Angelika Kaufmann – bildende Künstlerin für Kinderseelen
Angelika Kaufmann ist für viele Kleinkinder, was Christine Nöstlinger für Heranwachsende ist: eine Vermittlerin zwischen den Welten, eine, die große Gefühle von kleinen Menschen in Bilder und Worte fassen kann. Lisa Bolyos (Text) und Carolina Frank (Fotos) haben die Illustratorin in ihrem Atelier getroffen, wo sie Mayröcker-Texte zerknüllt und einen Straßenzeitungsverkäufer malt.
Das Atelier im dritten Stock ist ein Versprechen wie jedes ihrer Bücher: hell, warm, gemütlich («Es ist gerade leer gewesen und jetzt ist schon wieder alles voll!»), mit einer Kaffeeküche, aus der bald das tröstliche Gurgeln fertiggebrühten Espressos ertönt. Der wird in schwarz-weiß gepunkteten Tassen serviert, es ist schier unmöglich, dabei nicht den Blick auf Angelika Kaufmanns Frisur zu richten: «Die ist an eine Arbeit von mir angelehnt», sagt sie und sucht in der Reihe ihrer zahllosen Kataloge den richtigen heraus, in dem eine Installationen aus Registrierkassenpapier zu sehen ist, darauf schwarze Farbe vom Pinsel abgetupft.
Ich und du, du und ich. Komm, sagte die Katze. Das fremde Kind. Was raschelt da im Bauernhof? Wer ist ohne Angelika Kaufmann aufgewachsen? Holt die Lektüre nach! Kaum eine konnte mit so vielen kleinen Strichen Vergleichbares fürs innere Kindeswohl leisten. Zum Beispiel die Trauerarbeit in «Ich und du»: «Die Erwachsenen sagen, dass du jetzt tot bist. Ich kann das nicht glauben. Nicht immer sagen die Erwachsenen die ganze Wahrheit.» Trauer ist bei weitem nicht das einzige, aber ein regelmäßig wiederkehrendes Element in Kaufmanns Kinderbüchern. «Ich denke, das ist das Leben. Kinder müssen Traurigkeit erleben und können das auch.» Woher aber kommt die Kompetenz, Kindergefühle so genau auszudrücken? «Das kann ich überhaupt nicht sagen» – und sagt doch nach einigem Überlegen: «Es ist wohl auch ein Erinnern an die eigene Kindheit.»
Malen statt Abwaschen. Die eigene Kindheit fand in der Nähe von Villach statt, am Bauernhof. Wo Krieg und Nazis nicht vorkamen, denn Hunger gab es keinen, und Informationen, die den Kindern weitergegeben wurden? Nein. Und auch keine Zwangsarbeiter? Doch, einen Franzosen, «aber der ist mit uns am Tisch gesessen, das war irgendwie ganz normal». Als die Nazis besiegt waren und Kärnten britische Besatzungszone, war Angelika Kaufmann zehn. «Und für mich war das wie ein Wunder: Ich hab’ ja immer nur gehört, die Engländer sind die Feinde, aber tatsächlich waren das Menschen.» Die Kindheit erinnert Kaufmann als förderlich für ihren Wunsch zu zeichnen, der mit den «wenigen Prinzessinnenbüchern» begann, die sich am elterlichen Dachboden abstauben ließen. «Meine Mutter hat Verständnis dafür gehabt, dass ich mich zurückgezogen habe; grad wenn irgendwelche unangenehmen Tätigkeiten waren, Abwaschen oder so, hab ich halt gezeichnet.» Und so kommt’s, dass, ein bisschen wie im Märchen, die Bauerntochter in die große Stadt geschickt wird, um ihrem Talent zu frönen: 1953 inskribiert Angelika Kaufmann an der Universität für Angewandte Kunst.
Friederike Mayröckers Zähne. Heute, sechzig Jahre später, zerknüllt sie Japanpapier, auf das sie mit geschwungener Handschrift «und ohne Zwischenräume, weil mich das visuell stört», Mayröcker-Texte schreibt. Die Ausstellung wird im September eröffnet – das Material ist leicht, nicht ganz unwichtig, wenn man alt wird: «Ich kann das alles nicht mehr tragen.»
Mayröcker ist eine der Dichterinnen, die Kaufmann schon lange begleiten: «Ab der Pubertät haben mir Gedichte geholfen, bei Liebeskummer, bei Versagen und solchen Anlässen. Da bin ich auf Christine Lavant gestoßen. Dann kam Bachmann, und später Mayröcker.» Wobei die Verbindung zu Mayröcker nicht nur künstlerischen Ursprungs war, sie und Jandl waren Patient_innen in der Zahnarztpraxis von Angelika Kaufmanns Partner. Der wiederum sei nicht nur ein guter Antifaschist gewesen, mit dem Kaufmann «heilsame Diskussionen» führte, sondern auch ein bewundernswerter Dentist: «Er hat den Kindern alles ganz genau erklärt. Ein Kind, das sich fürchtet, hat er gesagt, kann ich nicht behandeln.» Mehrere Porträts von Mayröcker stehen im Atelier, neben dem Fenster hängt ein Poster von Elfriede Gerstl, an deren legendäre Kleiderflohmärkte Kaufmann sich erinnert – «aber die Kleider waren immer so», sagt sie und deutet mit dem Abstand zwischen ihren Händen an, wie schmal Gerstl selbst war.
