Die Chance seines Lebens?vorstadt

Gesponserte Träume wurden wahr

Der Wiener Atakan Yigit machte vor einem Jahr bei dem Wettbewerb «The Chance» auf sich aufmerksam. Danach waren Manchester City, PSV Eindhoven und Galatasaray Istanbul als neue Arbeitgeber im Gespräch. Wie hat die «Chance» seine Karriere beeinflusst?Im heimischen Fußball gärt es. Ein Teamchef ohne Stallgeruch, österreichische Legionäre als Stammspieler bei ihren Vereinen, mit hiesigem Nachwuchs gespickte Bundesligamannschaften. Man glaubt, es geht voran. Dazu kommen junge Spieler, die bei internationalen Großklubs im Nachwuchs nachwachsen dürfen. Philipp Prosenik (AC Milan), Lukas Spendlhofer (Inter Mailand), Sinan Bytyqi (Manchester City), die große Bayern-Gruppe um Toni Vastic und viele mehr wollen die ersten Schritte im Profifußball gleich auf internationalem Parkett wagen. Ein Traum, den auch viele träumen, die dafür eine wesentlich schlechtere Ausgangsposition haben.

Hier setzt «The Chance» des US-amerikanischen Sportartikelherstellers Nike an. Bei diesem Talentwettbewerb können Amateurfußballer teilnehmen, als Hauptpreis winkt den Gewinnern ein Jahr in der «Nike Academy» in England. Dort werden die Spieler trainiert und wenn möglich an einen Profiverein weitervermittelt. 2010 haben sich weltweit 75.000 junge Kicker beworben, die hiesige Vorausscheidung auf dem Gelände der Austria-Akademie gewann Atakan Yigit.

Der junge Wiener kehrt damals gerade von Simmering zu seinem Stammverein Columbia Floridsdorf zurück. Zwischendurch bestritt er ein Probetraining beim VfB Stuttgart. Auch er träumt davon, als Profifußballer sein Geld zu verdienen. Er befindet sich auf dem Sprung in die Kampfmannschaft eines Regionalligisten, keine schlechte Perspektive für einen Spieler seines Alters. Und dann kam diese Sache mit «The Chance».

Visualisierungen der persönlichen Fußballfähigkeiten

Wie kann man daran überhaupt teilnehmen? Auf der Homepage der Austria Wien, deren Trikotsponsor Nike ist, liest sich das Prozedere wie folgt: «Die Kandidaten () konnten ihre eigene Zukunft auf nikefootball.com schreiben, indem sie Videos und Visualisierungen ihrer persönlichen Fußballfähigkeiten erstellten und diese über eine eigene Facebook-Fanseite veröffentlichten. So wurde das Interesse der Nike Talentscouts geweckt.» Da ist natürlich eine Prise viralen Marketings dabei, aber sonst hätte ja Nike nichts davon.

Atakan Yigit reist im Jänner 2011 nach London, zum Finale von «The Chance». Aus den 100 Finalisten werden in einem mehrtägigen Auswahlverfahren zuerst 32, schließlich acht Spieler ausgewählt. Der junge Wiener ist gesundheitlich angeschlagen, übersteht die erste Hürde, zählt aber nicht zu den acht Gewinnern. Er ist enttäuscht und reist ab, obwohl noch Gespräche mit Vereinen und Scouts vereinbart waren. Atakan Yigit zog in einem Interview mit fanreport.at dennoch ein positives Resümee: «Die Zeit in London war aber großartig. Ich habe Arsene Wenger und Guus Hiddink kennengelernt und einige tolle Bekanntschaften geschlossen. Hiddink meinte, ich sehe aus wie Cristiano Ronaldo. Mich haben dann alle nur noch Ronaldo genannt.»

