DIE DERFLINGER QUOTEDichter Innenteil

Am Küchentisch (31. Teil)

Novemberregen auf dem Radweg der Argentinierstrasse. Am Eck liegt das Café Goldegg, ein lengendäres Alt Wiener Kaffeehaus, dessen Interieur glücklicherweise im Original restauriert wurde, beliebter Drehort auch für internationale Produktionen. International cineastisch geht es heute Am Küchentisch zu, Sabine Derflinger sitzt mir gegenüber, sie ist vom 15ten Bezirk hierher mit dem Rad gekommen, bescheiden wie immer, neugierig offen und sehr direkt ist ihre Art.

Gar nicht bescheiden gebar sie sich, als sie zum Xten Mal bei den Tatort-Produzenten anklopfte und ihnen prompt erklärte, dass es endlich genug sei, die Quote musste her! Denn die hochbezahlten Jobs einer Tatort-Regie müssen endlich auch in weibliche Hände fallen. Sabine Derflinger hat dieses Jahr als erste Frau nach 42 Jahren Serie einen Österreich Tatort gedreht, «Angezählt», die Story die – wie meistens in den Film-Eliten-Etagen – diesmal zwar wieder ein Mann schrieb, handelt von Prostitution in Wien, Frauenhandel, Gewalt und Ausbeutung. Das «Head of Department», die Produktionsleitung war aber diesmal ausnahmslos mit Frauen besetzt. Sabine erzählt davon wie reibungslos alles verlief und wie großartig die Arbeit war. Die mediale Antwort auf den Tatort verlief ziemlich positiv. Schonungslos sei die Story, präzise recherchiert und gedreht, ohne Scham, ohne Schuldzuweisungen, ohne Moral, so real wie das Milieu ist. Trauriges Resumée: die Frauen kommen immer schlecht weg, darauf besteht Sabine ausdrücklich. Das Argument des «guten Verdienst» sei eine Verschleierung der brutalen Tatsachen. Es gibt keine Frau die keine Gewalt erlebt hätte, sagt Sabine.

Dem Standard erzählte sie «es gibt ein Naheverhältnis zwischen Prostitution und Film, denn Film spielt oft in diesem Milieu, meist natürlich unter glamouröseren Vorstellungen. Umgekehrt gibt es von Seiten der Zuhälter den Wunsch, dass die Schattenwelt ans Licht kommt» Das ist der tragende Pfeiler in der Arbeit von Literat_innen, Musiker_innen, Regisseur_innen, Sänger_innen u.v.a.m., das Dunkel ins Bewusstsein zu bringen, das was weh tut, das was häßlich ist, das ist das, was so große Angst macht. Sich wirklich damit auseinanderzusetzen, das tut die Derflinger und setzt es filmisch um. Da befindet sich die Apokalypse direkt vor und in unseren Augen, mitten um und in uns im Film.

Als ob Frauen im Film mit dem Häkelzeug im Regiestuhl sitzen!

Jeder Tatort stellt eine gesellschaftliche Katastrophe dar, das Verbrechen. Die rote Tatort-Spur zieht sich durch all die Jahrzehnte. Obwohl die Vielfalt an TV Flatscreens großteils Billigware ist, wie die ranzigen Sonderangebote eines Ausverkaufs, glotzt man und frau am Sonntag Tat-Ort, zur Prime-Time am Ort des Unfassbaren, einem Konglomerat aus Abfallstoff und Unterwelt, aus Mittelschicht und Biederwelt, aus eliteschicken Sportwagen mit sportlichen Ermittlern – und immer wieder schleudern sie aufjaulend durch die Kurve. Qietsch! Ein gesellschaftspolitischer Pop-Krimi, verträglich für fast alle, verdaulich ebenso, nach ein paar Gesprächen darüber auch wieder vergessen, vergessen die namenlosen unbekannten Huren, die von einerseits lächerlichen Bizepsmonstern, andererseits gefährlichen männlichen Individuen tot geschlagen werden. Dass eine Regisseurin wie die Derflinger so schonungslos harte Sachen zeigt, wurde gesagt. Dass die Derflinger bei der Wahl ihrer Darstellung derart drastisch sein kann, wurde auch gesagt. Als ob Frauen im Film mit dem Häkelzeug im Regiestuhl sitzen! Als ob Frauen einen «weiblichen» Blick auf die Dinge hätten! Als ob wir nur mit Schablonen und Stereotypen gefüttert werden wollen. Unsinn! Ich hatte mir vorgestern den Tatort aus Erfurt angesehen. Ganz offensichtlich sexistische Schablonen im Text. Der Ermittler: «Gefällt sie dir?», darauf der Kollege: «Ja hat einen guten Arsch». Die weibliche Hauptrolle kam schlecht weg, wurde runtergemacht von den Kollegen und von der Vorgesetzten. Gewöhnung an Abwertung, Mobbing, an verbale und körperliche Gewalt oder weckt es auf, regt es an? Beobachten Sie bei sich selbst.

