Die beobachtete BeobachterinArtistin

Edith Tudor-Hart - die Aktivistin mit der Kamera

Sie richtete ihre Kamera auf politische Kundgebungen auf der Straße, die tristen Lebensumstände der einfachen Menschen, das Elend der Deklassierten, aber auch auf das kleine Glück der kleinen Leute im Wiener Prater oder an der Donau. Einmal mehr widmet sich das WienMuseum am Karlsplatz, das erfreulicherweise an seinem Standort bleibt, einer großen Fotografin: Edith Tudor-Hart. Noch bis Mitte Jänner zu sehen!

Edith Suschitzky – so ihr Mädchenname – wird 1908 in eine unkonventionelle Familie der Wiener Mittelschicht hineingeboren, jüdisch, doch atheistisch, zwar zur Mittelschicht zählend, doch in einem der damals größten Wiener Arbeiterbezirke – in Favoriten – ansässig. Der Vater, Freidenker, Pazifist, Sozialdemokrat, ist Verleger progressiver Bücher und Flugschriften. Sein Geschäft in Favoriten, das erste seiner Art, liegt in einem Umfeld, wo «Kindergärten, Bibliotheken, Krankenhäuser und Zahnkliniken, Wäschereien, Werkstätten, Theater, kooperative Ladengeschäfte, Gärten, Sport- und viele andere Einrichtungen das öffentliche und private Leben von Frauen und Männern prägte», wie E. Blau in ihrem Werk «Die Architektur des Roten Wien» beschreibt. Bis 1938 veröffentlicht Suschitzky über 300 Texte im Sinne der Aufklärung, bis der Verlag von den Nationalsozialisten liquidiert wird. Karl Suschitzky setzte schon 1934 seinem Leben selbst ein Ende.

Bereits von Kindheit an bekommen Edith und ihr Bruder Wolfgang durch ihren familiären Hintergrund Zugang zu einer breiten Palette von Reformliteratur, die von Arbeiterlyrik bis zu Traktaten über die neue Frauenbewegung, von sexueller Revolution bis zur Montessori-Pädagogik reicht. Selbst erst 16-jährig, arbeitet Edith als unbezahlte Lehrerin in einer Kindertagesstätte im 10. Wiener Gemeindebezirk, wo die reformerischen Ideen Maria Montessoris umgesetzt werden. Im April finden wir sie zum ersten Mal in London, wohin sie eine Studentin zu einem dreimonatigen Studienaufenthalt begleitet. 1928 bis 1930 studiert sie am Bauhaus in Dessau, das, von Walter Gropius 1919 gegründet, zu dieser Zeit Heimstätte der Avantgarde der klassischen Moderne auf allen Gebieten der freien und angewandten Künste ist. Kommt sie hier schon in Berührung mit den Ideen für eine sozialkritische Arbeiterfotografie? Zweifellos lernt sie jetzt in Dessau auch die «Fotografie der Avantgarde», des «Neuen Sehens» kennen, die für sie aber eher eine «formelle Spielerei» bedeutet.

Immer unter Polizeibeobachtung

1930 sehen wir Edith – sie ist jetzt Anfang 20 – wieder in London. Bei einer kommunistischen Demonstration zugunsten der Worker’s Charta erweckt sie die Aufmerksamkeit des britischen Geheimdienstes und wird trotz Versuchen, den Einfluss des Wiener Bürgermeisters Karl Seitz geltend zu machen, bald darauf aus Großbritannien ausgewiesen. Zurück in Wien, kann sie ihre ersten bedeutenden Fotoreportagen veröffentlichen, in der sozialdemokratischen Illustrierten «Der Kuckuck» und im liberalen Monatsmagazin «Die Bühne». Die Fotografie ist für Edith Suschitzky vor allem ein wesentliches dokumentarisches Hilfsmittel, um politische und soziale Anliegen zu transportieren.

Die fotografischen Arbeiten während dieser Wiener Jahre weisen Edith Suschitzky – wie keine andere Fotografin ihrer Generation – als eine ganz eigenständige Künstlerin aus. Zu dieser Zeit steht sie bereits unter Beobachtung der Polizei, ist sie doch seit Ende der 20er Jahre innerhalb der Kommunistischen Partei tätig. Die politischen Umstände beginnen sich in Österreich drastisch zu verändern, bedrohlich zu werden. Die christlich-soziale Regierung Dollfuß hatte die liberale Demokratie sukzessive aus den Angeln gehoben, die sozialdemokratische Opposition und ihre Presse gewaltsam ausgeschaltet.