Neben den Trainern Wenger und Hiddink hat «The Chance» noch weitere prominente Schirmherren. Andrey Arshavin, Rafael Van der Vaart und viele Werbeträger mehr geben den Kandidaten Tipps, wie man es zum Profi schafft. Es wird betont, dass es wichtig sei, ein Teamplayer zu sein, nicht zu eigensinnig, die richtige Mentalität zu haben und vor allem Charakter. Talent allein reiche nicht. Nike fährt damit eine zweigleisige Strategie: Um überhaupt berücksichtigt zu werden, müssen sich die Spieler online inszenieren. Die Filme sind mit fetziger Musik unterlegt, schnell geschnitten und fertig ist die Ikone. Der Fokus liegt im sozialen Netzwerk wie im Marketing auf dem Individuum, dem Star. In der realen Fußballwelt heißt es aber, sich erst einmal anzupassen und in eine Mannschaft und ihr Spielsystem einzuordnen. Nicht jedem gelingt es, den Schalter einfach so umzulegen.

Das Warten auf den großen Transfer

Bei Columbia Floridsdorf fällt es Atakan Yigit schwer, wieder im Wiener Fußball anzukommen. Er fühlte sich «wie ein Außenseiter, die Erwartungen waren sehr, sehr groß», so Yigit im fanreport-Interview. Alle warten auf den großen Transfer, der Spieler, sein Berater, gewiss auch der Verein. Es ergibt sich ein Probetraining beim PSV Eindhoven, aber der Vertrag sei an den überzogenen Vorstellungen von Columbia Floridsdorf gescheitert. Dann ein Probetraining bei Middlesbrough, aber der Vertrag scheitert an zu hohen Ablöseforderungen seines Managers. Dazu geisterte in der türkischen Presse ein möglicher Wechsel zu Manchester City mit einer fabelhaften Ablösesumme. Ein Missverständnis, wie Atakan Yigit betont. Auch Mallorca ist im Gespräch, allerdings ergibt sich nichts Konkretes daraus. Er geht für ein halbes Jahr nach Istanbul, wo er mit dem zweiten Team von Galatasaray trainiert.

Von den acht Finalisten, die in die Nike Academy aufgenommen worden sind, konnten bis dato vier einen Profivertrag ergattern. Sie spielen nun in Australien, Irland und Schweden. Nicht schlecht, aber nicht berauschend, wenn man den Aufwand bedenkt, der betrieben wird. Auch die David Beckham Academy, die von Adidas, Volkswagen und der Anschutz Entertainment Group unterstützt wird, und die Pepsi Football Academy in Nigeria können nicht mit der Profi-Quote mithalten, die ein großer Fußballverein mit gediegener Nachwuchsarbeit schafft.

Rapid, Austria, Vienna, Sportklub die großen Vier Wiens zeigen kein Interesse an Atakan Yigit. Wieso? Weil er stets auf dem Sprung ist, sich zu Höherem berufen fühlt? Oder weil sie nicht glauben, dass er das Zeug zum Profikicker hat? Letzten Endes zerschlagen sich vorerst alle Träume, keine der vielen Chancen entwickelt sich zu einem unterschriftsreifen Vertrag. Wer auch immer daran Schuld ist gierige Funktionäre oder Manager, der junge und vielleicht überforderte Spieler, der von Nike ausgelöste Hype Atakan Yigit spielt im Frühjahr nicht bei einem Topklub im Ausland, sondern für den SV Leithaprodersdorf in der burgenländischen II. Liga Nord. Das ist aller Ehren wert, aber eben auch zwei Klassen unter der Regionalliga, aus der seine alte Mannschaft Columbia Floridsdorf gerade absteigt. Wäre das auch so gekommen, wenn er nicht bei «The Chance» mitgemacht hätte?

Nachwuchsfußballer müssen in Ruhe wachsen und reifen, grelles Scheinwerferlicht wirkt in den meisten Fällen störend. Die Bedingungen in der Nike Academy mögen hochprofessionell sein, die Spieler bestens betreut werden. Aber letzten Endes bleibt «The Chance» und die angeschlossene Akademie ein Marketing-Vehikel. Eine Garantie für den Sprung in die große Fußballwelt gibt es nicht.

Man wird sehen, wie es für Atakan Yigit weitergeht. Er war telefonisch zwar erreichbar, aber kurz angebunden. Er rufe zurück, momentan habe er viel Stress. Könnte daran liegen, dass Transferzeit ist. Und vielleicht ergibt sich ja wieder eine Chance, diesmal im echten Fußball.

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