Die Diva zwischen meinen BeinenDichter Innenteil

My Beloved Vulva Punk (Grafik: © Jella Jost

Grischka Voss ist bulletproof!

Ins Theater zu gehen ist für mich das Überschreiten zweier Schwellen, erstens die Schwelle zu einer Art von geballter Energie, einem ungewohnten Gedankenkosmos oder einer Parallelwelt. Zweitens die Schwelle zu meiner persönliche Wunde, inmitten politisch gewollter künstlerischer Vielfalt zu verhungern. Der Circulus vitiosus muss gespielt bleiben, der Teufelskreis, von Kunst-Potenzial und Förderungs-Ringelspiel bis hin zu den Bürokrat*innen, die Kunst als Beamte verwalten. Aber nicht nur die Kunstverwalter*innen heucheln, es heucheln die Künstler*innen selbst; aus Existenznot, wegen Charakterlosigkeit, aus Geilheit? Kontinuierlich künstlerisch arbeiten zu können, entgegen aller Schickeria-Community-Netzwerke, entgegen aller Nicht-Förderungen und gegen einen Narzissmus, der dich lächelnd vom Parkett in den Abgrund stoßen würde, wenn er denn könnte? Es wird geschmiert, gelächelt und gelogen, dass sich die Balken biegen. Es wird hinter dem Rücken gemauschelt und denunziert in ärgster Weise. Vorne aber an der Rampe wird professionell gegrinst. Es wird und werden Nestroypreise vergeben, mit dem Hinweis – denn ich habe unlängst mit einer der Verantwortlichen gesprochen –, dass doch das Theater dadurch gestärkt werden soll. Welches Theater denn? Ach so, die Bundestheater. (Ich lache.) Wer hier finanziell gestärkt wird, sind jene, die ihre Kulturposten absitzen, vielleicht auch besetzen und im Vergleich zu den freien Akteur*innen ein Vermögen verdienen. Was hindert Österreich daran – vorbildhaft so wie Schweden es umsetzt –, alle, aber auch alle Gehälter offenzulegen? Es käme die Wahrheit ans Tageslicht. Das wäre doch ein Wahlthema für die SPÖ? (Ich lache noch lauter.) Preise sind an und für sich nichts Übles. Das abgekupferte Tam-Tam jedoch nach US-Vorbild, die Art und Weise dieser Anti-Nestroy-Inszenierung zeigt die Fratze der Gesellschaft, die ihren (Wiener) Charme schon lange ad acta gelegt hat. Mit einer Gewissheit, dass sich innerhalb der Freien Szene gar nichts, aber auch gar nichts ändert. Der Nestroy-Preis beschämt den Johann Nepomuk bis ins Grab. Aus dem Himmel schwebt er geisterhaft auf das Proszenium und proklamiert lautstark inmitten dieser Posse: «Der Mensch ist gut – aber die Leit san a Bagasch. Es kommt viel weniger darauf an, was einer leistet, als vielmehr darauf, wo man es leistet.»

 

Titelland Österreich oder «Anerkennung ist die größte Droge, die es gibt»

Elisabeth Horvath: Ihr persönliches Recht auf Orden und Titel in Österreich

 

Die Österreicher lieben Titel, lieben Orden und verehren Preise. Denn so etwas macht was her, so ein Orden, eine goldene Nadel oder eine Trophäe, die man zu hohen Anlässen herzeigen kann. Das hat man sich nicht immer demokratisch verdient. Deshalb ist auch die Republik nicht der einzige Ordensverleiher. Jede Klasse in der gesellschaftlichen Schichtung hat ihre eigenen Auszeichnungen und Auszeichnungsrituale, schreibt Horvath. 2002 wurden 1987 Orden vergeben, die Kosten für «Dekorationen an österreichische Staatsbürger und ausländische Gäste beliefen sich auf 240.000 Euro». Ein nettes Produktionssümmchen wäre das, für ein freies, nicht-prekäres Theaterstück. Gänzlich ohne Förderung hat sich Grischka Voss Soloperformance Bulletproof durchgesetzt. Es geht um die Vulva, die Diva zwischen unseren Beinen, wie Voss erzählt. Das Theater in der Drachengasse hat es Anfang des Jahres produziert und herausgebracht. Ich gratuliere zu dieser sensationellen Inszenierung und Performance und poche auf Wiederaufnahme in der nächsten Saison. Die Vorstellungen sind bis zur Dernière ausverkauft, ein bunt gemischtes Publikum von Jung bis Alt. Sehr zum Glück aller Besucher*innen fand Grischka Voss dieses Theaterhaus. Und das Glück mit dieser hingebungsvollen One-Woman-Show ist den Besucher*innen unmittelbar ins Gesicht geschrieben. Aber Voss weiß auch, was das Wort prekär bedeutet. Alleinerziehend mit einem Kind. Sie erzählt mir, sie verstehe alle jungen Künstlerinnen, die keine Kinder wollen. Es ginge sich finanziell nie im Leben aus. Wir schweigen. Wir beide haben Kinder. Wir beide sind Frauen. Wir sind Künstlerinnen. Wir hatten Eltern, die auch Künstler*innen waren, bekannt bis berühmt.

