Mein erster Gedanke beim Verfassen der ersten Seite eines Interviews ist stets der gleiche, nämlich, warum mich meine Suche gerade zu jener Frau geführt hat? Was interessiert, was fasziniert mich, wie viel kann ich lernen?
Grafik: Jella Jost
Ich suche entlang der Linie der Kolumne, ich schreibe über Frauen, die kämpfen, denken und riskieren. Frauen, die den Mut haben, Tatsachen und Fakten auszusprechen. Das machen fast alle gerne, aber nicht alle wollen es so publizieren. Immer wieder treffe ich auf Frauen, die mir viel zu erzählen haben, das Gesagte jedoch schließlich zurückziehen, es verkleinern, es nivellieren, was sich einmal so weit entwickelte, dass ich vor lauter Korrigieren gar nicht mehr zum Publizieren kam. Ich sehe daher meine Arbeit als Schreibende immer wieder als emanzipatorischen Lernprozess. Für mich als Frau ist die Würde permanent zu verteidigen. Sowohl meine eigene als auch die der interviewten Frauen. Mein Stil ist kein wissenschaftlicher, ich bin Autorin und strebe nach Poesie, nach einer anderen Art von Wahrheit, ich sehne mich nach Intensität durch Schrift und Wort, auch innerhalb klarer Vorgaben und feministischer Themen. Mich fasziniert seit jeher die Vermischung der Genres, Strukturen, Menschen, Inhalte. Ich breche jede Art von Kategorien liebend gerne auf, da ich der Meinung bin, dass eine Gesellschaft das immer wieder auch nötig hat, sonst sitzt sie irgendwann fest. Der politische Ungehorsam ist ein altbekanntes rutschiges Parkett. Aber ich tanze für mein Leben gerne.
Schrödingers Katze
«Jetzt weiß ich, wie sich Schrödingers Katze fühlt», antwortete eine Augustin-Redakteurin bezogen auf das Warten auf das Wahlergebnis am 22. Mai, als ich ihr mitteilte, dass ich mit dem Verfassen meiner Kolumne noch zuwarten möchte. Ich wäre nicht froh gewesen, einen Bundespräsidenten an der Spitze zu sehen, der Mitglied einer schlagenden (gewaltbereiten und patriarchalen) Burschenschaft ist und auch noch lächelnd mit «Ich schieße gerne» eiskalt in die Kamera hineingrinst. Wegen seiner Wahltaktik als Opfer von Schicksalsschlägen, seinen frauenverachtenden Sprüchen habe ich beschlossen, mit Van der Bellen im Lande bleiben zu können und nicht mehr an Auswanderung zu denken. Gratuliere. Vorerst. Im Netz finde ich passabel einfache Erklärungen für das Gedankenexperiment Schrödingers Katze, da mir der Inhalt dessen nicht ganz geläufig ist. Schrödingers Katze ist zugleich tot und lebendig. Eine Katze wird in eine Kiste gesteckt. Zusätzlich kommen eine radioaktive Apparatur, ein Geigerzähler, ein Hammer und eine Flasche mit Blausäure mit in die Kiste. Im Verlauf einer Stunde kann eines der radioaktiven Atome zerfallen, muss es aber nicht. Zerfällt es, wird der Geigerzähler aktiv, der wiederum einen Hammer in Schwung bringt. Der Hammer zertrümmert die Flasche mit Blausäure. Die Katze wäre in diesem Fall tot. Die Wellenfunktion würde den Zustand der Katze als Superposition beschreiben, also gleichzeitig tot und lebendig. Nur wenn man die Box öffnet, also eine Messung vorgenommen wird, ist es möglich, den Zustand der Katze festzustellen. Unlängst fanden Wissenschaftler_innen heraus, dass Quantenzustände im Allgemeinen in einer Messung nicht perfekt unterschieden werden können. Ein interessanter Vergleich mit der Situation der gestrigen Wahl. Wer ist die Katze? Und wer öffnet die Box?
Klare politische Haltung und Antwort erwarte ich mir von Ulrike Weish. Ich hatte sie angeschrieben und treffe sie einige Wochen vor der Wahl in der Vinzi-Rast im Neunten, einem Haus, in dem Studenten und ehemalige Obdachlose zusammenleben. Unten gibt es ein sehr nettes Lokal mit Gastgarten. Wir setzen uns raus ins Freie, die Luft ist frühlingsgeschwängert.
Ulrike, du bist Sozialwissenschaftlerin, hast Publizistik, Politikwissenschaft und Geschichte studiert. Seit 1996 bist du Lehrbeauftragte des Instituts für Publizistik und Kommunikationswissenschaften der Universität Wien und warst von 1996 bis 2000 Frauenbeauftragte am dortigen Institut. Wissenschaftliche Arbeitsschwerpunkte sind u. a. Konkurrenz in Kommunikationsberufen. Weiter organisierst du antirassistische und antisexistische Aktionen im öffentlichen Raum sowie Performances und deren Medialisierungsprozesse. Du entwickelst Slogans, Texte, Aktionsformate und seit 2010 arbeitest du als Medienaktivistin der Plattform 20000frauen, bist Mitbegründerin der Satire-Zeitung vor.gestern, über.morgen, heute.morgen. In zahlreiche Auftritten, Vorträgen und Beteiligungen an Podiumsdiskussionsveranstaltungen im Rahmen von Enqueten, medien- und frauenpolitischen Veranstaltungen, im Club 2, in Radiosendungen auf Ö1 und Alternativmedien wie o-ton.at und Okto stellst du dein profundes Wissen zur Verfügung.
