Dialekt getextete/gesungene Titellied über «die verhängnisvolle Amour Fou zwischen Bankensektor und Staat (…)»: «So a Leidenschaft hot no niemand gseng/Staat und Bank, mei is des scheen.» Eine weitere der vielen Qualitäten dieser Band ist, dass Madame Baheux es verstehen, «das Politische» in ihrer Musik wie selbstverständlich zu thematisieren, ohne durch den Humor und die neckische Leichtigkeit, mit der sie dies mitunter tun, an Schärfe zu verlieren, im Gegenteil. Fast scheint es, als wäre es ihnen gegeben, das Projekt des 1970er-Prog-Rock aus einer anderen Perspektive erfolgreich aufzugreifen, musikalische und inhaltliche Progressivität heute funktionierend mit aufgeklärten, real existierenden Wiener Weltstadt-Positionen zu vermählen.
Madame Baheux:
Too Big To Fail
(Lotus Records)
Live: 18. 3., Stadtsaal
madame-baheux.com