Die beste Band der WeltArtistin

Musikarbeiter unterwegs mit Naked Lunch auf den Pop-Gipfel

Naked Lunch veröffentlichen dieser Tage ihr fünftes Album. This Atom Heart Of Ours ist eine musikalische Offenbarung.

Die Welt, global, führt einem ihre Bescheuertheit mit der Saddam-Exekution und ihren grauslichen Begleiterscheinungen (eure Multifunktionsmobiltelephone, ihr Kommunikationsterroristen!) vor, die Welt, lokal, tut das mit dem Ableben von Liese Prokop. Generally I don’t speak ill of the dead sagt Ian McKaye von The Evens auf deren ersten Album und nein, ich denke und empfinde nicht, dass das Sterben von Menschen je Grund zur Freude oder Genugtuung sein kann, nicht bei Saddam und nicht bei Liese Prokop. Aber selbst der Tod darf nicht alles gleich und obsolet machen.

Wenn vielleicht der Zeitpunkt zu einer fortgesetzten Kritik der Politik, die die Big Brother Award-Gewinnerin Prokop zu Lebzeiten betrieben hat, ungünstig sein mag als die wirkliche Leichenschändung sehe ich das worthülsenreiche Geheuchel über ihr wertvolles, menschliches politisches Wirken, vor allem auch des politischen Gegners, wobei solches Gegnertum hierzulande sowieso relativ ist. Im Fernsehen zu sehen, wie SPÖ-Bundesgeschäftsführer Darabos sich ein paar pietätsvolle, allen Regeln des Anstands genügende Worte über die Verstorbene abringt, war so widerlich, dass einem schlecht werden konnte. Als Parteimitglied hätte ich die Asche meines verbrannten Parteibuchs per Einschreiben an die SPÖ-Zentrale zu Handen Herren Darabos geschickt. Nicht einmal nach ihrem Tod das Wirken Prokop’s ernst und für das, was es wirklich (unmenschlich?) war, zu nehmen ist doch die finale Herabwürdigung, das allerletzte Nicht-Ernst-Nehmen, der untaugliche Versuch des medialen Aus- und Überstreichens der Arbeit der Verschiedenen.

Dass das in Österreich nicht nur bei toten Politikerinnen üblich (Thomas Bernhard!) ist, lässt einen an Begriffe wie Operettenstaat und Bananenrepublik denken bloß wo zum Teufel sind die Bananen? Hallo große Koalition, ja, es wird ein langes, zaches 2007.

Bleiben die Freuden des eskapistischen (oder doch nicht?) Planeten Pop. Da könnte 2007 ein langes, reiches Jahr werden. Ein neues Album der fantastischen kanadischen Arcade Fire steht an und mit dem neuen Album von Naked Lunch liefert schon der Jänner ein echtes Highlight, zum Niederknien schön.

Militär des Herzens


Naked Lunch, Operationsbasis Klagenfurt, sind dabei im besten Sinne unösterreichisch, schon seit ihrer Gründung 1991 war ihnen weltberühmt in Österreich als Ambition zu läppisch. So wie es Sänger und Songwriter Oliver Welter und Herwig Zamernik, dem Nukleus der Gruppe, 2007 zu blöd ist, sich in Opposition zum offiziellen Kärnten definieren zu lassen. Grosser Pop den machen Naked Lunch handelt immer von mehr, von der Welt, den Nahtstellen, den Durchwirkungen von eigener und großer. Aufgetaucht zeitgleich mit der Grungerevolution war ihr Sound anfangs von Gitarren geprägt und den Songs Welter’s, die den Anspruch der Band auf internationale Wahrnehmung untermauerten. Grundeln war ihre Sache nie und tatsächlich wurden drei ihrer Alben auf Major-Labels veröffentlicht, der Meilenstein Songs For The Exhausted (2004) zuletzt auf dem deutschen Label Motor. Naked Lunch betrieben ihre Musik lange mit einer existentiellen Unbedingtheit, gingen künstlerisch und real life technisch an die Grenzen, lebten um der Musik willen in Deutschland und England, oft von der sprichwörtlichen Hand im Mund.

Zum angestrebten Superstardom ihr 97er Album hat es nicht gereicht, aber weit über die Grenzen hat sich die Band als verlässliche Livegröße etabliert, von der immer Großes zu erwarten war was sie mit Songs For The Exhausted einlösten. Entstanden mit dem Rücken zur Wand gingen Welter und Zamernik mit Stefan Deisenberger, Multinstrumentalist, seit 98/99 in der Band dabei ans Eingemachte ihrer Musik. Dieser künstlerische Gewaltakt klärte vieles, gab Naked Lunch die Befriedigung 100ig die Musik gemacht zu haben, die sie machen wollten, machen mussten. Darauf aufbauend geht This Atom Hearts Of Ours weiter. Das ist, allen voran die Single Military Of The Heart eine oft schwelgerische, immer weltdurchwirkte Angelegenheit, eine originäre, visionäre Popmusik, vollgesoffen mit Leben, in der unendlich Vieles mitschwingt, von der Überwindung geistiger Provinzen durch das Finden von kreativ gleichgesinnten Menschen, mit denen man arbeiten kann über das Aufbauen eigener Infrastrukturen (Naked Lunch haben on/off 9 Monate in Zamernik’s Studio an diesem Album gearbeitet) und nicht zuletzt das Ausbalancieren von Leben und Kunst. Schliesslich sind Naked Lunch keine nihilistischen Youngsters mehr, deren Leben sich um Backstage-Exzesse dreht, sondern haben als (teilweise) Familienväter zu einer erwachsenen Musik gefunden, die eben nicht von Verspießerung und geistigem Zumachen handelt, sondern im Gegenteil von einer reflektierten, auch schmerzlichen Offenheit, die ihre Musik zu einem lustvollen Soundtrack eines Bemühens um ein Leben in Würde macht.