Beginnen wir mit dem Denken
Beginnen wir also mit dem Denken. Ulrike Weish, du bist ist eine intensive Rednerin, ein schneller Geist, eloquent, fundiert und akribisch gehst du mit viel Verve in die Tiefe. Ich konzentriere mich mit meinen Fragen insbesondere auf die Thematik Frauen im Journalismus, Neue Medien, Prekariat, Ausbeutung und Burnout. Ulrike Weish: «Die Entwicklungen in den Redaktionen, was geschlechtliche Repräsentanz anbelangt, was wir seit vielen Jahren immer gleich diskutieren, ist in den niedrigen Positionen in den Redaktionen, in den kreativen Formaten durch einen hohen Frauenanteil gekennzeichnet. Vor allem junge Frauen zwischen 25 und 39 sind jene Gruppe von Frauen, die am meisten im Journalismus vertreten sind, allerdings als freie Dienstnehmerinnen. Von ihnen geht niemand aus diesen Berufen in Pension. Nur etwa 6 % der Journalist_innen schaffen das. Man kann also von keinem kontinuierlichem Berufsfeld sprechen, sondern eher von einer Kultur des Hire and Fire. Insofern ist da ein demokratiepolitischer Wermutstropfen dabei, denn bei schnell wechselnden Journalist_innen gehen viel Fachwissen und inhaltliche Tiefe verloren. Man fängt ständig wieder beim Punkt Null an.» Ja, antworte ich Ulrike Weish, dieses Heiß-und-Kalt-Wechselspiel ist mir als Schauspielerin sehr bekannt, und die veränderte Arbeitswelt hat sich in allerlei Berufen verbreitet. Themen wie Burnout, Ausbeutung, Depression sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die mediale Präsenz ist in dieser Hinsicht gewachsen.
«Ja Jella, ich finde die Analogie hochinteressant, die du herstellst. Durch Personifizierung und Privatisierung von Diskursen haben wir einen Parademechanismus, der für vieles andere auch gilt: Starkultur. Dieser Mechanismus, den viele stellvertretend für ein gesamtes Feld sehen, von Heidi Klums Göttermodetempel bis zur Malerei oder dem Tanz: Eine potente hegemoniale Netzkultur entdeckt und promotet, hält und pusht soziale Sichtbarkeit. In dem Maße, wie dieses Netz jedoch brüchig wird, davon lebt diese potenzielle Reüssierung, dieses Ziel, das ist der Mechanismus eines ent-kollektivierten Kämpfens und dadurch ist es machbar, dass das einzelne Subjekt sich über alle anderen erhebt. Denn 5000 Stars gibt es nicht. Sondern es gibt damit auch 4800 Verlierer_innen. Dieses System wird verinnerlicht und legitimiert und anerkannt, genauso im Journalismus. Star-Journalisten an der Spitze, die mit ihrem Namen Kolumnen in großen Zeitungen schreiben, stehen für ‹den› Journalismus. Dagegen versuche ich anzuschreiben, dass es die Masse der freien Dienstnehmer_innnen braucht, um diese großen Arbeitsvolumina zu bewältigen, die selbstverständlich von einer anonymen Gruppe von Aspirant_innen und Praktikant_innen, die – weiblich, akademisch und dominant an den Ausgängen der journalistischen Szenen – montiert sind, um die fachliche Recherche-Gegenrecherche zu betreiben. Durch die Neuen Medien werden Nachrichten mittels Copy & Paste von links nach rechts geschaufelt, somit werden, vielleicht mit einem neuen hübschen Foto, die Sager immer neu reproduziert. Qualitätsjournalismus wird nicht mehr bezahlt. Der Kostendruck wird nach unten weitergegeben. Wenn das Niveau gehalten wird, dann mit prekarisierten Arbeiter_innen an den Rändern. Wir sehen ein Sinken der Recherche, wie auch zum Beispiel in diesem Wahlkampf im innenpolitischen Diskurs gibt es quasi ein Bild, einen O-Ton, der sich durchzieht wie eine Waschmittelsendung, angeblich im Qualitätssegment, es geht jedoch um Leistungsshow, um latentes Infotainment. Die Vielzahl an Sendern hat nicht eine Vielzahl an Themen hergestellt. Das Abschreiben vom Abschreiben vom Abschreiben durchzieht sich als Banalität durch die Sender und erzeugt Einfältigkeit in der politischen Debatte.»
In einer Mail an mich, Ulli, formulierst du den Begriff Postmodernismus. Ulrike Weish: «Postmodernismus verstehen die wenigsten, die meisten Menschen sind in einem modernen Denkparadigma verhaftet. Ich denke, es gibt keine Rettung, nur Prozesse der Involvierung, der Kämpfe, der Risiken und deren Abwägung, die nie eindeutig und widerspruchsfrei sind. Das macht viele ärgerlich, weil dadurch das Denken noch viel schwieriger wird und wir ‹Rettung› als religiöse Vorstellung enttarnen können.»
Wäre das ein klarer Bezug zu Rechtsradikalisierten, frage ich mich, die möglicherweise einfachen, esoterischen Denklösungen anstelle von komplexen und erneuernden Bewegungen nachtrauern? Bildung ist also doch das Thema Nr. 1. Bildungsreform, uneingeschränkter Zugang zu profundem Wissen auf allen Ebenen. Das ist der Weg. Sonst könnte der viel zitierte Spalt, Riss oder Graben sich zu einem Death Valley ausweiten. Möge diese Übung aber nicht gelingen.