Die BildhauerinnenDichter Innenteil

Der wahre, einzige Tod ist das Vergessen (Illustration: Jella Jost)

Cherchez la Femme (06/2023)

Bildhauerinnen sind Kunst-Schaffende. Sie sind keine Außer­irdischen. Künstlerinnen, die von Kunst leben können, sind hart arbeitende Frauen mit jahrelanger Ausbildung. Das Bild der Künstlerin hat sich gewandelt, früher waren es oft noch Ausnahmeerscheinungen. Heute sprechen wir von unzähligen Künstlerinnen in unterschiedlichen Sparten, die sich in der Konzeption als auch in der ­Praxis überschneiden, Bildhauerei, Malerei, Medienkunst, Theater, Literatur, Performance. Als ich mit 19 Jahren die Schule beendete, glaubte ich, an der Akademie Bildhauerei studieren zu können. Das war in den 80er-­Jahren ein männerdominierter Beruf. Sobald ich jemandem von meinen Plänen erzählte – «Ich mache die Aufnahmsprüfung für Bildhauerei» –, schlug mir mildes Bedauern entgegen. Nachdem meine Plastiken dann buchstäblich in den Staub getreten worden waren, verließ ich die Akademie fluchtartig. Das Theater rief! Gerade weil ich ­weder langhaarig oder blond war noch ­einem vermeintlich weiblichen Stereotyp entsprechen wollte, musste ich mir diesen Weg (zum Glück) auf andere Weise erkämpfen (und bei Gott, es war ein Kampf). Ich erkenne erst spät, welche Kräfte ich entwickelte, um auf der Bühne zu bestehen und Hinterlist und Abwertung zu ertragen. Die Kraft dafür gab mir meine Liebe zum Theater. Und natürlich, weil nicht alle Theatermenschen per se übergriffig sind. Aber wohl einige davon. Der allgemeine Ruf einer Künstlerin war zwiespältig. Auf die Frage hin, welcher Ausbildung ich denn nachgehe, und meiner nachfolgenden Antwort, «Schauspiel!», veränderte sich ein zuvor interessierter Blick zu einem mild-enttäuschten Misstrauen. So was kriecht in die Knochen, da braucht es keine Worte.

Dieser inthronisierende Blick auf Künstlerinnen hat was Religiöses

Stellvertreterinnen-Heilige sollte wir sein, Huren, die sich erniedrigen lassen, Ausgenutzte, die man im Hinterzimmer vögelte. Immer das gleiche Schema: Heilige, Mutter oder Hure. Dieser inthronisierende Blick auf Künstlerinnen hat was Religiöses. Wir jagen. Dann essen wir. Das ewige Beuteschema. Werden Künstlerinnen anders wahrgenommen als Künstler? Wie stark doch unsere kulturellen Fantasien da reinspielen. Bildhauerei war meine allererste Wahl als junger Mensch, weil ich im Stillen arbeiten konnte, mich vom Lärm zurückziehen, vom Gerede, und dieses Alleine-Sein und -Arbeiten ist etwas ganz Wunderbares. Und so wuchs aus meiner Wurzel, der Bildhauerei, ein Ast zum Theater hoch; er brach. Heute sehe ich das als Glück – ich fand zum geschriebenen Wort. Die Auseinandersetzung mit mir, dem Denken, dem Erleben, den Ereignissen, funktionierte bei mir über den inneren Klang meiner Gedanken, meiner Sprache, wie eine Komposition, die ich im Kopf herumtrage und ordnen, notieren muss, um sie selber zu erinnern und mich ihr zu erschließen. Oft fliegen Gedanken rasant raus, ja fast ahnungslos stehen sie da und entfalten ihre volle Wirkung erst, wenn ich sie zusammensetze, ordne. Dann kann es durchaus passieren, dass ich erschrecke. Über mein Geformtes. Was da geboren ­wurde. Ohne innere Zensur. Vielleicht führe ich aber auch beim Schreiben mit meinem besseren Ich einen eloquenten Dialog. So forme ich also nicht mehr wie einst mit Ton meine Gedanken. Ja womit forme ich sie denn? Die Aktivität des Gehirns ist Elektrizität. Impulse leiten meine Finger auf der Tastatur. Das geht nur mittels Sprache. Sie ist das verbindende Glied, durch die ich die Dinge erkenne, ausgrabe, erforsche, analysiere und weitergebe. Schreiben ist für mich wie Singen, da ist kein Unterschied. Wörter sind Noten. Schwingung. Sie tragen weit.

