Die Besten verrieten das VaterlandArtistin

Markus Kupferblum und sein Ensemble «Schlüterwerke» haben Großes vor

Gibt’s nicht schon genug Weltkriegserinnerungsangebote in diesem Jahr? Musst nun auch du einen Beitrag zu dieser Gedächtnisinflation hinzufügen, fragen wir Markus Kupferblum, der mit seinem Musiktheaterensemble »Schlüterwerke» Großes plant. Ich glaube nicht, antwortet er im aktuellen AUGUSTIN, dass es auch nur bei einer dieser Veranstaltungen darum ging, dass heute wie damals die Frage zu stellen ist, wie der Pazifismus den Nationalismus besiegen könne.

Foto: Gianmaria Gava

«Vorurteile sterben ganz langsam, und man kann nie sicher sein, ob sie wirklich tot sind», schrieb der französische Schriftsteller Jules Romains. Für die nationalen, nationalistischen Vorurteile trifft das ganz besonders zu. Literaturnobelpreisträger Romain Rolland, ebenfalls Franzose, war der Mutigste beim Zertrümmern der Ressentiments. «Nach und nach bin ich mit Entsetzen zur Entdeckung gelangt, dass nicht Deutschland allein lügt. Und jetzt erscheint mir die Verantwortlichkeit in verschiedenem Grade auf alle kämpfenden Mächte verteilt zu sein. Wer weiß, ob überhaupt Deutschland seinen Absichten nach die ärgste Schuld trägt?» Er schrieb das am 11. Jänner 1915, als der Großteil seiner intellektuellen Kollegen ihrer Regierung zustimmten, die den Krieg als Verteidigungsnotwendigkeit schönfärbte. Rolland wurde mit diesem unerhörten Hinterfragen zum «Verräter» Nr. 1.

Nur ganz wenige, die ebenso weit sahen, bekannten sich zu ihm. Dazu zählte Stefan Zweig, dazu zählte auch Albert Einstein. Dieser bot im März 1915 seinem Gesinnungsgenossen jede Unterstützung an: «Möge ihr herrliches Beispiel andere treffliche Menschen aus der mir unbegreiflichen Verblendung aufwecken, die wie eine tückische epidemische Krankheit auch tüchtige und sonst sicher denkende und gesund empfindende Männer gefesselt hat! Sollen wirklich spätere Jahrhunderte unserem Europa nachrühmen dass drei Jahrhunderte emsigster Kulturarbeit es nicht weiter gefördert hätten als vom religiösen Wahnsinn zum nationalen Wahnsinn?» Auch Jean Jaurés, der begnadete sozialistische Redner, wurde als Vaterlandsverräter und als Agent Deutschlands verleumdet, weil für die Idee eines Generalstreiks der europäischen Arbeiterschaft gegen den Krieg durch die Länder tourte. Er wurde am Vorabend des Ersten Weltkriegs in Paris erschossen.

«Bin tief erschüttert», schrieb Rosa Luxemburg, die noch zwei Tage vor dem Attentat mit Jaurés diskutiert hatte. Ein paar Jahre später wurde auch sie umgebracht, weil sie als Kriegsgegnerin ihr «Vaterland verraten» hatte. «Die Rosa nun verschwand / Wo sie liegt ist unbekannt / Weil sie den Armen die Wahrheit gesagt / Haben die Reichen sie aus der Welt gejagt», dichtete Bertolt Brecht.

An einer ultimativen Hommage an diese Vaterlandsverräter arbeitet in diesen Tagen Regisseur und Autor Markus Kupferblum. «1914» ist der Name des Computer-Ordners, in dem er die Texte für sein Stück, das heuer noch zur Aufführung gebracht werden soll (1914-2014!) versammelt. «Ich schreibe und schreibe, und ich lösche es wieder», schmunzelt Kupferblum im Augustin-Gespräch: «Ich weiß nicht, welche der pazifistischen Intellektuellen schlussendlich die Bühne bevölkern werden. Beim derzeitigen Stand meiner Arbeit gibt es nur eine erfundene Person im Stück: den Kameramann von Charlie Chaplin. Aber das kann schon wieder anders sein, wenn der Augustin mit dieser Geschichte auf den Markt kommt.»

«Theater muss wie die Synagoge im ursprünglichen Sinn funktionieren»

Sind auch Österreicher_innen vertreten? Bertha von Suttner ist eine Anwärterin, antwortet der Regisseur, und dann kommt die Sprache auf Thronfolger Rudolf: «Du kennst ja die Theorie, dass Rudolf ein Pazifist war, dass mit ihm der Erste Weltkrieg nicht möglich gewesen wäre und dass sein Selbstmord in Wirklichkeit eine Beseitigung des Pazifisten durch die kriegstreibende Monarchie war. Aber diese Theorie ist mir zu verstiegen – der Thronfolger wird also nicht im Ensemble meiner dramatischen Figuren vertreten sein.»

