«Die Blau-Rosa-Frage ist eine große»Artistin

Interview: Lady Nutjob

Ob Erwachsene oder Kinder – Menschen lieben es, vorgelesen zu bekommen, weiß Lady Nutjob. Als Drag Queen liest sie im Rahmen des Wienwoche-Festivals aus Kinderbüchern, die vielfältige, queerfeministische Lebensentwürfe thematisieren. Text & Interview: Ruth Weismann, Fotos: Jana Madzigon

Mit wehender Haarpracht und flatternden pink-schwarzen Feder-Ärmeln steigt Lady Nutjob die Stufen zum Dach der Wiener Hauptbibliothek hinauf. Neben ihr Projektpartnerin Stefanie Gunzy, deren Jacke mit silbernen Pailletten besetzt ist. Glitz und Glam am Gürtel. Ein paar Menschen, die dort sitzen, dokumentieren das AUGUSTIN-Fotoshooting per Handy. Das mache ihr nichts aus, sagt Lady Nutjob lachend, denn wenn sie in Drag durch die Stadt gehe, werde sie ständig fotografiert. Lady Nutjob ist Drag-Queen, Performance-Künstlerin* und Kindergartenpädagoge*. Bücher vorlesen und mit Kindern darüber zu diskutieren ist Teil des Berufs. Für Stefanie Gunzy, die die Idee, queere Kinderbuchlesungen zu veranstalten, aus den USA mitgebracht hat, war das eine Voraussetzung: Drag-Performerin* und Pädagoge* sollte die Person sein, die das Projekt Drag Queen Stories durchführt. Lady Nutjob ist also die perfekte Besetzung.

Du bist sehr spektakulär angezogen. Ist das dein Performance-Outfit oder auch dein Alltags-Style?

Lady Nutjob: Sowohl als auch. Die Grenzen sind fließend. Es gibt vieles, was dezidiert für den Drag-Charakter ist. Aber für die Performances nehme ich oft auch Sachen, die ich im Alltag anziehe.

Was charakterisiert deinen Drag-Charakter Lady Nutjob?

Ich glaube, am besten beschrieben ist es so: Wenn man an einen Lautstärkeregler denkt, dann ist mein Drag-Charakter ich, nur zehn Stufen lauter. Lady Nutjob ist eine Gallionsfigur gegen Scham. Wenn ich auf der Bühne bin, dann ist das Körperpositiv betont und positiv gegenüber Schrullen. Sie lebt nach ihren eigenen Mustern, und das sind nicht zwangsläufig die Muster, die man sich vielleicht vorstellt. Ihre Outfits sind weird, ihr Make-up ist weird, und was sie sagt, ist in irgendeiner Form ein bisschen verschroben. Aber es fällt ihr nicht mal auf, dass sie gegen gesellschaftliche Normen arbeitet, für sie ist das normal.

Du machst seit längerem Performances, wie kam die Idee zu Lady Nutjob?

Meine inzwischen beste Freundin, die lange im Performance- und Drag-Bereich tätig war, hat mich dazu ermutigt. Ich habe auf Partys angefangen, und dann begonnen, Drag-Shows zu konzipieren. Für mich ist nach wie vor eine goldene Regel: Wenn dir kein Platz gegeben wird, dann mach dir einen. Ob ich zu Musik performe, moderiere oder vorlese, ich limitiere mich nicht. Alles was meine eigene Leidenschaft wäre, ist auch das Talent meines Drag-Charakters.

Worum geht es bei dem Projekt «Drag Queen Stories», den queerfeministischen Kinderbuchlesungen?

Es geht einerseits darum, queerfeministische Themen Kindern näher zu bringen. Durch das, worum es in den Bilderbüchern geht, aber auch durch die nachfolgenden Gespräche. Denn wenn man ein Buch mit Kindern liest, ist das eine Dynamik, es kommen Fragen auf, man unterhält sich. Gleichzeitig geht es durch den Charakter Lady Nutjob als Mittelsfigur auch darum, die Kinder direkt mit Gender-Normen zu konfrontieren, die gebrochen werden und mit denen gespielt wird. Die Quintessenz ist Konfrontation.

Wie wird das in den Büchern verhandelt?

Ein Beispiel ist die Kinderbuchreihe Luzie Libero. Die Hauptfigur ist ein kleines ­Rrriot Girl, ein Mädchen, das zum Beispiel gerne Fußball spielt, aber auch nichts gegen Femininität hat. In einem Band lernt sie den Partner ihres Onkels kennen, also da ist nicht nur sie als starker Frauencharakter zentral, sondern auch dieses homosexuelle Pärchen. Ein anderes Beispiel wäre das Buch Zwei Papas für Tango, es geht darin um die wahre Begebenheit von einem Pinguin-Ei, das von zwei männlichen Pinguinen großgezogen wurde.

