Von Kindern, die Krieg und die Flucht überlebten: No Wellcome in Austria
Zwölf Polizeibeamte, die ratlos ein schreiendes Kind umstehen, Prinzessinnen, die Schatzkisten nicht verlassen dürfen und Hunde, die Kinder besser beschützen als die österreichischen Behörden. Aus dem Alltag der Traumatherapeutin Sonja Brauner, die trotz Abschiebungen Kinderflüchtlingen stabile Augenblicke verschafft.«Neulich war auf ORF-Online eine Umfrage, bei wem man in Bezug auf die große Krise sparen sollte, erzählt die Therapeutin Sonja Brauner vom Betreuungszentrum Hemayat in einem Cafe am Karmeliterplatz in der Sonne. «Das Ergebnis war: Bei Managern und bei Asylwerbern sollte man sparen Bei Flüchtlingen wird in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, die nehmen einem etwas weg. Aber wenn man in dieser Gesellschaft noch etwas erreichen will, dann über diese verzweifelten, allein gelassenen Flüchtlingskinder. Die Bevölkerung weiß nichts von deren Realität.»
1997 erstellte Heinz Fronek, der Leiter der Asylkoordination, eine Studie und eine erfolgreiche Kampagne zum Thema «Menschenrechte für Kinderflüchtlinge». Heute schüttelt er bei einer VIDC – Veranstaltung zu Kinderflüchtlingen nur müde sein Haupt: «Damals erzielten wir 200 Print-Beiträge in den Zeitungen für unsere Kampagne. Innenminister Schlögl konnte zu keiner Veranstaltung gehen, ohne auf die Lage der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge angesprochen zu werden. Mittlerweile ist aber alles schon so verroht. Es herrscht ein genereller Missbrauchsverdacht gegen Flüchtlinge vor – im Sinne von: Wir Östereicher werden von ihnen belogen und betrogen. Begriffe wie Trauma oder Minderjährige sind zu Schimpfwörtern verkommen.»
«Nachtsichtgeräte an den Grenzen erinnern ans Jagen», ergänzt Helmut Sax vom Boltzmann-Institut für Menschenrechte. «Die UNHCR (Flüchtlingshilfe-Organisation der UNOI) hat jetzt Kriterien der Überprüfung einer kindgerechten Rückführung entwickelt. Bei Massenverfahren (?!) ist nämlich momentan keine kindgerechte Rückführung möglich. Es wäre viel einfacher, die Kinder zu Angehörigen weiter reisen zu lassen.» In einer «Aktion Beistand» wird ein Schattenbericht vom Kinderrechts-Netzwerk an die UNO in Genf gehen.
Glückliche, stabile Augenblicke
«Als die Polizei die tschetschenische Frau mit ihrem kleinen Kind holen wollten, bekam der sechsjährige Junge eine Panikattacke. Die Beamten waren hilflos, sie forderten immer noch einen Polizeiwagen an und noch einen, am Ende umstanden zwölf Beamte das schreiende Kind.» Sonja Brauner, die das Kind traumatherapeutisch behandelte, konnte ihrem kleinen Klienten nicht mehr helfen. Mutter und Kind brachen bei der nächtlichen Festnahme zusammen, wurden in die Psychiatrie eingeliefert und sollten nach Polen abgeschoben werden, obwohl die Frau nach drei Abschiebeversuchen schon mit der «Caritas-Rückkehrhilfe» in Verhandlung stand. Warum versucht man eine Flüchtlings-Frau, die sowieso schon zurückkehren «möchte», nach Polen außer Landes zu bringen? «Das ist billiger», soll die Antwort gewesen sein.
Im Endeffekt konnte durch die Interventionen der Hemayat-Geschäftsführerin Cecilia Heiss und der Caritas-Rückkehrhilfe doch ein Flug erreicht werden. «Wir haben keinen Boden der rechtlichen Sicherheit, um therapieren zu können. Den brauchen wir aber!», sagt Brauner. «Der Junge war in Tschetschenien entführt und in einer Hundehütte samt Hund eingesperrt gewesen. Der Hund verletzte ihn erst und beschützte ihn dann. Die Mutter fand ihr Kind nach langer Suche. Sie gab nicht auf.»
«Auch Mütter mit Kindern müssen wegen illegalem Verlassen von Polen dort für drei Monate in Haft», erzählt Heinz Fronek. «Und die Abschiebung der Verantwortung und Deportation nach Griechenland von vielen afghanischen Jugendlichen bedeutet für manche den Tod. Die Altersfestellung wird mittlerweile flächendeckend in Graz durchgeführt und bringt bei allen eine Heraufsetzung ihres Alters. Dabei verhindert die Organisation FRONTEX nachhaltig, dass Flüchtlinge nach Österreich kommen. Waren es 2002 noch 39.000, so 2007 nur noch 11.000 Menschen. Im Jahre 2009 schlugen sich um die 1200 Flüchtlinge aus Afghanistan zwischen 16 und 18 Jahren nach Österreich durch.»
«Es gibt bei jedem Hoffnung, sonst würde ich nicht mehr als Traumatherapeutin arbeiten», unterstreicht Sonja Brauner. «Wichtig ist es, dem Kind möglichst viele stabile und glückliche Augenblicke zu verschaffen. Der Kleine, der abgeschoben wurde, feierte seinen sechsten Geburtstag mit mir, er lachte und weinte gleichzeitig.» In der Praxis werden Kuscheltiere mit Kopfschüssen umgebracht, ertränkt und erstickt, Prinzessinnen in Schatzkisten eingesperrt, denn «die Bösen werden am Ende siegen».
Sogar Kinder werden mittlerweile aus laufenden Verfahren heraus abgeschoben. Andere treten mitsamt ihren «posttraumatischen Belastungsstörungen» in Redestreik: «Mittlerweile gibt es vier- oder fünfjährige Kinder von Flüchtlingen, die hier geboren sind und einfach nicht mehr sprechen. Sie erleben tagtäglich, dass ihre Eltern nicht gehört werden, egal, was sie sagen, niemand hört ihnen zu, dann lohnt sich das Sprechen nicht mehr. An wen können sie sich wenden? Es ist bitter, den Krieg zu überleben, die Flucht zu überleben und dann hier nicht willkommen zu sein.»
Hemayat arbeitet durch die finanziellen Strukturen an der Grenze zum Burnout. «Vor der Türe warten Hunderte und man kann nicht sagen, hör auf mit diesem starken Bedürfnis deiner Verzweiflung. Ich sehe das massive Leid dieser Menschen und muss sagen, Sie müssen auf die Warteliste. Manche nehme ich doch sofort, auch wenn ich keinen Platz habe.»
Info:
Im September 2010 erscheint ein Buch über die Arbeit von Hemayat im Mandelbaum Verlag