Heute gehe es, wie 1914, um die große Auseinandersetzung Pazifismus versus Nationalismus. «Die aktuellen Wahlerfolge nationalistischer Politiker_innen in der Türkei und in Frankreich oder der Triumph der nationalistischen Parteien, der für die Europawahlen im Mai vorausgesagt wird, zwingt uns zum Handeln», meint Markus Kupferblum. Freilich teile er nicht mehr die Brecht’sche Illusion, dass man mit Theater die Welt ändern könne (wobei Brecht noch gute Gründe hatte, dieses zu erhoffen, denn seine Stücke wurden in Deutschland bis 1933 regelrecht überrannt). «Für mich hat das Theater die Funktion der Synagoge im ursprünglichen Sinn: Es ist der Ort, wo man jede Woche einmal zusammenkommt, um einander Mut zu machen».

Unter anderen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, vor allem überall dort, wo politische Opposition nicht möglich ist, könne vom Theater größere Gefahr für die Eliten ausgehen: «Wenn in der DDR «Wallenstein» gespielt wurde, wusste jeder, dass Stalin gemeint war. Als Wallenstein starb, brandete im Theater Jubel auf. Aber die Staatssicherheit war machtlos gegenüber den Jubelnden: Applaus in einem Friedrich-Schiller-Stück konnte ja nicht gut unterbunden werden.» Von politischer Brisanz sind auch die Keller-Aufführungen einer informellen Schauspielgruppe in Teheran, die Markus Kupferblum betreut. Auf der Bühne wird alles gemacht, was im Leben verboten ist: Die Frauen sind unverschleiert, und Männer und Frauen berühren einander.

In Wien, so Kupferblum, «bin ich schon froh, wenn ich nicht bei allen, die im Publikum sitzen, offene Türen einrenne, sondern wenn ein, zwei Leute darunter sind, die nach der Aufführung sagen: Aha, man kann die Welt auch anders betrachten, als man sie bisher betrachtet hat. Ich mache nun schon 25 Jahre lang Theaterarbeit. Wenn mir damals, als ich anfing, die Ohnmacht des Theaters klar geworden wäre, wäre ich vom Stephansturm gesprungen.» Dass er auf der «Angewandten» angehenden Autor_innen in «Dramatik und Schreiben» unterrichte, habe zwei Vorteile: Erstens verdiene er damit Geld, zweitens schätze er die Nachhaltigkeit des Kontakts zu den Studierenden; anders als mit dem Theaterpublikum könne er in der Akademie auf die Leute eingehen und Schritt für Schritt neues Denken vermitteln.

Theaterschaffende brauchen die kontinuierliche Subvention

Das neue Stück – nennen wir es provisorisch «1914» – stellt für das im Februar 2013 von Kupferblum gegründete Musiktheaterensemble «Schlüterwerke» eine große Herausforderung dar. Denn es gibt kein Geld von der Kulturabteilung der Stadt Wien. «Zu warten, bis der offizielle Zeitpunkt da ist, wo man eine Projektförderung einreichen darf, und dann wieder zu warten, ob und wie man gefördert wird – das ist eine Trägheit, die unserer praktischen Theaterarbeit diametral zuwiderläuft. Was Theaterschaffende brauchen, ist eine garantierte kontinuierliche Förderung, über Jahre hinweg. Theoretisch gibt es zwar die 4-Jahres-Subvention, aber ich weiß nicht, wie man sich verhalten muss, wenn man sie kriegen will. Ich kriege sie jedenfalls nie. Von so einer Kulturpolitik geht immer die Gefahr der Amateurisierung guter Ensembles aus.» Nicht-Subvention heißt in diesem Falle: Der Aufführungsort (Kupferblum denkt derzeit an ein Filmstudio) darf nichts kosten und die Schauspieler_innen werden vom Publikum bezahlt – das aber nach dem «pay as you want»-Prinzip den Eintrittspreis individuell nach ihrer Finanzlage bestimmen darf. Ein privater Sponsor rettet manchmal aus akuter Notlage.

«Schlüterwerke» – ein eigenartiger Name für ein Theaterensemble. Das Wort fand Kupferblum in Erich Kästners Roman «Drei Männer im Schnee – das lebenslängliche Kind». Der Regisseur zur Namensgebung: «Der Name Schlüterwerke soll suggerieren, dass wir täglich arbeiten wollen, um niederschwellige, lebendige und spannende Musiktheaterproduktionen zu verwirklichen. Die Schlüterwerke sind eine Produktionsstätte für zeitgenössische Projekte darstellender Kunst unter Einbeziehung sämtlicher denkbarer künstlerischer Ausdrucksformen mit dem Ziel, eine aktuelle Musiktheatersprache zu entwickeln. Der Begriff der «Werke» ist insofern programmatisch, da unsere Arbeit jederzeit für ein breites Publikum erfahrbar sein und sich nicht a priori auf eine abstrakte Kunstebene berufen soll, damit auf unserem Weg alle Möglichkeiten des Ausdrucks vorurteilsfrei einbezogen und erprobt werden können.» (Mehr dazu auf der Homepage www.kupferblum.com).

«Wenn, wie du sagst, das Theater im Grunde nichts revolutionieren kann, w e r kann dann überhaupt was verändern?» Markus Kupferblum ahnte es schon: eine typische Augustin-Frage, die musste ja kommen. «Wenn ich wüsste, wer das kann, wär‘ ich schon dort», antwortet er und rast aus dem Café Prückl, zum nächsten Termin.