«Angezählt» hat ein wunderbares eigenes Tempo, Adagio con fuoco,

smoother Krimi-Jazz. Spartanische klare Linie. Harald Kassnitzer habe ich nie zuvor so gut gesehen, und Adele Neuhauser als seine Kollegin und Ermittlerin könnte man zwar um ein Vielfaches theatralisch bremsen, aber keine Frage, wir brauchen dringend mehr Frauen im Film, die Menschen sind, und nicht reduziert auf Maße, Sexappeal oder Titten. Wir haben nämlich den vorgegebenen typisierten Einheitsbrei der Dramaturgen und Produzenten ziemlich satt. Hauptargument dagegen aber ist wie immer das Budget, die Einschaltquote, erzählt mir aufklärend Sabine. Schauspieler_innen die man schon kennt, führen zu höheren Quoten. Und das führt dazu, dass man immer wieder ähnlich besetzt. Irgendwann aber muss man doch neue Gesichter ins Spiel bringen. Es ist wie in der Politik. Man gewöhnt sich an die orthodoxen österreichischen Gesichter. Wo aber bleibt das Unorthodoxe?

Auf Wikipedia lese ich, dass in finanziellen Dingen die Produktion als Auftragsproduktion durch Filmproduktionsgesellschaften für die Rundfunkanstalten erfolgt, oft sind dies deren eigene Tochtergesellschaften. Das durchschnittliche Produktionsbudget eines Tatorts betrug 2003/2004 noch 1,43 Millionen Euro und sank bis 2011 auf 1,27 Millionen Euro pro Folge; die tatsächlichen Kosten variieren aber stark nach Produktionsart und der jeweiligen Rundfunkanstalt. Die Gagen der Kommissar-Darsteller betragen bei etablierten SchauspielerInnen schätzungsweise zwischen 80.000 und 120.000 € pro Folge. Tatort ist also Renomée und hochdotiert. Kein Wunder, wenn Männer sich die Posten sichern, aber genau deshalb gibt es die Quote. Dazu sagen die «Quotenschoten», eine Plattform von Politologinnen, Ökonominnen, feministischen Wissenschafterinnen: Solange intransparente Männercliquen Männerdomänen besetzen,

solange Mitgliedschaften in Herrenclubs und Jagdgesellschaften Teile der Karriereplanung sind, solange unqualifizierte Manager im Nadelstreif abkassieren und der Allgemeinheit die Kosten hinterlassen, solange Wirtschaftskriminalität männlich geprägt ist und uns keine weiblichen Elsners, Flöttls, Grassers, Kulterers, Meischis, Meinls, Rosenstingls und Co. einfallen, solange globale Weltwirtschaft Ausbeutung und schnelle Gewinne für wenige bedeutet, solange nachhaltige, regionale Wirtschaft ein Orchideenthema ist, sind Frauenquoten in der Privatwirtschaft UND im öffentlichen Dienst PFLICHT.

Wir dürfen nicht mehr unser Wissen und unsere Erfahrung für einen Nebbich zur Verfügung stellen


Deshalb rufe ich die Derflinger-Quote ins Leben! Sabine sagt, dass nun auch andere Frauen den Tatort drehen, ja es rutschen schon andere Frauen nach, die jahrzehntelang in der (männlich besetzten) Warteschlange gestanden haben. Wir dürfen nicht mehr unser Wissen und unsere Erfahrung für einen Nebbich zur Verfügung stellen. Sabine hat sich immer für soziale Themen engagiert. Ihre früheren Dokumentarfilme und Spielfilme sprechen diese direkte Sprache. Ihren Kampf um Produktionsgelder kenne ich schon lange und natürlich nicht nur bei ihr. Das sollte sich jetzt hoffentlich erübrigt haben. Die Frage nach sichtbaren und greifbaren Möglichkeiten von Veränderung in der normativen Repräsentation von Geschlecht und als Frau, am und im Film, um neue künstlerische und ökonomische Chancen zu verorten, ist aber nach wie vor ungelöst. Die Ambivalenz der Künstlerinnen zwischen Hoffnung und Resignation wird politisch instrumentalisiert. Daher ist Film und Storyboard immer in gesellschaftspolitischem Kontext zu sehen und zu verstehen. Geschichten gibt es seit es Menschen gibt, sie waren immer schon überlebenswichtig, waren Identität stiftend, Richtung weisend oder unterlagen der Propaganda. Deshalb müssen Texte permanent hinterfragt werden. Rollen müssen neu geschrieben werden, Geschichten ebenfalls, denn die mediale Massenverbreitung birgt Gefahren begrenzender Identitätskategorien, sexistischer Zuschreibungen und geschlechtlicher Normen.

Sabine sagt mir, sie wolle nicht mehr kämpfen. Wir wollen dort sein, wo wir hingehören. Und das ist sicherlich nicht nur Herd und Kind. Manche weibliche Lebensläufe weisen Brüche auf, meistens verstecken wir sie aber zu gut vor den anderen, um nicht abgewertet zu werden, um nicht in Gefahr zu geraten Chancen zu verlieren. Manche Frauen müssen aber damit ganz offensiv umgehen, ich zähle mich dazu. Ich zelebriere meine Bruchlinien, ich poetisiere die verbale und körperliche Gewalt der Männer an mir, ich singe die Verzweiflung keine angemessene Arbeit zu finden, ich male die Wut einem ungerechten System ausgeliefert zu sein. Sabine sieht müde aus hinter ihrem großem breiten Lachen. Mehr darf ich nicht schreiben. Ihren Optimismus und ihre Unverdrossenheit schätze ich an ihr. Tanzt! Tanzt! Sonst sind wir verloren, sprach die große Pina Bausch. Filmt! Dreht! Spielt! Damit wir nicht verloren gehen, würde ich Sabine zurufen.

Lange stehen wir noch im Nebel draussen vor dem Café.

Und lachen.

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