Die Ehe hat ihren Zweck erfüllt

Die Ausstellungsgestaltung lädt ein, zu spekulieren: Kommt Edith Suschitzky in dieser Zeit in persönlichen Kontakt zu Kim Philby? Als Sohn eines britischen Diplomaten in Indien geboren, hält er sich nach einem Studium in Cambridge auch in Wien auf, erlebt hier – als überzeugter Kommunist – die Februaraufstände 1934 hautnah mit und setzt sich engagiert für die Rettung bedrohter Mitstreiter des Republikanischen Schutzbundes ein. Auch er steht unter polizeilicher Observanz. 1933 wird Edith Suschitzky von der Polizei festgenommen und inhaftiert. Die Heirat mit Alexander Tudor-Hart, der in Cambridge Medizin studiert hatte und wie sie Komintern-Aktivist ist, ermöglichte ihr, Österreich zu verlassen und britische Staatsbürgerin zu werden. Nun kann sie auf legale Weise ihren Namen ändern, und so wird aus Edith Suschitzky Edith Tudor-Hart.

Die Ehe zwischen beiden scheitert bald, die Geburt eines Sohnes mit schwerer psychischer Behinderung und die Schwierigkeit, als Fotografin sozialkritischer Reportagen in Großbritannien wirklich Fuß zu fassen, machen ihr Leben nicht leicht. Dennoch entstehen auch jetzt brillante Fotoserien aus den Londoner Slums oder aus den walisischen Kohlerevieren. Diese Bilder zählen heute zu den Hauptwerken der britischen Arbeiterfotografie. Weiterhin steht sie allerdings permanent unter Observanz des britischen Geheimdienstes, der ihre Wohnung regelmäßig durchsucht, ihre Post abfängt und ihr Telefon abhört. Als ihr letztes Atelier 1942 bombardiert wird, arbeitet sie kurz als Haushälterin und hält sich und ihren Sohn die nächsten Jahre als kommerzielle Fotografin über Wasser.

Schon wieder im Krieg – diesmal im Kalten

Ihren eigentlichen Weg einer sozialkritischen Künstlerin kann sie zumindest in einem kleinen Bereich noch fortsetzen, indem sie sich auf die Dokumentation von Themen wie Fürsorge, Gesundheit und Bildung von Kindern konzentriert. In ihrem letzten Fotoessay «Dancing at school», der 1956 veröffentlicht wird, zeigt sie uns Kinder, jene ersehnten «neuen Kinder» aus ihrer eigenen erinnerten Jugend, lyrische, poetisch gestaltete Bilder, die davon zeugen, dass Edith Tudor-Hart bei Maria Montessori in die Schule gegangen war.

Weder in Wien noch in Großbritannien konnte Edith Tudor-Hart ihr künstlerisches Werk beenden. Das radikal-politische Klima der Zwischen- und Kriegszeit war zwar vorüber, aber der Kalte Krieg hatte begonnen und die Angst vor dem Kommunismus wieder zugenommen. Weiterhin der Spionage verdächtigt, weisen sie die britischen Sicherheitsbehörden an, ihren umfassenden Studienkatalog, zahllose Negative und Fotografien zu zerstören.

Im Nationalarchiv des Vereinigten Königreichs gibt es keine Fotografie von ihr. Hier finden sich lediglich von den Sicherheitsbehörden zusammengetragene deskriptive Texte: abgefangene Briefe, Transkriptionen abgehörter Telefongespräche und schriftliche Berichte über Befragungen. Dass zumindest ein Teil ihrer Negative erhalten blieb, ist ihrem Bruder, dem Kameramann und Fotografen Wolfgang Suschitzky zu verdanken. Und dem Wien Museum, das jetzt nach Barbara Pflaum, Elfriede Mejchar und Trude Fleischmann einer weiteren großen Fotografin eine bemerkenswerte und hervorragende Ausstellung widmet.

Edith Tudor- Hart

Im Schatten der Diktaturen

Noch bis 12. 1. 1014

Im Wien Museum am Karlsplatz