Wirst du auf deiner Suche nach queerer Kinderliteratur leicht fündig?

Dadurch, dass meine Kollegin Stefanie Gunzy und ich eng mit Carla Heher vom Blog buuu.ch in Verbindung stehen, also einer Person, die quasi mit dem Stock im Ameisenhaufen herumstochert und also an der Quelle sitzt, und dadurch, dass ich selber als Pädagoge* arbeite, finde ich schon einiges.

Die meisten Kinder werden eher heteronormativ erzogen bzw. wachsen in dieser Gesellschaft so auf. Auf welche Erfahrungen stößt du, wenn du queerfeministische Bilderbücher im Kindergartenalltag vorliest?

Das ist der springende Punkt: Ein Kind kommt ja konzeptionell frei auf die Welt, und es kommt sehr auf sein Umfeld an. Kinder ab fünf, sechs Jahren fangen an, bestimmte Fragen zu stellen. Es ist das Alter, wo sie Unterschiede feststellen, und sich auch Vorurteile festigen. Die Blau-Rosa-Frage ist eine große. Bei Mädchen weniger, aber Jungs sitzen manchmal da und fragen mich flehend, ob sie jetzt mit Rosa zeichnen dürfen. Oder als Conchita Wurst in einem Kinderbuch vorkam, haben sie angefangen zu lachen und auch Fragen zu stellen. Wobei das Lachen oft auch einfach eine Probe ist, wie ich darauf reagiere. Als erwachsene Person hat man eine Verantwortung, denn wenn Kinder Fragen stellen, wollen sie oft wissen: Wie reagiert die erwachsene Person? Damit sie selbst wissen, wie sie etwas einordnen sollen.

Und wie reagierst du?

Mit Diskurs. Ich möchte nie in einen Rahmen fallen, wo ich bevormundend werde. Ich kann Kindern sagen, was ich von etwas halte und sie dann fragen, wie sie das sehen. Es hat ja keinen Sinn, mit dem erhobenen Zeigefinger zu sagen: Das hat man zu akzeptieren! Es macht nur Sinn, wenn man mit ihnen auf die dynamische Gesprächsebene geht.
Hast du Erfahrungen mit Eltern, die ablehnend reagierten, wenn Queerness selbstverständlicher Teil der Erziehung ist?
Ich habe das große Privileg, damit noch keine Erfahrungen gemacht zu haben. Aber ich weiß, dass es stattfindet. Und ich denke, der Grund, warum es bei uns nicht so stark ist, kommt eigentlich aus einer negativen Quelle. Denn queere, offene, feministische Erziehung ist in Österreich zwar auf dem Papier da, wird aber noch nicht wirklich gelebt. Es ist in den Jahren, in denen ich in dem Bereich arbeite, allerdings viel besser geworden, was auch daran liegt – also ich möchte Leute nicht in einen Topf werfen –, aber es gibt jüngeres, offeneres Personal, das nachkommt.

Wenn du an deine Kindheit zurückdenkst: Kanntest du Bilderbücher mit queerfeministischen Inhalten?

Eher weniger. Das waren die frühen 90er Jahre, es waren die klassischen Märchen und Medien wie Disneyfilme, die alles andere als queerfeministisch sind, und auch absolut nicht frei von Rassismen. Also nein, ich kannte das nicht. Aber dadurch, dass ich seit meinen Teenagerjahren sehr stark damit konfrontiert bin, und selbst im LGBTQ+-Bereich unterwegs bin, ging das für mich eher flüssig. Gleichzeitig merke ich, wie wichtig Sichtbarkeit ist. Denn die meisten heteronormativen Lebensentwürfe sind damit immer noch nicht konfrontiert, wenn die Personen das nicht aus freien Stücken tun. Darum ist die konstante Sichtbarkeit und Konfrontation wichtig. Und das fängt eben bei Kindern an. Es hören aber auch Erwachsene gerne bei Kinderbuchlesungen zu. Kinderbücher haben, wenn sie qualitativ hochwertig sind, keine Altersbegrenzung und darum enormes Potenzial.

*Das Sternchen bezeichnet hier, wie sonst der Unterstrich, die Komplexität der Geschlechter.

Drag Queen Stories
Performative Lesung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene
Sa, 14. September, 15–17 Uhr
Wiener Sport-Club, 17., Alszeile 19
Sa, 21. September, 14–16 Uhr, Ort wird noch bekanntgegeben
Eintritt frei!

www.wienwoche.org