Akadḗmeia. Gelehrte Gesellschaft

Der Begriff Akademie stammt von dem altgriechischen Wort Akadḗmeia, das war die Schule Platons, die sich bei dem Hain des griechischen Helden Akademos befand. Dieser ­rettete die Stadt durch die Zerstörung der Brüder Helenas, Kastor und Pollux. Die Akadḗmeia ist ein Ort des Studiums, der Forschung, eine Lehr- und Bildungseinrichtung, öffentlich gefördert. Umso interessanter ist es, wofür die Steuergelder der Österreicher:innen verwendet werden und ob eine Ehren­mitgliedschaft in der Akademie weiterhin gerechtfertigt ist. Es ist ja essen­tiell in einem wissenschaftlichen Diskurs, zu hinterfragen oder in ­Frage zu stellen. Die Akademie der Bildenden Künste Wien hinterfragt ihre Ehren­mitglieder, deren Liste bis 1750 zurückreicht, und entledigt sich zeitgleich jener, deren Bedeutung im Nationalsozialismus eine Rolle spielten. Besondere Aufmerksamkeit wird der heute fast vergessenen Bildhauerin Teresa Feodorowna Ries geschenkt (ihr Geburtsjahr wird in verschiedenen Quellen mit 1866, 1874 oder 1877 angegeben). Ihr wird nach einem Beschluss des Senats der Akademie, ­beziehungsweise einer ­Arbeitsgruppe, die Ehrenmitgliedschaft posthum zuerkannt. Gleichzeitig erfolgt die Aberkennung der Ehrenmitgliedschaften des Malers und Grafikers Ferdinand Andri, des Bildhauers Josef Müllner, des Schriftstellers Josef Weinheber und des Malers Arthur von Kampf aufgrund ihrer Rolle im Nationalsozialismus. Die sogenannten Ehrenmitglieder sind Personen, die durch herausra­gende Leistungen in einem bestimm­
ten Bereich einen besonderen Platz einnehmen. Und ja, es handelt sich in den meisten Fällen um männliche Poli­tiker, Mäzene, Künstler oder Wissenschaftler, die zum Zeitpunkt der ­Ehrung hohes Ansehen genossen.

Solidarität basiert auf Zusammenhalt. Solidarität bedeutet Anliegen und Sorge

Teresa Ries stammte aus einer jüdischen Budapester Familie, sprach Ungarisch, Russisch, Französisch, Italienisch und Deutsch, begann ihre Studien an der Moskauer Kunstakademie, wurde dort aber wegen «vorlauten Verhaltens» entlassen, zog 1895 nach Wien, da ihre Eltern vermögend waren und ihr den Aufenthalt finanzieren konnten. Damals war Kunst nicht nur männlich, nein, sie war auch Privileg. Teresa wurde Privatschülerin von ­Edmund von Hellmer, Professor an der Akademie der bildenden Künste. Es ­gelang ihr, ihre Werke in der Künstlerhausausstellung 1896 auszustellen. ­Besondere Aufmerksamkeit wurde ihr Zuteil für ihre extravagante Hexe bei der Toilette für die Walpurgisnacht. Eine leidenschaftlich nackte, langhaarig-wilde Frau, die sich die Zehennägel schärft. Damit wurde Ries schlagartig berühmt. Selbst Kaiser Franz Joseph wurde auf ihre Plastik aufmerksam und lud die Künstlerin vor. In der Folge kam es dazu, dass sie in einem Trakt des fürstlichen Palais Liechtenstein ein Studio einrichten konnte. Auch von den Literaten Stefan Zweig, Felix Salten und vom legendären Klimt wurde sie umjubelt. Etablierte Künstler wie Kolo Moser, Egon Schiele machten sich für die Kunst von Frauen stark. Ries’ ­Werke wurden bei der Weltausstellung Paris 1900 gezeigt, wo sie für die Skulptur Lucifer die Grande Médaille d’Or erhielt. Teresa Ries wurde populär. Prominente ließen sich Büsten anfertigen, wie Mark Twain während seines Wien-Aufenthaltes. Sie schuf zahlreiche Plastiken aus Stein, Marmor, Bronze und nahm sowohl private als auch öffentliche Aufträge an. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde ihr Studio arisiert und geplündert, ihre Werke zerstört und alles, was man über sie wusste, ausgelöscht. Ries floh 1942 in die Schweiz, wo sie (wahrscheinlich) 1956 verstarb. Die Nazis ­gaben ihr den Rest. Vernichtung von ­allem, was an sie erinnerte. Viele Künstlerinnen wählten damals den Freitod oder wurden deportiert. All dies wurde nach dem Krieg weder revidiert noch aufgearbeitet. Die weibliche Avantgarde war verloren. Wenig ist erhalten geblieben. Die marmorne Hexe konnte nur deswegen aufgefunden werden, weil sie im Freien aufgestellt war, mit roter Farbe übermalt. Ries unterrichtete übrigens einige Bildhauerinnen und war Mitglied der Gruppe Die Acht Künstlerinnen. In ihrer Autobiografie spricht sie davon, wie schwer es ihr fällt, sich mit Worten auszudrücken, dass sie lieber durch Stein spricht. Dennoch ist auch ihr literarisches Werk nicht zu leugnen. 2018 wurde ihr ­Archiv in Monaco versteigert. Da sich sonst niemand anbot, es zu erwerben, griff die Künstlerin Valerie Habsburg zu. Die Künstlerin Elke Krasny schreibt über Ries: «Eine Person verschwindet, wenn sich niemand mehr erinnert. Vergessen ist Auslöschung. Was bedeutet es, wenn das Lebenswerk bedroht ist durch die Tatsache, dass die Person eine Frau, eine Jüdin, eine Künstlerin, eine Mutter ist? Solidarität basiert auf Zusammenhalt. Solidarität bedeutet Anliegen und Sorge.» Wachsender Rückzug und Verweigerung jedoch sind Indizien einer Instabilität neoliberaler Verhältnisse. «Manchmal braucht man Fantasie, um die Realität zu überleben.» (Astrid Lindgren)

 

Autobiografie von Teresa Feodorowna Ries:
Die Sprache des Steins, Wien 1928
www.teresafeodorownaries.com (Valerie Habsburg, Anka Lesniak)
www.fraueninbewegung.onb.ac.at/node/1085 (Ariadne, Österreichische Nationalbibliothek)