Auch in ihrer Kinderbuch-Bibliografie zeichnen sich die vielen Kooperationen mit anderen Künstlerinnen ab: Gudrun Pausewang, Käthe Recheis, Antonie Schneider, Doris Mühringer. Mira Lobe wurde ihr von «Jugend & Volk» zugetragen. «Komm, sagte die Katze» ist ein gemeinsames Werk, aber auch «Die Yayas in der Wüste», ein Kinderbuch, «in dem wir Tiere mal so darstellen wollten, dass nicht nur die Männchen was zu sagen haben». Unvergessen dabei die Recherche im Naturhistorischen Museum, bei der ihnen ein Museumsangestellter die Schädel von Affenmännchen und -weibchen vorführte, zum Beweis dafür, dass das Männerhirn halt größer wär‘ – und aus. «Da sind wir gegangen, was gibt’s da schon zu diskutieren.» Die Yayas in der Wüste schließlich, die werden von ihrer Tante angeführt, die tougher ist und schlauer als der «Große Guruyaya».
Das Wissen, dass ich nicht die einzige bin. Überhaupt, diese Männlichkeiten im Kunstbetrieb – nicht immer ganz einfach. Das beste Gegenmittel ist da halt doch die Frauenbewegung. «Die war auch insofern ganz wichtig, als ich alle Fehler immer an mir gesucht habe, und dann war es schon eine große Erkenntnis: Das hat System.» Zum Beispiel die schlechten Rezensionen von Ausstellungen: «Ich habe immer geglaubt, ich bin halt nicht so gut. Ich hab geglaubt, die Männer sind alle besser. Frauen waren ja neu auf dem Parkett.» Dagegen helfen Vorbilder – Modersohn-Becker und Oppenheim zählt Angelika Kaufmann auf – und gegenseitige Unterstützung: «Wie viele Frauen unterstützen ihre Männer, und die werden dann große Künstler. Und die Frauen?» In ihrem Partner hingegen hatte sie einen gefunden, der sie bestärkte, weiterzumachen, auch wenn es mitunter nicht so rosig aussah. «Das war wie ein warmer Rucksack.» Ebenso wichtig waren Künstlerinnen-Netzwerke, zum Beispiel die «IntAkt», die Internationale Aktionsgemeinschaft bildender Künstlerinnen, die Kaufmann mitgegründet hat. Ausschlaggebend dafür war eine «Frauen-Ausstellung», initiiert von der Kunstministerin Firnberg, die im Völkerkundemuseum stattfinden sollte, «irgendwo da in einem Seitenflügel der Hofburg»; das war einer Gruppe von Künstlerinnen zu klar im Abseits. «Wir haben gesagt: Das machen wir nicht. Und aus diesem Aufstand, wenn man so will, ist die IntAkt entstanden.»
Bis heute, sagt Angelika Kaufmann, hadere sie manchmal damit, sich eine bildende Künstlerin zu nennen. «Wenn ein Formular das verlangt, trage ich es schon ein. Aber es kommt mir ein bisschen überheblich vor. Das ist sicher aus früheren Tagen so geprägt, wo ich geglaubt habe, Künstler, das sind die Männer.»
Kann der Kelomat schon alles sein? Und ökonomisch? Reden wir über den Kelomat! Ja, den Schnellkochtopf. Nachdem das Kunststudium abgeschlossen war und Versagensträume einsetzen («Ich habe geträumt, ich gehe mit meiner Mappe von Tür zu Tür – die pure Existenzangst»), beschließt die junge Künstlerin, einen faden Geldjob anzunehmen. Sie gestaltet Schaufenster, setzt Folder – sieben Jahre für Kelomat. «Das war schon furchtbar lang. Aber wenn man jung ist, hält man vieles aus.» Und sie lacht zu dieser mäßig angenehmen Erinnerung. Später – «Irgendwo hab ich mir gedacht: Wenn das alles sein soll, das halt ich nicht aus!» – bekommt sie ein Kunststipendium für Krakau, und noch später kommen Verträge für Kinderbücher, auch Buchpreise, und ein Partner mit fixem Einkommen. «Das habe ich zwar nicht gebraucht, aber es war angenehm, diese Sicherheit zu haben.»
«Das einsame Schaf» ist der Titel des ersten Kinderbuchs, mit dem sie jahrelang hausieren gehen musste. Der Kinderbuchmarkt, erzählt sie, war «furchtbar», ihre Bilder galten den Verlagen als «nicht kindertümlich». Die Rutsche legte ihr dann Viktor Matejka, der kommunistische Kulturstadtrat, bei dem sie sich einen Termin geben ließ – rückblickend bewundert sie das junge Ich, das ganz ungeniert zum Telefonhörer gegriffen hatte. Matejka schaute sich ihre Mappe an, telefonierte seinerseits mit dem Verlagshaus Neugebauer, und kurz darauf gab’s den ersten Kinderbuchvertrag.
Nicht aufhören. Einige Kinderbuchregalmeter und einen Haufen Erwachsenen-Ausstellungen später hat Angelika Kaufmann ihren Vorlass dem MUSA übergeben. Doch wie gesagt ist das gerade erst leergeräumte Atelier schon wieder voll mit neu eröffneten Arbeitsbaustellen: zum Beispiel mit den ersten Bildern für ein Kinderbuch über den Straßenzeitungsverkäufer auf der Alser Straße. Ein richtiges Augustin-Buch! Und was kommt danach? Und danach?
«Als Künstlerin geht man nicht wirklich in Pension. Aber man wird alt, man denkt vielleicht ans Sterben», sagt Angelika Kaufmann, «und daran, was man noch machen will. Man beginnt, mit der Zeit zu geizen.» Alles andere als geizig mit ihrer Zeit schenkt sie uns Kaffee nach und lässt uns Scribbles und Entwürfe anschauen. «Und dann habe ich mir schon eine Weile gedacht, ich hör jetzt auf. Ich weiß aber nicht, wie.» Zum Glück, denken wir heimlich.
Kinderbücher von Angelika Kaufmann sind u. a. erschienen bei: bibliothekderprovinz.at