Ich sitze also im Theater in der Drachengasse in der letzten Reihe und kann mir die Reaktionen auf den Gesichtern der Leute genüsslich ansehen, da das Publikum sich schräg gegenübersitzt, in V-Form, Vulva-Form. Der Boden des Theaters ist rosa ausgelegt, in der Mitte der Spielfläche wurde ein weicher dicker fleischfarbener Teppich ausgebreitet, bis an die Wände hochgeformt zu jenem Körperteil, der auch mein Lusttempel ist: das weibliche Geschlechtsorgan, das so wenig Erwähnung fand, dass wir Frauen der letzten Generation relativ spät spürten, was wir da Tolles zwischen den Beinen tragen. Voss hat den gesamten Text von Bulletproof nach ihrer Trennung und nach einer Zeit des sexuellen Auslebens geschrieben. Sie sagt: Ja, ich habe deutlich zu spüren bekommen, dass diese Freiheit, die ich mir genommen habe, von anderen abgewertet wurde. Nicht so sei das bei Männern, sagt sie. Da sei man immer noch ein wilder Hund oder Draufgänger oder Hero, wenn es um Sex geht. Bei Frauen, die frei sind und tun, wozu sie Lust haben, wird gerne rasch das Wort Hure in den Mund genommen. Wir beide finden das bezeichnend für eine Gesellschaft mit Doppelmoral. Überhaupt sind Moral und Religion deutlich gefährliche Terrains, auf denen verurteilt, gedroht oder real gemordet wird. Voss nimmt sich kein Blatt vor den Mund – und kein Blatt vor die Vulva. Göttin sei Dank.

 

Riesenschamlippendarstellung

 

Voss: «Durch den extremen Nahkontakt, den ich mit den Leuten habe, erlebe ich immer wieder, wie ältere Paare offener reagieren als beispielsweise Jüngere. Oft kommen auch viele junge Männer, die vor sich hinstrahlen, im Dunkeln, also eine Bandbreite von Menschen, die sich für diesen Abend interessieren. Je nachdem, wer in der Vulva da mit drinnen sitzt, mit mir, ist jeder Abend unberechenbar. Es passieren immer wieder die schrägsten Dinge, wie zum Beispiel ein kleinerer älterer Herr, der beim Text laut lachte, als die Figur der Amanda, die ich spiele, erzählt, dass Männer mit kleinen Schwänzen besser im Bett sind. Er klatschte sogar. Seiner Frau neben ihm war das unfassbar peinlich. Manchmal erzählen mir sogar Frauen nach den Vorstellungen von neuen Hotspots (G-Punkt, H-Punkt usw.).» Ich selbst erlebte in der Vorstellung einen Mann in der ersten Reihe, der plötzlich die Hand seiner Partnerin nahm und leidenschaftlich küsste. Sie ignorierte ihn anfangs unerbittlich, bis sie ihn mit einem scharfen Blick abstrafte. Er sah sie zutiefst verwundert an. Das war ein seltsamer Moment, ich wusste nicht, ob dieser Mann in der ersten Reihe die Show missverständlich als Aufforderung, als Einladung betrachtete und nicht als künstlerische Erarbeitung eines zutiefst feministischen Themas. Es ist hier nicht nur Können, Witz und Lust zu erleben, obwohl die Show das alles verspricht. Von Verletzungen oder Grenzüberschreitungen ist hier in diesem Stück nicht direkt die Rede. Es ist ein unterhaltsamer Theatermonolog einer Frau, die in die Jahre gekommen ist, um über sich, ihren Körper nachzudenken, ihn hoffentlich gerade in dieser Zeit lieb gewinnt und sich zärtlich selbst begegnet oder befriedigt.

Zwei Szenen, in denen Voss ihre Lederjacke wie eine Haut von sich streift und mit dem Oberkörper nackt vor uns steht, ihn kratzt, zupft, zwickt und krümmt und biegt, machen das Publikum betroffen. Szenenapplaus. Das sind Momente, die tatsächlich unter die Haut kriechen. Überhaupt ist Voss‘ Präsenz auffallend stark. Nicht den Bruchteil einer Sekunde lässt sie die Zuschauer*innen aus und bleibt dabei dennoch entspannt und erotisch. Jedoch ist es eine begrenzte Erotik, ein bestimmter Typus, Lederjacke in Schwarz, enge schwarze Lederhose oder Synthetik, sie lehnt oder räkelt sich oft provokant und äußert ihre Fantasien unverblümt: «… und sehe mich an der Brüstung stehend, lasziv bewegend, mir den Gärtner, der unten im Garten rackert herbeiwünschend, der mich dann sexuell bedient …» Heute könnte man diese Aussage als Sexismus deuten, schreibt die Kritikerin M. Affenzeller im Standard. Wenn wir nicht mehr über unsere Fantasien sprechen können, wie wir das zum Beispiel in den 90er-Jahren mit den Sexual Fantasies von Nancy Friday auf einer ausverkauften Wiener Bühne taten (legendäres W.U.T. Theater), wo alles in jeder Hinsicht erlaubt war und nicht selbst-zensuriert, weil mittlerweile das Diktat der Öffentlichkeit künstlerische Äußerung beschneidet. Da haben wir sie wieder, die Ambivalenz, die man versucht zu unterdrücken, weil man sie nicht aushält, weil man Gegensätze nicht aushält, weil es den Menschen so schwer fällt, Ambivalenzen zuzulassen. Wir sind Feministinnen UND Sexistinnen. Wir sind Frauen UND haben männliche Seiten in uns. Wir stehen auf scharfe Fantasien UND leben mit unseren Partnern wunderbare Zärtlichkeit! Wenn wir nicht zulassen – wird nichts sichtbar. Als Grischka sich über die Überbewertung der Größe des männlichen Gliedes in Form einer Riesenschamlippendarstellung lustig macht – das war der Höhepunkt des Abends und zum Totlachen. Übrigens hat Voss 2001 mit ihrem damaligen Partner Ernst Kurt Weigel den Nestroy für die beste Off-Produktion erhalten. Wir sitzen eben doch nicht alle im selben Boot.

 

Buchempfehlung:

Grischka Voss: Wer nicht kämpft, hat schon verloren

Amalthea Verlag 2017

 

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